Überfall auf Kordula, Kritzeleien aus dem Literaturinstitut sowie Hilfe vom Klabautermann – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
In seinem zweiten Angebot für diesen Newsletter hat Günter Saalmann unter dem Titel „Besuch im Großen ZOO“ Gedichte, Reime und Rätsel aus drei Jahrzehnten zusammengestellt – von relativ brav bis ziemlich bissig. Und des Autors eigene Kritzeleien aus dem Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ sind auch dabei.
Auch um Tante Amelie geht es in „Das Ei in der Trompete. Ein Roman für Kinder, aber auch für Erwachsene, die noch wissen möchten, worauf es im Leben manchmal ankommt“ von Manfred Richter.
Gleich drei Bücher in einem von Helma Heymann stecken in dem E-Book „Halbhorn, die Mühle vom Ginsterberg und das Faschingsschneiderlein“.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Im heutigen Newsletter steht das Thema Natur- und Umweltschutz im Vordergrund – und ein Riesenskandal, der sich Anfang der 1970er Jahre in der alten Bundesrepublik zugetragen hat. Und es scheint, als sei dieses Thema noch immer aktuell.
Erstmals 1972 veröffentlichte Wolfgang Held im Kinderbuchverlag Berlin „Im Netz der weißen Spinne“: Sieben Jungen und Mädchen finden im Fluss einen Behälter. Er bringt höchste Gefahr. Gift ist in den Strom geraten. Wer produziert solch gefährliche Giftstoffe? Und wozu? Wer ist verantwortlich für ihre Verwahrung? Wolfgang Held hat in dieser spannenden Erzählung Fragen gestellt und beantwortet, die noch immer von Bedeutung sind. Er sieht nicht nur die Erscheinungen, sondern erklärt auch Ursachen und Zusammenhänge. Die Überzeugungskraft erwächst aus ihrem dokumentarischen Boden. Die Fantasie des Autors hält sich an Tatsachen, die uns in Erinnerung sind und täglich neu entstehen können …
Das Netz der weißen Spinne ist noch in Funktion. Hier ein Auszug aus dem spannend geschriebenen Buch, der schon ahnen lässt, dass da irgendwas nicht stimmt, auch wenn noch nicht ganz klar ist, was genau:
„Auf der Polizeiwache des Rheinstädtchens loderte seit einer Stunde helle Aufregung. Der Rentner Wilhelm Redmer mit den drei toten Wildenten war hier bereits keine Sensation mehr. Da hätte er schon vor der Mittagsstunde auftauchen müssen. So aber stopfte ein junger Polizeianwärter die toten Tiere in einen Plastbeutel, als sei dies eine alltägliche Beschäftigung. Ein dürrer Wachtmeister stellte ein paar Fragen nach Zeit und Ort des Entenfundes und ließ den alten Maurer das kurze Protokoll unterschreiben. Vielen Dank, Herr, wie war doch gleich der Name? Redmer? Richtig, Herr Redmer! Also vielen Dank, Herr Redmer, das wäre es dann. Sie können gehen. Nein, Erklärungen dürfen wir nicht abgeben. Machen Sie sich keine Gedanken, das geht jetzt schon alles seinen richtigen Gang. Tut mir leid, wirklich! Eine Seuche? Wie kommen Sie denn auf so was, Mann? Stecken Sie da bloß nicht Ihre Nase rein, verstanden? Amtsangelegenheit! Kein Kommentar! Bitte, verlassen Sie jetzt unsere Diensträume, Herr! Begreifen Sie nicht? Raus, Mann!
Rutscht mir doch den Buckel herunter mit eurer Geheimniskrämerei, dachte Opa Redmer verärgert und stapfte aus dem Haus. Für ihn stand felsenfest, dass er seinen Fuß nicht so bald wieder über diese Schwelle setzen würde. Meinetwegen kann es ab sofort Rhinozerosse oder sechsbeinige Elefanten vom Himmel regnen, ich werde mich nicht mehr einmischen. Weiß der Teufel, was hier wieder für eine Schweinerei im Gange ist. Und dahinter steckt eine, darauf würde ich jede Wette eingehen.
