LORE BERT: »Spuren der Erinnerung – Zeichen der Gegenwart«
»Spuren der Erinnerung – Zeichen der Gegenwart«
Der von Lore Bert ausgewählte Titel akzentuiert den Begriff ›Zeit‹ und präsentiert damit die grundsätzliche Aussage der Ausstellung: Die Vergangenheit, der Werdegang der Künstlerin, die Entwicklung ihres Werkes und die bisher über 300 Ausstellungen und 125 Environments in Museen und öffentlichen Institutionen in Europa, Asien, Afrika, Arabien, den USA, Mexiko und Kanada, sind als ›Spuren der Erinnerung‹ in den historisch aufgeteilten und ausgestellten Werken wiederzufinden. Gleichwohl wird auch die kontinuierliche schöpferische Tätigkeit Lore Berts mit den jüngsten Werken der Künstlerin dokumentiert, die sich auf unsere heutige Aktualität beziehen: Das sind die ›Zeichen der Gegenwart‹.
»Spuren der Erinnerung – Zeichen der Gegenwart« war auch der Titel ihrer erfolgreichen Ausstellung im Palácio Nacional de Sintra (Portugal, 1995). Damals integrierte Lore Bert zehn neue Environments in die historischen Säle des Palasts. Heute präsentiert sie ihre künstlerische Geschichte im modernen, jungen Gebäude der CADORO in Mainz. Die Entscheidung, sich durch den Titel auf die Portugal-Ausstellung zu beziehen, ist auch aus einem anderen Grund ein Glücksgriff. So wie die Architektur der Stadt Sintra, die nicht weit vom Cabo da Roca, dem westlichsten Punkt des europäischen Kontinents, liegt, Spuren orientalischer und westlicher Kultur in sich trägt und dadurch wie eine offene Tür in die weite Welt wirkt, so bezeugt die Kunst von Lore Bert ihre Weltoffenheit und ihr Interesse für das westliche wie für das orientalische Kulturerbe.
Der Wendepunkt – Die 80er Jahre im 1.OG
Bereits in den 50er Jahren studierte Lore Bert an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin bei dem Bildhauer Prof. Hans Uhlmann und arbeitet seitdem unermüdlich weiter. Die 80er Jahre repräsentieren einen entscheidenden Wendepunkt in ihrer Entwicklung, wie die auf dieser Etage ausgestellten seltenen Kunstwerke zeigen. In den ersten Jahren hatte sich Lore Bert vorwiegend mit Malerei auseinandergesetzt, auch wenn sie in ihren Studienjahren und -Reisen durchaus eine Vorliebe für raumgreifende Kunstobjekte und Architekturelemente entdeckte. Ihr zunehmendes Interesse für Papier und für Collagen, für konstruktive Formen und dreidimensionale Objekte wird aber erst in Werken wie »Großer Torso mit Dreieck« (Aquatec und Papier auf Leinwand, 130 x 100 cm, 1983) deutlich. Hier arbeitet Lore Bert zwar noch auf Leinwand, aber zum ersten Mal beginnt sie, Teile der Oberfläche mit Papier zu überziehen und in changierenden Farben mit einer noch malerischen Sensibilität einzufärben. Ein weiterer entscheidender Schritt, der in diesem Werk zum Vorschein kommt, ist die Einführung geometrischer, konstruktiver Formen und Strukturen als Collage-Elemente aus Papier. Über 100 schmale, horizontale, weiße Papierstreifen bilden ein gleichschenk-liges, spitzwinkliges Dreieck, das dadurch eine dreidimensionale, haptische Struktur annimmt. Drei markierte Linien dieser Struktur bilden den Durchmesser des darauf gezeichneten Kreises und zwei von dessen Mittelpunkt gleich weit liegenden Kreissehnen. Der Kreis seinerseits verbindet den malerisch farbigen Hintergrund mit der konkreten, konstruktiven Struktur des Dreiecks. Auf einmal wird offenbar, dass Lore Bert in diesem Werk aus dem Jahr 1983 einige Hauptmerkmale ihres künstlerischen Schaffens schon herausgearbeitet hat: Eine sinnliche, haptische Dimension einerseits und das geometrische, konstruktive Denken andererseits, wonach sie Strukturen und Formen im Raum des Werkes kreiert und aufteilt; schließlich eine gesamte Bildkomposition, die beide Dimensionen miteinander verwebt. Derselbe Eindruck wird auch in anderen Werken wie »Die Fuge« (Aquatec und Papier auf Leinwand,130 x 100 cm, 1983) erweckt, »Offenes Rechteck« (Aquatec, Japan- und Nepal-Papier auf Leinwand, 130 x 120 cm, 1988), in dem die Leinwand komplett mit Papier überzogen ist, oder »Drei fliegende Balken« (Aquatec und Papier auf Leinwand, 130 x 120 cm, 1988) mit Maulbeerbaumpapier aus Korea, Japan- und Nepalpapier.
