Mobile & Verkehr

Radentscheid Rostock kritisiert Senatsbereich Verkehr

Der Radentscheid Rostock demonstriert heute gemeinsam mit Aktivistinnen der Greenpeace-Gruppe Rostock für mehr Platz für Fuß- und Radwege. Dafür sollte nach dem Willen der Verkehrsexperten in der Ernst-Barlach-Straße und dem Mühlendamm eine sogenannte Pop-Up-Bikelane eingerichtet werden: Dabei wird ein Fahrstreifen stadtauswärts in Richtung Flussbad mit Baken abgetrennt und für Radfahrende geöffnet. Doch auch mit mehreren Wochen Vorlauf schaffte die Hanse- und Universitätsstadt Rostock es nicht, den Weg ordnungsgemäß abzusichern, wodurch es nun zu einer Vollsperrung für den Pkw-Verkehr kommt. 

“Wir bedauern die Unannehmlichkeiten, die durch die Arbeitsverweigerung im Senatsbereich Verkehr entstanden sind”, betont Malte Brockmann. “Das Ziel der Versammlung war es, zu zeigen, wie eine sichere Radverbindung nach Brinckmansdorf aussehen kann, eine Vollsperrung des Mühlendamms war nicht das Ziel”, so der Verkehrsexperte des Radentscheid Rostock. Bereits am 2. Juni 2021 hatte Greenpeace Rostock dort eine Versammlung angemeldet, die damals auf Bitten des Umwelt- und Verkehrssenators Holger Matthäus verschoben wurde. Matthäus verwies darauf, dass mit ausreichend Vorlaufzeit die Baken zur Absicherung der Demonstration beschafft werden könnten. Diese fehlten seiner Aussage zufolge zu dem Zeitpunkt. Aus diesem Grund verzichtete Greenpeace Rostock Anfang Juni auf die Durchführung, gerade um eine Vollsperrung zu vermeiden. Mit Bedauern stellt Malte Brockmann nun fest: “Uns ist ein gutes Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden ein wichtiges Anliegen. Wir bedauern, dass sich der Senatsbereich Verkehr derart querstellt und mit der Vollsperrung für Kfz Bedingungen schafft, die unserem Anliegen zuwiderlaufen. Wir werden dennoch nicht erneut auf die Durchführung der Versammlung verzichten. Dieser Angriff auf die Versammlungsfreiheit ist nicht akzeptabel, denn die Versammlungsfreiheit ist einer der Grundpfeiler unserer Demokratie.” Hinzu kommt, dass die Versammlungsleitung erst einen Tag vor der Demonstration über die Vollsperrung informiert wurde und somit das Konzept der Versammlung nicht mehr anpassen konnte.

Trotz Umstrukturierung im Senatsbereich durch die Gründung des Amts für Mobilität zeigt sich, dass die Stadt Rostock noch weit davon entfernt ist, funktionsfähige Strukturen zu schaffen, die sichere Mobilität für alle gewährleistet. “Strukturen sind das eine, das richtige Personal in der Führung das andere. Das Vorgehen der verantwortlichen Personen muss geprüft werden und im Zweifel personalrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen”, fordert Florian Becker von Greenpeace Rostock. “Die Ämter haben dafür Sorge zu tragen, dass eine Versammlung so durchgeführt werden kann, wie sie angemeldet wird.” 

Dies ist bereits das zweite Mal in kurzer Zeit, dass sich Ämter unter Führung von Holger Matthäus nicht an Absprachen halten. Auch in der Langen Straße preschte das Amt für Mobilität mit einer nicht abgestimmten Variante entgegen der Absprachen mit dem Radentscheid Rostock vor, was zur Folge hatte, dass der Oberbürgermeister eingreifen musste.

“Für uns als Außenstehende wirkt das Amtsgebilde zunehmend dysfunktional, die zwei Amtsbereiche (Amt für Mobilität und Tiefbauamt) verheddern sich in Kompetenzstreitigkeiten. Die dauerhafte Besetzung der Amtsleitung des Amts für Mobiltät ist längst überfällig, zudem müssen die Weisungskompetenzen klar dort liegen und nachfolgende Tätigkeiten haben sich entsprechend zu richten”, so Becker.