Was den Zorn auf die Geheimniskrämerei betraf, tat Wilhelm Redmer den Polizisten unrecht. Wahrscheinlich wären sie viel gesprächiger gewesen, wenn ihnen nicht ein strenger Befehl des Innenministers jede Auskunft verboten hätte. Kein Wort über Art und Anzahl der rätselhaften Geschehnisse dieses Sonntags! Absolute Verschwiegenheit gegen jedermann, besonders gegen Leute von der Presse! Sagt den Zeitungsfritzen, die Angelegenheit wird zurzeit noch untersucht. Heute Abend ist eine Erklärung des Sprechers der Landesregierung zu erwarten. Die Ursachen der merkwürdigen Vorfälle entlang des rechten Rheinufers kannten die Polizisten ebenso wenig wie der alte Maurer. Angefangen hatte es bei ihnen mit einem Telefonanruf kurz nach zwölf Uhr mittags.
Ein Mann von der Fischereigenossenschaft war am Apparat gewesen. Er hatte erregt gefordert, dass auf der Stelle jemand von der Polizei zur Ufermauer am Kniebogen kommen sollte.
Der Oberwachtmeister hatte die Flusspolizei benachrichtigt und war mit dem Anwärter im Streifenwagen losgefahren. Blinklicht und gellendes Martinshorn hatten einen Keil ins Autogetümmel getrieben und schnelles Vorwärtskommen ermöglicht.
„Kniebogen“ nannten die Leute eine sanfte Windung des Stromes, ungefähr einen Kilometer vor dem südlichen Ortsrand. Ein Landbuckel, der hier in die träge Strömung ragte, wäre von den alljährlichen Frühjahrsüberschwemmungen gewiss längst abgeschliffen und fortgespült worden, wenn nicht eine Wand aus zentnerschweren Steinquadern gegen die drängende Kraft des Wassers Schutz und Halt geboten hätte. Im Flutschatten dieser Landzunge gab es einen Kai, an dem ein halbes Dutzend Rheinfischer ihre flachen Boote festmachten. In den letzten Jahren war diese Zahl ständig kleiner geworden, denn die Fänge brachten nicht mehr soviel ein wie einst, als es an den Ufern noch keine mächtigen Industrieriesen gab, die Tausende von Hektolitern giftiger Abwässer ungereinigt in den Strom fließen ließen, der jetzt zudem auch gegen die für Fische und Pflanzen tödlichen Laugen aus aber tausend Haushaltswaschmaschinen kämpfen musste. Die Kaimauer trug zwar zwanzig gusseiserne Poller, doch nur sechs davon wurden noch für die Halteseile der Fischerboote gebraucht.
Die Polizisten im Streifenwagen sahen den Mann aus der Fischereigenossenschaft schon von Weitem. Er stand am Straßenrand und winkte heftig. Er schimpfte los, noch ehe der aus dem Wagen steigende Oberwachtmeister eine Frage stellen konnte. „Verbrecher sind das!“, wetterte der Fischer und fuchtelte aufgebracht mit seinen großen Händen. „Eiskalte Gangster! Sie nehmen uns nicht nur die Margarine vom Brot, sie nehmen uns auch noch das trockene Brot! Kommen Sie, wer es nicht gesehen hat, wird es nicht glauben!“
Mit großen, schnellen Schritten lief der Fischer quer über die Landzunge, dorthin, wo die Strömung gegen die Böschungssteine drückte. Er deutete hinab zum Wasser und schüttelte empört den Kopf. Die beiden Uniformierten konnten noch nicht erkennen, was dort unten vor sich ging, aber sie rümpften die Nase gegen den widerlichen Gestank, der aus dieser Richtung wehte.
