Finanzen / Bilanzen

Delta-Variante: Risikofaktor für Reisesaison und Bundestagswahl

Die Verbreitung der Delta-Variante wird in der Sommersaison 2021 Touristenströme umlenken, wenn einzelne Urlaubsländer – wie zuletzt Portugal – als Virusvariantengebiete eingestuft werden. Allerdings dürfte sich Delta in Kürze auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern durchsetzen. Es stellt sich daher die Frage, wie lange die Einstufung von Ländern mit einem hohen Delta-Anteil als Virusvariantengebiet zu rechtfertigen ist. Letztlich könnte die Einteilung in Risikogebiet und Hochinzidenzgebiet wieder sinnvoller sein. Sollte nach den Sommerferien ein Schutzkonzept an den Schulen fehlen und Delta zu Störungen des Schulbetriebs führen, könnte dies die Wahlentscheidung vieler Menschen beeinflussen.

Die Virologen sind sich aktuell einig: Die Delta-Variante wird sich in Europa in den kommenden Wochen und Monaten durchsetzen, weil sie ansteckender als andere Varianten des Coronavirus ist. Dieser Prozess verläuft innerhalb Europas zeitlich nicht synchron. In manchen Ländern dominiert Delta bereits seit einiger Zeit. Dazu zählt Großbritannien, wo sich der Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen inzwischen der 100%-Marke nähert. Auch aus Portugal und Russland wurden zuletzt steigende Anteile vermeldet. Zudem nimmt hier die Zahl der Corona-Neuinfektionen wieder zu. 

Diese Zahlen zu den Delta-Anteilen sind nicht gleichermaßen zuverlässig bzw. aussagekräftig. Das liegt daran, dass die Länder die Neuinfektionen unterschiedlich intensiv auf Virusvarianten untersuchen (Genom-Sequenzierung). Zudem kommt es zu zeitlichen Verzögerungen zwischen der Genom-Sequenzierung und der jeweiligen Veröffentlichung der Ergebnisse. Beispielsweise hat das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem Bericht über die Virusvarianten von Ende Juni den Anteil der einzelnen Varianten von etwa zwei Wochen zuvor, also Mitte Juni, ausgewiesen. Damals kam Delta auf einen Anteil von 37%. Viele Virologen gehen jedoch davon aus, dass der Anteil bereits auf 50% gestiegen ist und Delta spätestens im Juli auch in Deutschland zur dominierenden Variante wird.

Virusvariantengebiete werden erhebliche wirtschaftliche Einbußen im Tourismus erleiden
Die Frage, wo und wie schnell sich die Delta-Variante durchsetzen wird, kann einen erheblichen Einflubeinss auf die Reisesaison 2021 haben. Das RKI hatte Portugal und Russland kürzlich zu Virusvariantengebieten erklärt. Die Einstufung von Portugal gilt zunächst für zwei Wochen (seit 29. Juni). Eine Verlängerung ist jedoch möglich. Da aktuell bei einer Einstufung eines Landes oder einer Region als Virusvariantengebiet die 14-tägige Quarantänepflicht bei Rückkehr aus diesen Ländern auch für vollständig Geimpfte und Genesene gilt und eine Freitestung nicht möglich ist, wurden bereits viele Urlaubsreisen nach Portugal storniert. Die meisten Urlauber, die sich zum Zeitpunkt der Einstufung von Portugal als Virusvariantengebiet dort aufgehalten hatten, brachen ihren Urlaub vorzeitig ab. Bei der aktuell gültigen Regelung in Deutschland kommt die Einstufung eines Landes oder einer Region als Virusvariantengebiet in der Praxis einem Reiseverbot gleich, weil die wenigsten Urlauber nach ihrer Rückkehr für 14 Tage in Quarantäne gehen möchten oder können; insbesondere, wenn die betreffenden Personen vollständig geimpft sind.

Setzt sich die aktuell gültige Praxis durch, drohen jenen Ländern, die frühzeitig als Virusvariantengebiete eingestuft werden, erhebliche Einbußen bei den Einnahmen aus dem Tourismus. Dies wäre vor allem für die spezifischen Urlaubsregionen in den jeweiligen Ländern eine wirtschaftliche Katastrophe, da regional häufig mehr als 50% der Wirtschaftsleistung auf den Tourismus entfallen. Andere Länder, die offiziell einen niedrigeren Delta-Anteil und geringe Inzidenzen aufweisen, würden dagegen profitieren. Denn der grundsätzliche Reisewunsch bleibt bei den meisten Menschen bestehen, die sich dazu entschieden haben, eine Urlaubsreise (ins Ausland) anzutreten. Bei der aktuell gültigen Regelung wird Delta also Reiseströme umlenken. Es wird relative Gewinner geben. Zugleich reduziert Delta die Planungssicherheit in der Tourismusbranche in ohnehin ungewissen Zeiten.