Das Bild »Geordnete Reihen II« (Aquatec und Papier mit Baumwolle auf Leinwand, 130 x 70 cm, 1984) verweist auf eine weitere Neuheit im Werk Lore Berts. 20 gleiche, weiße Dreiecke sind im malerischen Feld des Bildes in fünf Reihen aus jeweils vier Dreiecken angeordnet. Diesmal handelt es sich nicht um reine Collage-Formen aus Papier, sondern viel deutlicher um dreidimensionale, mit Watte gefüllte geometrische, weiße Elemente, die die haptische, sinnliche Dimension des Werkes noch sichtbarer machen.
Diese weißen, raumgreifenden Formen tragen in sich schon wesentliche Aspekte der Weiterentwicklung von Lore Bert, die in Werken wie »Rechteck mit 7« (Aquatec und Papier mit Baumwolle auf Leinwand, 100 x 70 cm, 1986) oder »Rechteck mit 2« (Aquatec und Papier mit Baumwolle auf Leinwand, 100 x 70 cm, 1986) in Erscheinung treten. Hier erlebt der Betrachter mit, wie Lore Bert sich nach und nach auf die Farbe Weiß konzentriert und parallel ihre Bildobjekte immer räumlicher gestaltet. Es entsteht ein Kontrast zwischen den streng geometrischen Formen der Rechtecke und ihrer rigorosen, rhythmischen Einreihung einerseits und dem weich wirkenden, mit Baumwolle gefüllten Körper, den sie im Werk annehmen, und der zarten Farbe Weiß andererseits. Schwarze, kurze Linien schweben im weißen Feld des Bildes (»Rechteck mit 2«) oder innerhalb der dreidimensionalen Formen (»Rechteck mit 7«) wie aufgelöste Seiten von vermuteten, geometrischen Einheiten. Der Moment der Wahrnehmung durch die Sinne als entscheidender Schritt für die darauf folgende geistige Erkenntnis scheint in Lore Berts Werk bewusster und wesentlicher zu werden. Das Papier ist bereits zu ihrem wichtigsten und wertvollsten Material geworden. Durch die weiße Farbe suggerieren die Kompositionen auch Stille und bisweilen Schwerelosigkeit. Eine Ausstellung im Kunstverein Unna »Zeitweise – Weiße Zeit« (1986) bezeichnet die erste, weiße Epoche von Lore Bert am Besten.
Mit dem Papier ist die Farbe Weiß in ihren unendlichen Nuancen eine Konstante im Werk Lore Berts, wie der Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Jan Hoet in seiner Laudatio zum 75. Geburtstag der Künstlerin (2011) schrieb:
›Bei Lore Bert war es die Anwendung von weißer Farbe, das Instrument par excellence, das auch durch die unbunte Farbe das Leere darstellen kann und das immaterielle Licht in ihrem Oeuvre zustande bringt, – so, wie Malevitch sagte, dass er das Weiß sieht als die Manifestation des befreiten Nichts, oder wie die Zero-Bewegung das Weiß gesehen hat, als Symbol für eine humane Welt, in der sich der Mensch frei artikulieren kann.‹ (Jan Hoet).