„Dynamit!“, behauptete der Fischer zornig. „Da geht stromauf irgendein Lumpenkerl mit Dynamitpatronen auf Fischfang!“
Der Polizeianwärter schaute den Oberwachtmeister fragend an. Er kam aus dem Schwarzwald und war erst vor zehn Tagen zur Polizeiwache des Rheinstädtchens versetzt worden. Von Flussfischerei wusste er gerade so viel, dass ein Boot und ein Netz dazu benutzt wurden. Der Vorgesetzte erklärte ihm, was der Fischer vermutete.
„Die Methode ist wahrscheinlich so alt wie Schießpulver und Zündschnur“, sagte er. „Und eine riesengroße Gemeinheit. Sie werfen Sprengpatronen ins Wasser, die in der Tiefe explodieren. Die dabei entstehende Druckwelle tötet alles, was im weiten Umkreis lebt, also nicht nur die großen Fische, sondern auch die Brut und viele kleine Wassertiere. Mit geplatzter Schwimmblase treiben die toten Fische an die Oberfläche, wo sie von den Räubern bloß abgeschöpft werden, bis alle Kisten voll sind. Ein riesiger Fang, aber nur ein einmaliges Geschäft. Manchmal dauert es Jahre, bis an solchen Stellen wieder etwas nachgewachsen ist.“
Der Polizeianwärter begriff und starrte angeekelt hinunter zum Wasser, wo die Strömung Hunderte, vielleicht sogar Tausende toter Fische anschwemmte. Sie bildeten eine breite, silbrig-fahle, stinkende Haut, die wuchs und wuchs. Der junge Mann in Uniform musste sich abwenden. Brechreiz würgte ihn. Der Oberwachtmeister beobachtete es und grinste herablassend. Nicht abgehärtet, die jungen Kerlchen heutzutage! Er zückte sein Protokollbuch, um die Angaben des Fischers aufzuschreiben. Auf dem Strom näherte sich unterdessen ein weißes Motorboot. Flusspolizei. Vorn am Bug kniete ein Uniformierter. Er hielt eine Stange, an deren oberem Ende ein kleines Fangnetz angebracht war. Geschickt angelte er ein paar tote Fische aus dem Wasser. Ein paar Minuten später stand er bei seinen Kollegen und dem Fischer auf der Landzunge. Das volle Netz hatte er mitgebracht.
„Sehen Sie sich das mal genau an“, forderte er. Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters.
Ebenfalls im Kinderbuchverlag Berlin erschien erstmals 1993 „Zu keinem ein Wort! Ein Kriminalfall“ von Günter Saalmann: Sommer 1989. Noch scheint alles in Ruhe zu verharren. Doch es brodelt unter der Kruste. Dann wird Kordula, Tochter eines polnischen Nachbarn, überfallen; ein Hakenkreuz in ihre Haut geschnitten. Die Staatssicherheit vertuscht, wo sie vorgibt, zu ermitteln. Unschuldige werden verhört, diffamiert und ausspioniert, während die Neonazis immer dreister werden. Diese Geschichte beruht auf einem authentischen Fall. Anfangs aber scheint wirklich noch alles friedlich zu sein, scheinbar friedlich und ruhig. Es regnet zumindest nicht mehr. Und wir lernen Kordula kennen – zumindest ein bisschen:
„Die Friedhofsfete
Der Regen hat aufgehört.
Alfred duckt den Nacken in den Kragen der Felljacke. Kalt ist es noch einmal geworden an diesem 20. April 1989 in diesem windigen, vom Bergbau geschundenen Winkel des Vaterlandes. Die Abraumhalde vor dem Bleihimmel hat den Umriss eines Stahlhelms. Und so heißt sie bei den Leuten: Der Ölschnitzer Helm. Es würde Alfred nicht sehr wundern, wenn plötzlich der Teufel käme und das Ding genau auf Ölschnitz stülpen würde. Dann säßen die braven Bürger für alle Zukunft trocken und warm. Und schön miefig.
Bei dem Gedanken kichert Alfred schadenfroh vor sich hin. Ein erstaunter Brillenblick seiner Mitschülerin Ella Rychlik trifft ihn, die an seiner Seite dahinzockelt, bemüht, nicht zu humpeln. Sie hat neue Lederschuhe an und eine Blase am Fuß.