Natürlich betrifft Delta auch die klassischen Herkunftsländer, in denen sich die Variante früh durchsetzt bzw. durchgesetzt hat, z.B. Großbritannien. Gegenüber solchen Staaten können die Einreisebestimmungen verschärft werden; Portugal und Spanien haben dies zuletzt nachgeholt, nachdem zuvor Urlauber aus Großbritannien ohne Auflagen in diese Länder reisen konnten. Relativ harmlose und vertretbare Einreisebestimmungen sind dabei Impf- oder Testnachweise. Besteht bei Einreise aber eine Quarantänepflicht, werden die Urlauber aus diesen Herkunftsländern auf andere Zielmärkte ausweichen oder ihren Urlaub im eigenen Land verbringen. 

Frage der Verhältnismäßigkeit
Einschränkungen der Reisefreiheit sollten immer dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit genügen. Schließlich ist das freie Reisen innerhalb der EU ein Kernelement der europäischen Integration. Für viele Menschen dürfte dies sogar die größte Errungenschaft sein. Die Frage der Verhältnismäßigkeit bezieht sich aber auch auf die wirtschaftlichen Folgen in den betroffenen Regionen. Zwar kann man die (vorerst befristete) Einstufung Portugals als Virusvariantengebiet aus deutscher Sicht damit erklären, dass man die Verbreitung der Delta-Variante durch Reiserückkehrer verlangsamen möchte. Klar ist aber auch, dass sich Delta in Deutschland durchsetzen wird.

Letztlich wird sich die Politik also die Frage stellen müssen, wie lange die Einstufung von Ländern mit einem hohen Delta-Anteil als Virusvariantengebiet zu rechtfertigen ist, wenn Delta auch in Deutschland (bald) die dominierende Variante ist. Werden klassische Urlaubsdestinationen quasi dafür bestraft, dass sie viele Genom-Sequenzierungen vornehmen und veröffentlichen, sinkt der Anreiz, dies zu tun. Damit könnte die Einteilung in Risikogebiet und Hochinzidenzgebiet wieder sinnvoller sein – also der Blick auf das tatsächliche Infektionsgeschehen, aber auch auf Hospitalisierungen. Dies sollte mit einer Testpflicht und Kontrollen dieser Pflicht kombiniert werden, für die sich zuletzt viele Politiker ausgesprochen haben. Ein solches Vorgehen wäre auch mit den Fortschritten bei den Impfungen zu rechtfertigen, denn die Zahlen aus Großbritannien zeigen, dass vollständig Geimpfte und Genesene sehr gut vor der Delta-Variante geschützt sind. Zwar steigen die Hospitalisierungen und Todesfälle in UK zuletzt wieder an. Sie liegen aber auf einem deutlich geringeren Niveau als zu Beginn des Jahres. Im Gesundheitssystem droht keine Überlastung; das gilt auch für die gesamte EU. Es wird für vollständig Geimpfte und Genesene jedenfalls schwer vermittelbar sein, nach Rückkehr aus einem als Virusvariantengebiet eingestuften Land in Quarantäne gehen zu müssen, wenn die betreffende Virusvariante auch im Inland dominierend geworden ist. 

Wird Delta zu einem Faktor bei der Bundestagswahl?
Die Delta-Variante könnte nicht nur die Reisesaison 2021 durcheinander wirbeln, sondern auch zu einem Faktor bei der Bundestagswahl werden. Sollte Deutschland dabei bleiben, klassische Urlaubsländer mit hohem Delta-Anteil über die Sommermonate als Virusvariantengebiet einzustufen, obwohl die Variante auch in Deutschland selbst dominierend wird, wird dies die Reisepläne von vielen Menschen negativ beeinflussen und/oder Kosten verursachen. Dies dürfte viele Familien mit schulpflichtigen Kindern betreffen, die aufgrund der zusätzlichen Lasten durch die Corona-Krise „urlaubsreif“ sind. Sie könnten sich genau die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen und diese ggf. an der Wahlurne zu Lasten der Regierungsparteien beantworten, und sei es nur, indem sie gar nicht wählen gehen. 

Fehlende Schutzkonzepte für Schulen könnten Unmut weiter vergrößern
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Die Virologen stimmen darin überein, dass die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland wegen der Delta-Variante spätestens im Herbst wieder steigen wird. Da bis dahin der Großteil der impfwilligen Erwachsenen vollständig geimpft und damit gut geschützt sein wird, könnte sich das Infektionsgeschehen auf Schulen und Kitas konzentrieren. Es muss zwar nicht zu einer ausgeprägten vierten Welle oder großen wirtschaftlichen Schäden kommen, aber Schul- und Kitabetrieb könnten beeinträchtigt werden. Sollten die Schulen nach den Sommerferien zum Wechselunterricht zurückkehren oder gar geschlossen werden müssen, weil noch keine anderen Schutzkonzepte entwickelt und umgesetzt wurden (z.B. Luftfilter), dürfte der Unmut bei vielen Menschen groß sein. Zwar ist die Bildungspolitik Ländersache, aber ob die Wähler dies (eventuell nach einem Sommer ohne Urlaubsreise) bei der Bundestagswahl differenzieren werden, ist ungewiss.

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