Den weißen Werken stellt Dorothea van der Koelen großformatige, schiefergraue Tafelbilder Lore Berts gegenüber, in denen zum ersten Mal Zahlen erscheinen. »Tafelbild 15 (Triptychon, schiefergrau)« (Aquatec und Papier auf Leinwand, 150 x 150 cm, 1988) mit seiner interessanten, ungewöhnlichen Komposition ist ein beeindruckendes Beispiel dafür. Die Leinwände, die das Triptychon bilden, sind mit schiefergrau gefärbtem Papier überzogen und wirken fast wie beschriftete Tafeln eines Wissenschaftlers, dessen mathematische Berechnungen zu einer neuen Formel geführt haben. Wobei hier die Idee einer Formel durch die Komposition und die in ihr geordnete Aufteilung des Feldes und der Elemente suggeriert wird. Es sind Bilder, die wie visuelle ‘mathematische’ Tafeln wirken und auf eine besondere Art und Weise an die spätere Werkserie mit den künstlerisch bearbeiteten, architektonischen Grundrissen von Kirchen, Moscheen und historischen Gebäuden denken lassen. Noch deutlicher wird dieser Eindruck im Collagen-Zyklus auf Nepalpapier aus den Jahren 1987/88 mit dem Titel »Im Zeichen der Metrie« (60 x 75 cm) erweckt, wo die geometrischen Formen und Kompositionen teilweise als Collage, als Zeichnung, als mit Watte gefüllte Objekte oder aber als Formen aus der Oberfläche heraus geschnitten werden.
Im Mittelpunkt des ersten Obergeschosses zeigt Dorothea van der Koelen Lore Berts Skulptur »Weisse Kugel« (Skulptur mit Japanpapier auf Plexiglassockel 70 x 62 x 62 cm, 2004). Ein Werk, das die weitere Entwicklung im künstlerischen Universum von Lore Bert vorwegnimmt und den Betrachter auf den Besuch der zwei anderen Ausstellungsräume vorbereitet. Die geometrische Form eines Kreises wird in dieser Skulptur zu einer dreidimensionalen Kugel aus gekruschelten, weißen Papieren, die sich von der Oberfläche des Bildes gelöst und verselbständigt hat. Die ersten Papierskulpturen schuf Lore Bert im Jahr 1995.
Lore Berts Reise in den Orient – Die 90er Jahre im EG
Im Jahr 1995 realisierte Lore Bert ihre umfassende Ausstellung mit zehn Environments in zehn verschiedenen Sälen des prestigeträchtigen Palácio Nacional de Sintra (Portugal). In der ›Sala dos Arabes‹ installierte sie das Werk »Lebensbrunnen«. Das war ihr erster Austausch mit der arabischen Kultur. Im selben Jahr reiste Lore Bert zum ersten Mal in den Nahen Osten, nach Ägypten, für die Vorbereitung ihrer drei Ausstellungen in Kairo (Great Cairo Library, Akhnaton Gallery und Dokki College for Arts, wo sie einen Workshop für Studenten hielt). Das war der erste Schritt auf einem weiten Weg.