Die Klasse trabt verdrossen hinter Frau Schultheiß her, die sich diesen Nachmittagsausflug ausgedacht hat. Und die ihr Unternehmen jetzt wohl selbst verflucht. Sie legt Tempo vor.
Die Abkürzung durch die Schrebergärten ist glitschig. Ella greift Halt suchend nach Alfreds Oberarm, damit sie nicht hinrutscht.
Er macht den Arm steif, sie lässt wieder los.
„Pardon“, sagt sie. „Jetzt ist die Blase bestimmt aufgegangen.“
„Sorry“, brummt er.
„Wir zwei vertreten hier wieder mal die gesamte Pestalozzi-Fraktion.“
„Sieht so aus.“
„Hanno latscht keinen Schritt mehr zu Fuß.“
„Hm.“
„Löffel hat’s auch nicht nötig.“
Ich Rindvieh, denkt Alfred. Warum latsche ich hier mit, lasse mir Dialoge aufzwingen.
„Unser Geburtstagskind Simone fehlt auch.“ Ella Rychlik klemmt ihren Regenschirm unter den anderen Arm, und damit ist das Gespräch versiegt. In der Klasse bürgert sich allmählich für das pummelige Mädchen der Spitzname Ypsilon ein. Und zwar wegen des Anblicks ihrer Vorderpartie in den prall gewölbten Jeans.
Die „Pestalozzifraktion“, das sind jene, die von der Ölschnitzer Pestalozzischule in diese 11a der Gennadi-Akimow-Schule übernommen wurden.
Die die Ehre hatten, „Erweiterte Oberschüler“ zu werden.
Hanno. Hanno Viertels.
Ingo Drews, genannt Löffel.
Simone Meinecke.
Ella selber — Ypsilon.
Alfred Donner.
Ein Mitglied der Fraktion blieb unerwähnt. Kordula. Manche nennen sie „die Polin“.
Kordula Przebylla. Von ihrem polnischen Vater hat sie das krause, ganz tief braune Haar, das elektrisch-blau sprüht, wenn Disko-Spotlights sich darin verfangen, die leicht gebogene Nase mit den beweglichen Nüstern. Das Sichelpaar ihrer schwarzen, wie vor Staunen gehobenen Brauen, das helle, ovale Gesicht. Alfred besitzt noch von seinem Großvater einen Bildband über den Maler Chagall. Dort gibt es solche Schneewittchengesichter, sanft und bestürzend.
Kordel, das Biest. An ihr musste Alfred vor drei oder vier Jahren die Liebe erfahren. Das neue Gefühl traf ihn wie ein Boxhieb, als er beim Sportfest im Gras ihr Medaillon fand. Es war ein großer ovaler Porzellananhänger mit dem Christuskreuz darauf. Die geflochtene Lederschnur war korallenrot und gerissen, und ihn überkam der Wunsch, den Fund an die Wange zu drücken. Er schaute sich verstohlen um und tat es: Das Porzellan bewahrte noch einen Rest Wärme der Mädchenhaut. Er gab den Schmuck nicht sofort zurück, sondern legte ihn abends in einen Briefumschlag und verfasste — in Geheimschrift! — ein Gedicht. Es begann: Ich hab eine Kordel gefunden, damit ist mein Herz nun gebunden …
Wie glühte er damals für seinen feinsinnigen Einfall, die geflochtene Schnur, die ja eine Art Kordel war, mit dem Vornamen der Trägerin dichterisch zu verknüpfen!
Übrigens bekam sie bereits in der siebenten Klasse ihren Busen, von dem heutzutage die Männer Froschaugen kriegen. Der schon damals beim Sportfest beträchtlich hüpfte, zusammen mit dem Medaillon an der korallenroten Kordel.
Das Gedicht endete in einer gereimten Leseanweisung für die Geheimschrift. Er hat in den Umschlag noch eine Handvoll Gummibärchen getan, von denen er wusste, dass Kordula sie fleißig aß, weil den Mädchen angeblich davon kräftige Fingernägel wuchsen.
