Neuer Angriffspunkt für aggressiven Darmkrebs entdeckt
Gut 58.000 Menschen erhalten in Deutschland jedes Jahr die Diagnose Darmkrebs. Besonders für weit fortgeschrittene Darmkrebserkrankungen mit nicht-operablen Metastasen werden dringend neue Therapien benötigt. Ein Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Dresden und Heidelberg und vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat nun mit dem Proteinkomplex Cyclin K/CDK12 eine Struktur identifiziert, an der sich die Tumorzellen besonders aggressiver Darmkrebsformen sehr gezielt angreifen lassen. „Dies ist eine wichtige Grundlage, um künftig neue Medikamente für Patienten mit Darmkrebs zu entwickeln oder vorhandene CDK12-Inhibitoren auf ihre Wirksamkeit gegen diese Tumoren zu testen“, sagt Prof. Hanno Glimm, einer der geschäftsführenden Direktoren am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC), der neben seiner dortigen Abteilung auch eine Forschungsgruppe am DKFZ in Heidelberg leitet.
Bei ihrer Suche nach neuen Ansätzen für die Darmkrebstherapie züchteten die Wissenschaftler im Labor aus patienteneigenen Tumorzellen dreidimensionale Modelle, die den Aufbau und das Zusammenspiel unterschiedlicher Zellen in menschlichen Darmtumoren besonders gut repräsentieren. Insgesamt 24 unterschiedliche 3D-Zellkulturen (Sphäroide) bildeten hierbei wichtige genetische Unterformen von Darmkrebs ab. An diesen Modellen testeten die Wissenschaftler die Wirksamkeit von 80.000 Substanzen. Bei diesem Screening erwies sich ein Stoff als besonders wirkungsvoll, der den Abbau von Cyclin K und CDK12 auslöste.
Das Protein CDK12 ist seit kurzem als möglicher Angriffspunkt für verschiedene Tumorarten ins Blickfeld der Forschung gerückt. Für Darmkrebs wurde dieser Zusammenhang bislang nicht erforscht. Im Verbund mit Cyclin K reguliert CDK12 wichtige DNA-Reparaturmechanismen in Krebszellen. Wird der Cyclin K/CDK12-Komplex vermehrt abgebaut, kann dies dazu führen, dass Zellen DNA-Schäden anhäufen und absterben.
Bei einem Teil der Darmkrebs-3D-Zellmodelle war die Inaktivierung von Cyclin K/CDK12 besonders wirksam. Diese wiesen genetische Veränderungen auf, die mit einer besonders schlechten Prognose und hohen Wahrscheinlichkeit für Metastasen verbunden sind (molekularer Subtyp 4). Weitere Zellexperimente zeigten, dass sich Cyclin K/CDK12 sehr spezifisch angreifen lässt, ohne dass andere Eiweißstoffe beeinflusst werden, deren Hemmung zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen kann. „Diese sehr spezifische Möglichkeit der Adressierung ist für uns von hoher Relevanz. Sie erhöht die Chance, dass klinisch anwendbare Substanzen, die den Abbau von Cyclin K und CDK12 auslösen, künftig bei einer klar definierten Gruppe von Patienten mit besonders schlechter Prognose hoch wirksam und gut verträglich sein könnten“, erklärt Prof. Glimm. Weitere Experimente deuteten zudem darauf hin, dass die Hemmung von CDK12 auch in Kombination mit in der Darmkrebs-Therapie gängigen Chemotherapeutika effektiv gegen das Tumorwachstum wirkt.
Die Forscher fanden zudem heraus, dass es sich bei der im Zellexperiment erfolgreichen, bislang uncharakterisierten Substanz zur Cyclin K/CDK12-Inaktivierung um einen Wirkstoff aus der neuartigen Substanzklasse der molekularen Klebstoffe handelt. Molekulare Klebstoffe greifen Krebszellen über einen innovativen Mechanismus an: Anders als vorhandene Medikamente hemmen sie krebstreibende Strukturen oder deren Aktivität nicht direkt, sondern führen sie der zelleigenen Eiweißabbaumaschinerie zur Entsorgung zu.
Aus der Gruppe der molekularen Klebstoffe sind bislang nur wenige Vertreter bekannt. „Unsere neu entdeckte Substanz belegt erneut die hohe Effektivität dieser neuen Wirkstoffklasse. Wir gehen davon aus, dass sich in Zukunft mit molekularen Klebstoffen Zielstrukturen hemmen lassen, die mit bisherigen Medikamenten nicht angreifbar sind“, sagt Erstautor Dr. Sebastian Dieter. Künftig wollen die Wissenschaftler den neu entdeckten molekularen Klebstoff nach Möglichkeit so verändern, dass er als klinisch anwendbarer Wirkstoff genutzt werden kann. Alternativ sollen ähnliche Substanzen mit gleichem Wirkmechanismus erforscht werden.
Veröffentlichung:
S. M. Dieter, C. Siegl, P. L. Codó, et al. Degradation of CCNK/CDK12 is a druggable vulnerability of colorectal cancer. In: Cell reports, Volume 36, Issue 3, 20 July 2021; https://doi.org/10.1016/j.celrep.2021.109394
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bietet medizinische Betreuung auf höchstem Versorgungsniveau. Als Krankenhaus der Maximalversorgung deckt es das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Das Universitätsklinikum vereint 20 Kliniken und Polikliniken, vier Institute und zehn interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten.
Mit 1.295 Betten und 160 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Dresdner Uniklinikum das größte Krankenhaus der Stadt und zugleich das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. Rund 860 Ärzte decken das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. 1.860 Schwestern und Pfleger kümmern sich um das Wohl der Patienten. Wichtige Behandlungsschwerpunkte des Uniklinikums sind die Versorgung von Patienten, die an Krebs, an Stoffwechsel- und an neurodegenerativen Erkrankungen.
Deutschlands größter Krankenhausvergleich des Nachrichtenmagazins „Focus“ bescheinigt dem Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden eine hervorragende Behandlungsqualität. Die Dresdner Hochschulmedizin belegt deshalb Platz zwei im deutschlandweiten Ranking.
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden
Die Hochschulmedizin Dresden, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich in der Forschung auf die Bereiche Onkologie, metabolische sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Bei diesen Schwerpunkten sind übergreifend die Themenkomplexe Degeneration und Regeneration, Imaging und Technologieentwicklung, Immunologie und Inflammation sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationaler Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung – die Hochschulmedizin Dresden lebt diesen Gedanken mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 73 Nationen sowie zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams in aller Welt.
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
- Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
- Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
- Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen betreibt das HZDR große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Das HZDR ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat fünf Standorte (Dresden, Freiberg, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).
Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatienten an den NCT-Standorten auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch der NCT-Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln. Das Dresdner Zentrum baut auf den Strukturen des Universitäts KrebsCentrums Dresden (UCC) auf, das 2003 als eines der ersten Comprehensive Cancer Center (CCC) in Deutschland gegründet wurde. Seit 2007 wurde das UCC von der Deutschen Krebshilfe e.V. (DKH) kontinuierlich als "Onkologisches Spitzenzentrum" ausgezeichnet.
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