Der perfekte Einstieg in diese neue Epoche im Schaffen von Lore Bert bietet ein besonderes historisches Werk: »Ginkgo Biloba (Goethe)« (Transparent mit Japanpapier, 140 x 140 cm, 1992). Wie bekannt stammt Goethes Gedicht aus seiner umfangreichsten von den Schriften des persischen Dichters Hafis inspirierten Gedichtsammlung »West-östlicher Divan«. Das weiße Feld des Bildes weist eine Struktur aus 81 mit Watte gefüllten, dreidimensionalen Vierecken auf, die die quadratische Form des Werkes wiederholen. Auf einzelne Elemente der Struktur verteilt, hat Lore Bert den Text des Gedichtes so aufgetragen, dass der Betrachter an die Form eines Blattes erinnert wird. ›Dieses Baums Blatt, der von Osten / Meinem Garten anvertraut, / Giebt geheimen Sinn zu kosten, / Wie’s den Wissenden erbaut, / Ist es Ein lebendig Wesen, / Das sich in sich selbst getrennt? / Sind es zwei, die sich erlesen, / Daß man sie als Eines kennt? / Solche Frage zu erwidern, / Fand ich wohl den rechten Sinn, / Fühlst du nicht an meinen Liedern, / Dass ich Eins und doppelt bin?‹ (Johann Wolfgang von Goethe). Dieses Transparent wurde zum ersten Mal in Lore Berts Einzelausstellung »Orient und Okzident« im Bielefelder Kunstverein gezeigt, wo sie Werke mit Texten westlicher Literaten und Poeten auf fernöstlichen Papieren präsentierte. Für diese Ausstellung realisierte Lore Bert die Fahne »Orient und Okzident«, die sie später auch in der Great Cairo Library (Ägypten) präsentierte. 1992 wusste Lore Bert noch nicht, dass ihr Weg sie in den Nahen Osten und in den Orient führen würde. Doch es war ihr scheinbar schon bewusst, was Goethe mit folgenden Worten zum Ausdruck brachte:
›Wer sich selbst und andre kennt / Wird auch hier erkennen: / Orient und Okzident / Sind nicht mehr zu trennen.‹ (Johann Wolfgang von Goethe)
Bezeichnenderweise hängt im Erdgeschoß der CADORO auch das großformatige Transparent »Magischer Kreis – Zentrum« (Transparent mit Japanpapier, 300 x 300 cm, 1995), das Lore Bert für die ›Sala das Colunas‹ in Sintra realisierte. Im Mittelpunkt des weißen Papier-Feldes schwebt ein Kreis aus Nepalpapier wie ein Ring, der für Einheit und Vollständigkeit zu stehen scheint. In diesem Zusammenhang suggeriert uns das Bild einen Gedanken: Orient und Okzident sind im Werk von Lore Bert nicht zu trennen.
Im Jahr 1996 wurde die große Ausstellung Lore Berts in der Great Cairo Library (Ägypten) eröffnet. Für diesen Anlass realisierte die Künstlerin ihre erste Arbeiten mit orientalischen Zahlen und arabischen Schriftzeichen, wie die im Erdgeschoß der CADORO ausgestellten Werke »Weisheit (arabisch)« (Transparent mit Nepalpaper auf Japanpapier, 120 x 270 cm, 1996), das wie der Titel schon sagt, den Begriff ›Weisheit‹ auf arabisch zeigt – ein Wort, das Lore Bert mit Nepalpapier gestaltete – und »Zahl 345530« (Transparent mit Nepalpapier auf Japanpapier, 120 x 200 cm, 1996). Ihre Faszination für arabische Schriftzeichen und für orientalische Zahlen inspirierte Lore Bert zu weiteren Arbeiten wie dem großartigen Environment, das sie zum ersten Mal für das ›Sharjah Art Museum‹ (UAE, 2007) konzipierte und nun für ihre Jubiläumsausstellung in Mainz neu realisierte: »Zahlen im Licht« (Papierraum mit acht orientalischen Neonzahlen, 500 x 800 cm, 2021). Über einem weißen Meer aus hunderten gefalteten Papieren schweben acht orientalische Zahlen aus Licht in Weiß und Türkis. Lore Bert schafft es, einen Raum zu bilden, in dem die Stille und die ästhetische Schönheit der Komposition die geistigen Werte, die die Zahlen als Zeichen des orientalischen Kulturerbes in sich tragen, sinnlich wahrnehmbar machen. Das zarte Papiermeer evoziert im Betrachter eine Haltung der Aufmerksamkeit und Behutsamkeit vor der Fragilität wertvoller, nur in der Stille erfahrbaren und begreifbaren