Die Nägel sind ihr gewachsen. Von seinem poetischen Erguss hat sie wahrscheinlich nicht Kenntnis genommen. Konnte sie nicht, denn die Leseanweisung war versehentlich ebenfalls in Geheimschrift aufgeschrieben. Ja, er war durcheinander, damals. Spätere Gedichte, hauptsächlich über die Jahreszeiten Herbst und Winter — hat er nicht mehr in Geheimschrift notiert. Sie zeigten denn auch Wirkung, und zwar öffentliche: Man wählte ihn alljährlich zum Wandzeitungsredakteur, froh, einen Trottel gefunden zu haben.
Alfred lächelt müde. Vom Thema Liebe hat er seitdem die Finger gelassen, schriftlich und überhaupt.
Er weiß inzwischen, dass einer wie er bei einem Mädchen wie Kordula nichts ausrichten wird. Wie sollte er auch. Ein Stino von sechzehneinhalb, der sich alle sechs Wochen rasiert, mit dem lächerlichen Namen Alfred Donner, aber ohne Spitznamen (Ein Spitzname würde wenigstens auf irgendeine Art Originalität hindeuten.), untersetzt, mit einer Nase, die einmal — genetische Erblast — kartoffelig wird, mit einer aschblonden Haartolle über der Schläfe, die aussieht wie eine Cremerolle vom Konditor.
Ach, Kordel.
Sie sind am Ziel. Neben der Einfahrt zum alten Pfarrgut hängt jetzt das Schild:
PRODUKTIONSGENOSSENSCHAFT WERKTÄTIGER ZIERFISCHZÜCHTER „FRIEDENSWACHT“ NIEDERÖLSCHNITZ
Im Innenhof stehen Löffels klappriges Moped und ein funkelndes Motorrad, Hannos E.T.Z. Und da löst sich Hanno rauchend von der Mauer, von Kopf bis Fuß in glänzendem Kunstleder.
„Die andern sind schon drin“, mit einem Kopfnicken weist er auf eine Tür.
Frau Schultheiß reagiert gallig. „Konnten die Herrschaften uns das nicht wenigstens vorher mitteilen, dass sie mit ihren Knatterkisten fahren wollen? Ausgemacht war …“
„Aber Frau Schultheiß! Knatterkisten!“
Damit ist das Thema erledigt.
Kordula, Löffel und Simone sitzen schon im Büro beim Vorsitzenden der „Friedenswacht“, Herrn Schwann. Kordula hat ihren Walkman im Haar versteckt.
In den nächsten zwei Stunden besichtigt die Klasse Guppis und Schleierschwänze in der umgebauten Fachwerkscheune und erfährt, dass die Zierfischzüchter obendrein Nutzfisch, Karpfen und Schlei für den Gabentisch der Republik mästen. (Der Vorsitzende wählt politische Vokabeln, dies ist ein Protokollbesuch.) Frau Schultheiß dankt. Andrea und Anke überreichen die Blumen.
Danach kommt der gemütliche Teil. Es gibt ein reichhaltiges Getränkeangebot, und aus der Privatwohnung über der Kantine dringen, beharrlich wiederholt, Takte aus einem Klavierstück. „Kulturelle Umrahmung, Reinhard live“, sagt Alfred.
„Mendelssohn, Lieder ohne Worte, du Banause“, sagt Kordula.
Reinhard Schwann, einer der Söhne des Vorsitzenden, geht in die Parallelklasse.
Nach ausgiebigem Imbiss treten die Besucher den Rückmarsch an. Die Motorisierten haben noch was vor. Alfred kalkuliert: Kordula ist als Hannos Sozia hergeritten, Simone auf dem Rücksitz von Löffels Moped. Er wird seinen alten Kumpel Löffel rumkriegen, dass der auf dem Heimweg ihn auflädt.
Er schlägt sich zu dem kleinen Trupp. Sie schieben die Fahrzeuge quer über die Wiese. Ypsilon heftet sich an seine Fersen. Trotz Blase im Schuh.
