Stadt statt A 104 – AIV fordert Abriss der gesamten ehemaligen A 104 in Berlin
Vier städtebauliche Forderungen und zehn Vorschläge für die gesamte Strecke der ehemaligen A 104
Der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV) fordert gemeinsam mit Hans Stimmann (Berliner Senatsbaudirektor a.D.) und Karl-Georg Wellmann (ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter) den Abriss der gesamten Trasse der ehemaligen A 104 in Berlin, um damit ein Modellprojekt des zukünftigen Stadtumbaus zu realisieren. Tobias Nöfer, AIV-Vorsitzender: „Der Abriss der Autobahnbrücke über dem Breitenbachplatz ist durch ein Verfahren mit Gutachten und Bürgerbeteiligung auf den Weg gebracht. Doch geht das Denken nicht weit genug, denn ein Rückbau nur dort wäre Stückwerk. Deswegen treten wir für den Komplettabriss ein.“
Um die großen städtebaulichen Chancen der durch den Abriss der A 104 wiederzugewinnenden Stadtquartiere zu verbildlichen, hat der Architekt Robert Patzschke, Vorstandsmitglied des AIV, Testentwürfe angefertigt und neue Baukörper in die vorhandene Baustruktur eingefügt. Diese städtebaulichen Skizzen sollen Politik, Wirtschaft und Bürger ermutigen, eine zukunftsweisende städtebauliche Position zu beziehen und den Umbau entschieden anzugehen.
Bereits bei dem Projekt „Unvollendete Metropole“, das der AIV mit Partnern durchgeführt hat, setzt sich der Verein für einen Paradigmenwechsel in Richtung nachhaltige Stadtentwicklung und Städtebau ein, der neue Dynamik erhalten muss. „Als Beispiel dafür fordern wir jetzt den Senat und die beteiligten Bezirke auf, die selbst proklamierte Verkehrswende ernst zu nehmen und das Projekt auf die gesamte Trasse vom Hohenzollerndamm bis zur Schlossstraße auszuweiten“, führt Nöfer aus. „Unsere Städte stehen vor einem grundsätzlichen Wandel: Angesichts der nicht länger zu leugnenden Klimakrise kann es ein ´weiter so´ im Städtebau nicht geben. Der Abschied von der ´autogerechten Stadt´ des 20. Jahrhunderts ist ein Thema, das umgehend und konsequent angegangen werden muss.“ Wie Stimmann betont, stecken in den Herausforderungen auch Chancen: „Die Stadt kann verlorengeglaubte Qualitäten eines urbanen Lebensraums im menschlichen Maßstab wiedergewinnen. Verdichtete, schöne und lebenswerte Städte schützen die Landschaft vor weiterer Zerstörung. Es eröffnen sich zudem große Chancen für die Errichtung einer großen Zahl neuer Wohnungen und die Rückkehr von Urbanität und humanem Wohnen und Arbeiten auf der heutigen Industrie- und Autobahnbrache. So entsteht eine angemessene Nutzung und Revitalisierung innerstädtischer Flächen. Die Autobahnbrücke über den Breitenbachplatz, die am 11. Juni 1980 eingeweiht wurde, ist Ausdruck einer längst überkommenen Verkehrsplanung.“
Nachdem die Planung einer Westtangente schon vor Jahrzehnten aufgegeben wurde und die Schnellstraße in eine Tempo-30- Zone mündete, wurde die Bundesautobahn A 104 im Jahre 2006 entwidmet. „Bereits die Regierungskoalition hat betont, dass die A 104 heute keine verkehrsnotwendige Funktion mehr erfüllt“, erläutert Wellmann. „Die seit über 40 Jahren andauernde Verunstaltung des Breitenbachplatzes war Anlass eines CDU-Antrags, den die rot-rot-grünen Fraktionen mit einem Ersetzungsantrag vom 16. Mai 2019 im Prinzip übernommen und beschlossen haben. Gegenstand des Ersetzungsantrags war aber nicht der Abriss, sondern eine Aufforderung an den Senat, ´im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zu untersuchen, unter welchen städtebaulichen, verkehrlichen, ökologischen und finanziellen Rahmenberechnungen der Rückbau der Autobahnbrücke und die Neugestaltung des Breitenbachplatzes möglich ist.´“
Obwohl es um Fragen der Stadtentwicklung geht, wurde eine Machbarkeitsstudie nicht etwa von der Stadtentwicklungsverwaltung, sondern von der von den Grünen geführten Verkehrsverwaltung in Auftrag gegeben. Diese konzentrierte sich aber nicht auf die gesamte A 104, sondern nur auf die Hochstraße über dem Breitenbachplatz. Das Ergebnis soll im Juni vorliegen. Wellmann kommentiert: „Im politischen Alltag der Stadtentwicklungspolitik bedeutet der Zeitplan, dass die naheliegende Entscheidung über den Abriss der Hochstraße auf einen Zeitpunkt nach den Abgeordnetenhauswahlen im September verschoben und damit die Chance einer neuen Nutzung und Gestaltung der ehemaligen Autobahntrasse nicht ergriffen wird.“
Patzschke: „Über 30 Jahre nach dem Fall der Mauer bietet die gesamte Trasse unausgeschöpfte Baupotenziale für neue Formen innerstädtischer Mischung aus Wohnen, Arbeiten und neuer Mobilität, aber auch die bestandspolitische Chance, vorhandene Potentiale wie die Russisch-Orthodoxe Kirche, die ´Schlange´ und den ´Bierpinsel´ besser zur Wirkung zu bringen.“
Zudem stellen Stimmann und Wellmann gemeinsam mit dem AIV vier städtebauliche Forderungen und zehn Vorschläge auf, die die gesamte Strecke der ehemaligen A 104 betreffen (ausführliche Forderungen und Vorschläge s. Dokument anbei):
1. Sofortige Stilllegung der A 104
2. Rückbau der Ingenieurbauwerke für die A 104
3. Internationaler städtebaulicher Wettbewerb
4. Kongress zum Thema Großstadt und neue Mobilität
„Mit einem entschlossenen Vorgehen, das den politischen, ökologischen, sozialen, verkehrlichen, kulturellen und gestalterischen Ansprüchen des Ortes und unserer Zeit gerecht wird, kann aus dem Problem A 104 ein Projekt mit Leuchtkraft werden. Wir erwarten von den Parteien im Land und in den Bezirken vor den Wahlen Stellungnahmen zu unseren Forderungen“, so Stimmann, Wellmann, Patzschke, Nöfer abschließend.
Der AIV hat das Ziel, die Berliner und Brandenburger Baukultur zu fördern. Seine wichtigste Aufgabe sieht der traditionsreiche und älteste noch bestehende Verein Berlins somit darin, Stellung zu aktuellen Planungsvorgängen zu beziehen. Er nimmt damit Einfluss auf die Entwicklungen in wichtigen Bereichen der Metropolregion. Der AIV analysiert und kommentiert Etappen und Projekte; er stellt Diskussionsansätze für die zukünftige Stadt- und Metropolentwicklung vor und ist somit ein kritischer Begleiter der Bau- und Kulturgeschichte Berlins und Brandenburgs. www.aiv-berlin-brandenburg.de, aktuelle Informationen über Twitter @AivBerlin.
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