Erkenntnisse. In ihrer Ausstellung in der ›Cultural Foundation Abu Dhabi‹ (UAE) zeigte Lore Bert schon im Jahr 1998 Neonobjekte in Form von Zahlen, die in einem weißen Papiermeer eingelegt waren. Arbeiten mit orientalischen Zeichen präsentierte Lore Bert auch in der Universität Bayreuth im Jahr 2001, im Eingangsbereich des Neubaus der geisteswissenschaftlichen Fakultät, neben Transparenten mit Texten von Jean Paul, Aristoteles, George Kennedy, Allen Bell, Machiavelli, Alkuin. In der Campus Galerie der BAT in Bayreuth installierte Lore Bert ein einmaliges Environment. Für die Ausstellung in der CADORO hat Lore Bert nun eine neue Version dieses Werkes konzipiert: »Kant – Zeit und Raum« (Installation von 12 Kugeln mit Texten, 500 x 800 cm, 2021). Die zwölf beschrifteten Kugeln schweben im Raum wie Planeten, die ihr Gleichgewicht in einem magnetischen Feld durch die gegenseitigen Relationen finden. Der Betrachter kann in dieses ‘Universum’ eintauchen und die in Blau geschriebenen Zitate aus Kants »Kritik der reinen Vernunft« über Transzendentale Ästhetik, Zeit und Raum, lesen, wie zum Beispiel: ›Die Zeit ist die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen überhaupt.‹. Eine Auswahl dieser Zitate werden auch in den Transparenten an der Wand wieder aufgenommen. Lore Bert verweist damit auf eine elementare Besonderheit im Wesen des ›Animal Rationale‹ (des Vernunftbegabten Lebewesens): (Abstraktes) Denken und (Konkretes) Fühlen gehen beim Menschen eine Symbiose ein. ›Es ist wirklich die Repräsentanz des menschlichen Geistes und Vorstellungsvemögens‹ (Dorothea van der Koelen).
Zeichen der Gegenwart – Die jüngsten Arbeiten im 2. OG
Zu den wichtigsten Ausstellungen Lore Berts in den letzten zehn Jahren gehören zweifellos »Art & Knowledge in the 5 Platonic Solids« (offizielle Begleitveranstaltung der 55. KunstBiennale, 2013) im prestigeträchtigen Saal der Biblioteca Nazionale Marciana, im Correr-Museum am Markusplatz in Venedig und ihre Biennale-Ausstellung »Erleuchtung – Wege der Erkenntnis (Heureka)« (2019) in der Kirche San Samuele in Venedig. Es ist kein Zufall, dass Lore Bert in den zwei großen Events zu ihrem 85. Geburtstag das Konzept der beiden erfolgreichen venezianischen Projekte neu präsentiert. Im Gutenberg Museum zeigt sie ihr Environment mit drei verspiegelten ›Platonischen Körpern‹ in einem weißen Meer aus Papier (vom 2. Juli bis zum 2. Oktober 2021). Im 2. Obergeschoß der CADORO präsentiert sie bedeutende Werke aus ihrer außerordentlichen Ausstellung in der Kirche San Samuele. Das Bildobjekt »Sonne« (Japanpapier und Blattgold, 180 x 180 cm, 2018, das sie dem Licht par exellence gewidmet hat. Es ist ein dreidimensionales, geometrisch gestaltetes Bild aus türkis gefärbten, orientalisch anmutenden, gekruschelten Papieren. Im Zentrum dieses Feldes glänzt eine runde Form aus Gold, umrahmt von strahlenden Dreiecken in Weiß. Ein Werk, das wie eine Hommage an das Morgenland wirkt.
»Bunte Vierpässe in Schwarz« (Bildobjekt mit Japanpapier, 180 x 180 cm, 2016) und »Kreis im Quadrat« (Bildobjekt mit Japanpapier und Blattgold, 180 x 180 cm, 2018) belegen das große Interesse Lore Berts für architektonische Elemente und ihre Bewunderung für die Kirchen und Paläste Venedigs, die schon im Jahr 1955 während ihrer Studienreise in der ‘Serenissima’ entstanden war. Lore Bert schafft es, die Strukturen der ›Pavimenti Veneziani‹ und der so charakteristischen Vierpässe der Paläste auf dem Canal Grande mit großer schöpferischer Phantasie in vielfältigen Kompositionen wiederaufzunehmen und dadurch unnachahmliche, einzigartige neue Bilder zu kreieren, die sich im Bewusstsein des Betrachters einprägen. Sie schafft es, aus einem historischen, architektonischen Kulturgut ein neues, selbstständiges Werk herauszuarbeiten.