„Mal wieder die Pestalozzifraktion?“ Die ordnungsgemäß Abmarschierenden winken ein bisschen neidisch.“
„Besuch im Großen ZOO“ – die zweite Buchempfehlung von Günter Saalmann veröffentlichte der Autor erstmals 2005 bei der Books on Demand GmbH (BoD). Hintergründe dazu erfährt man von Saalmann selbst: Dies sind die Gedichte, Reime und Rätsel aus drei Jahrzehnten. Vieles wurde hie und da veröffentlicht, auch von meinem Freund Helmut „Joe“ Sachse vertont, anderes aus Schubladen zusammengekramt. Die (eigenen) Kritzeleien stammen fast allesamt aus Vorlesungsnachschriften am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig aus den Jahren 1973 bis 1976. (Man hat dort trotzdem gut aufgepasst, liebe Kinder!) Sie, die Kritzeleien sind lediglich jetzt auf dem Computer nachgearbeitet, den Texten (sehr) frei zugeordnet und manchmal auch ein wenig aktualisiert worden.
Die Texte stammen aus verschiedenen Zeiten und sind hier nach den Adressaten geordnet, für die sie einmal gedacht waren, oder für die sie sich einfach ergeben haben. Deshalb geht es los mit freundlichen Reimereien für Kleine, „steigert“ sich bis ins Erwachsenen-Lesealter und wird zum Schluss bissig bis bösartig – ganz so, wie sich eben der Autor selbst verwirklichen durfte. Und hier ein paar Text-Beispiele:
„Die Schildkröte Grete
Die Schildkröte Grete
saß traurig im Sand,
für die quakenden Kröten
so uninteressant.
Zum Springen zu dick, ach,
zum Klettern zu dumm.
Warum bist du so stille?
Was bist du so stumm?
Und wie sie da weinte,
und wie sie da kroch,
lag im Sand eine Flöte,
die ging sogar noch.
Die Schildkröte Grete
versteckt‘ sich im Wald.
Und sie blies auf der Flöte
und konnte es bald.
Sie blies ja so traurig,
sie blies ja so schön,
da kamen die Kröten,
das Wunder zu sehn.
Sie lauschten drei Tage,
dann hielten sie Rat.
Und sie schenkten der Flöterin
einen Strauß aus Salat.
Kindertag
Ob bei Jimmi oder Jonny,
ob bei Kathi oder Kai,
ob bei Mimi oder Mommi,
Pedro, Lisa und Marei,
ob bei Wowa oder Bruni –
überall ist erster Juni.
Mir fehlt am Bett ein Bein
Mir fehlt am Bett ein Bein,
wie sollt‘ ich da nicht schrei’n?
Mein Vater repariert’s nicht,
meine Mutter – rührt’s nicht,
mein Bruder hat’s zerbrochen,
das war vor sieben Wochen.
Und ich, ich bin noch klein.
Wie sollt‘ ich da nicht schrei’n?
Heut heiratet Grit
Heut heiratet Grit.
Wer heiratet mit?
Der Heiner, der Heiner,
der wagt den Schritt.
Was trägt man zur Feier?
’nen Hut und ’nen Schleier,
ein Kleid, recht weit,
davon reden die Leut.
Womit fährt man zur Heirat?
Mit’m Auto, mit’m Dreirad.
Grit tritt, Heiner schiebt,
wenn er sie liebt.
Was braucht man zur Hochzeit?
’ne Küche und Kochzeit.
Klops, Drops, Sauerkohl.
Bekomm‘ es euch wohl.
Wer tanzt auf dem Feste?
Ein Hof voller Gäste,
eine Windel voll Wind.
Fürs Kind.
Nudeln in der Waschmaschine
Freunde, überlegt mal scharf,
warum man dies und das nicht darf.
Etwa: in der Kaffeemühle
süße Kognakbohnen mahlen.
Etwa: in dem Spielzeugladen
nur mit Spielzeuggeld bezahlen.
Etwa: seinen Wellensittich
mit gekautem Gummi füttern,
etwa: seine müde Mutter
ständig durch Gebrüll verbittern.