Temporäre Radwege schützen Gesundheit und Klima

Wie aus den Verkehrszählungen der Stadt hervorgeht, stieg der Radverkehr in Rostock im Jahr 2020 um mehr als 15 Prozent an. Während andere Städte auf diesen Zuwachs mit temporären Pop-Up-Bikelanes reagierten, versäumte Rostock diese schnelle und kostengünstige Art, um Radwege zu schaffen. Der positive Effekt von temporären Radwegen ist nicht zu unterschätzen: Studien zeigen, dass es nach der Installation von Pop-up-Radwegen zu einem um den Coronaeffekt bereinigten Anstieg des Radverkehrs um 48 Prozent kommt*. Gerade für die praktisch nicht erschlossenen Neubausiedlungen in Brinckmansdorf hätte sich erstmals die Möglichkeit ergeben, sicher mit dem Rad in die Stadt zu fahren. Dies würde zu einer Entlastung der Fahrbahn und damit zu weniger Stau für Autofahrende, die auf ihr Auto angebunden sind, führen.

Der Mühlendamm stellt eine besondere Gefahrenstelle dar, da dort Fuß- und Radverkehr in beiden Richtungen auf engem Raum bergab und um eine Kurve geführt werden. Bereits im vergangenen Jahr hatten der Radentscheid Rostock, Greenpeace Rostock und Rostock for Future an dieser Stelle für eine Freigabe eines Teils der Fahrbahn für den Radverkehr demonstriert.

Diese Demonstrationen hatte das Amt für Mobilität zum Anlass genommen, ein Gutachten in Auftrag zu geben, welche die Durchführbarkeit eines Pop-Up-Radwegs prüfen sollte. “Das Gutachten liegt dem Amt bereits vor, nur handeln tut es nicht”, sagt Malte Brockmann. “Der Sicherheit von Radfahrenden wird hier keinerlei Wert beigemessen”, kritisiert Brockmann. Der Radentscheid Rostock schlägt einen kurzfristigen Verkehrsversuch am Mühlendamm vor: “Was nicht getestet wird, kann man nicht beurteilen. Die staulösenden Effekte von sicheren Radverbindungen überwiegen hier deutlich. Es ist ohnehin abwegig, Sicherheit und vermeintliche Pkw-Interessen gegeneinander aufzuwiegen. Sicherheit muss immer vorgehen. Dies hat auch der Bundesrat kürzlich erkannt und hat in der Verwaltungsvorschrift zur StVO die Vision Zero – das Ziel keine Schwerverletzten oder Verkehrstoten im Straßenverkehr – fest verankert,” stellt Malte Brockmann fest.

„Um Menschen in der Corona-Krise zu schützen, müssen Städte mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger freigeben“, sagt Florian Becker. „Die rechtlichen Möglichkeiten für sichere Radwege sind da, die Errichtung ist kostengünstig. Was fehlt ist der politische Wille.“

Weltweit entdecken Städte wie Brüssel, London und Paris das große Potenzial verkehrsberuhigter Innenstädte für den Infektions- und Klimaschutz. Hierzulande hat bisher nur Berlin umfassende Maßnahmen ergriffen, um Fuß- und Radverkehr zu erleichtern. Die Einrichtung von Pop-Up Radwegen, Fußgängerzonen und Spielstraßen ist schnell umsetzbar, rechtlich für Städte möglich und kostengünstig. 

„Damit Corona nicht auch die Verkehrswende infiziert, müssen Städte verhindern, dass Menschen wieder in Autos gezwungen werden. Das ist eine riesige Chance, um beim Umstieg auf sichere, saubere und klimafreundliche Verkehrsmittel voran zu kommen“, sagt Becker. “Viele Menschen sind bereits auf das Fahrrad umgestiegen. Jetzt ist es wichtig, dass sie nicht wieder zurück zum Auto wechseln. Dafür brauchen wir gute und sichere Infrastruktur für alle Menschen.” Der Wechsel zurück zum Auto droht die ohnehin miserable Klimabilanz des Verkehrs mit zusätzlichen Tonnen an CO2-Emissionen zu verschlechtern. Im Gegensatz zu anderen Bereichen ist der CO2-Ausstoß im Verkehr in den vergangenen Jahren auch wegen eines höheren Verkehrsaufkommens kaum gesunken. Um den CO2-Ausstoß auf den Straßen zu verringern, empfahlen zuletzt auch die Regierungsberater des Sachverständigenrats für Umweltfragen, Radfahrende und Fußgänger zu stärken und Autoverkehr in Städten unattraktiver zu machen.

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