In dem Saal der CADORO wartet auf den Besucher eine weitere Überraschung. Lore Bert hat eine kleine durchsichtig schimmernde Glassäule aus dichroitischem Glas realisiert, die sich auch auf die venezianische Installation »Erleuchtung – Wege der Erkenntnis (Heureka)« bezieht. Dieses Werk bezeugt das unaufhörliche Interesse Lore Berts für neue Matarialien, die sie zu weiteren Ideen und Konzepten inspirieren. Die changierenden Farben der Säule wirken faszinierend. Sie erinnern an einen Regenbogen und an den Augenblick, in dem dieses flüchtige, nicht greifbare Phänomen auftaucht. Durch die bunten Spiegelungen wird der Betrachter zum Betrachteten. Sein Blickwinkel zeigt ihm seine persönliche Position und die ihm bekannte Realität wird zur Erscheinung.
›Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung.‹ (Immanuel Kant »Die transzendentale Ästhetik«)
Zu den jüngsten, wichtigsten Arbeiten Lore Berts gehört zweifellos auch die Serie »Falt-Feld-Collagen« mit Papyrus, die im kurzen Zeitraum zwischen 2015 und 2018 realisiert wurde. Auf hauchdünnes, in quadratische Felder gefaltetes Japanpapier collagierte die Künstlerin Elemente aus Papyrus, den sie 1996 aus Kairo mitbrachte. Bleistiftlinien vervollständigen die Kompositionen. Diese Serie wirkt einheitlich aufgrund der Farben und der Technik und ist doch überraschend reich an neuen Bildideen, unerwarteten, zuvor noch nicht existierenden Kombinationen.
In den letzten Jahren, seit die gesamte Welt durch die Pandemie aus den Fugen geraten ist, hat sich Lore Bert mit Kohärenz auf ihre Arbeit konzentriert. Daraus sind erstaunlich vielfältige, farbenfrohe Werke entstanden. In den neuen Bildern ist eine Synthese all ihrer visuellen Erfahrungen zu erkennen, aller Bildschöpfungen, Erkenntnisse und Vorlieben für geometrische Formen, westliche und orientalische Schriftzeichen, Zahlen und architektonische Elemente. Mit unermüdlich frischer Phantasie hat Lore Bert zwischen Herbst 2019 und Juni 2020 einen neuen Zyklus von rund 230 Arbeiten realisiert, die im Buch »Lore Bert – Fomen und Farben« (Chorus-Verlag) dokumentiert sind. Ihre strahlenden Farben erleuchten das zweite Stockwerk der CADORO und wirken wie ein konstruktiver, lebensfroher Blick in die Zukunft. Eine größere Lehre hätte die 85jährige Künstlerin Lore Bert uns nicht schenken können!
Eine besondere Erwähnung verdienen die aktuellsten Arbeiten Lore Berts mit chinesischen Schriftzeichen, die noch einmal ihre Faszination für das in Worte, Buchstaben und Zahlen überlieferte Kulturerbe der Menschheit betonen. In einer Zeit, in der die ganze Welt nach China schaut und sich Fragen über den Ursprung des so gefährlichen wie erforschten Virus stellt, wendet Lore Bert ihren Blick auf das, was die uralte chinesische Kultur der Menschheit schenkte. Ihre Transparente mit chinesischen Schriftzeichen wirken wie ein Bild der geistigen Schönheit, die über all dem zu stehen scheint, was uns verunsichert und ängstigt. Als ob diese Werke uns dorthin begleiten möchten, wo es die wichtigsten Antworten gibt.
»Sonne und Reisen (chinesisch)« (Transparent mit Japanpapier und Sepia, 140 x 140 cm, 2021) zeigt die chinesischen Schriftzeichen für ›Sonne‹ und ›Reisen‹ in einer warmen rötlichen Farbe. Durch das, was uns in diesen schwierigen Monaten am Meisten gefehlt hat, möchte Lore Bert ihre Einladung aussprechen, unser Vertrauen in die Vernunft und das Staunen über unsere menschlichen Errungenschaften wiederzugewinnen.
Galerie Dr. Dorothea van der Koelen
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