Nudeln in der Waschmaschine,
Butter in der Haarfrisur,
Tinte in der Blumenvase,
Suppe in der Küchenuhr,
und den Finger in der Nase
schätzen Mütter auch nicht. Leider.
Freunde, überlegt mal scharf,
wieso man dies und das nicht darf.
Richtig: weil die Kognakbohnen
einer Kaffeemühle schaden.
Richtig: Spielzeuggroschen gibt es
schon genug im Spielzeugladen.
Richtig: weil bei müden Müttern
die Geduld nicht endlos lang ist.
Richtig: Weil der Wellensittich
innen zuklebt und dann krank ist.
Nicht mehr singt. Kann sogar sterben.
Und die Schleuder schleudert nicht,
Butter ranzig, Uhrwerk rostig,
oder gar der Finger – bricht
ab! Und was für Plag‘ es kostet,
Tintenblumen zu entfärben!“
Erstmals 1980 veröffentlichte Manfred Richter im Kinderbuchverlag Berlin „Das Ei in der Trompete. Ein Roman für Kinder, aber auch für Erwachsene, die noch wissen möchten, worauf es im Leben manchmal ankommt“: Heike wollte in den Fahrstuhl steigen, da hörte sie aus dem Keller Dieters Trompete. Er blies, und der Hauswart schimpfte nicht. Irgend etwas war faul an der Sache! Heike sprang die Treppe hinunter, aber es war wieder still. Sollte sie sich geirrt haben? Auf einmal hörte sie einen wilden Schrei. Das war Dieter. Er schrie: „Sangitaratnakara!“ Und da geschah die Zauberei: Jemand drehte vorsichtig von außen den Schlüssel um und öffnete, Heike stand wie ein freundliches Gespenst im Türrahmen. Dieter zitterte und flüsterte: „Hast du mich etwa eingesperrt?“ Diese Trompete, ein Geschenk von Tante Amalie, spielt in der Geschichte eine besondere Rolle. Sie bringt den Jungen in komische, aber auch schwierige Situationen, und nicht immer hilft das Zauberwort. Aber beginnen wir am Anfang und mit einer Tante namens Amalie, die sich vor allem mit Musik bestens auskennt und gern Geschenke mitbringt, sowie mit einer Erklärung des Autors, warum es in seinem Buch manchmal so kompliziert zugeht:
„Von Tante Amalie und der komplizierten Welt
Dieters Tante hieß Amalie.
Tante Amalie war die Schwägerin von Frau Preczbilzowski, also die Gattin des verstorbenen Bruders der Mutter von Dieter und Angelika. Es ist schon so: Verwandtschaft müsste eigentlich Verzwicktheit heißen, weil es so schwer ist, sich unter allen Tanten, Basen, Großonkels und Vettern zurechtzufinden.
Wenn die Gattin des Bruders der Mutter, also Tanta Amalie, zu Preczbilzowskis auf Besuch kam, flötete sie jedes Mal entzückt: „Das Kind ist musikalisch!“ Damit meinte sie den lieben Neffen Dieter.
Natürlich war das reiner Unsinn, denn damals war Dieter noch ziemlich klein und spielte höchstens ein bisschen mit seinem Brummkreisel. Aber Tante Amalie war Pianistin, das heißt, sie spielte vor anderen Leuten auf dem Klavier. Dazu muss man musikalisch sein, sonst geht es nicht. Und weil sie selbst musikalisch war, wünschte sie, dass ihr Neffe Dieter auch musikalisch wäre. In solchen Dingen sind Erwachsene mitunter komisch. Die Tante jedenfalls meinte, er habe einen ausgeprägten Hinterkopf, klopfte mit ihren harten Knöchelchen dagegen und sagte: „Das Kind ist musikalisch!“
Davon ließ sie sich auch nicht abbringen, als der liebe Neffe ihr eines Tages wegen dieser dauernden Klopferei kräftig in den Finger biss.
Dieter wohnte mit seinen Eltern Herbert und Elfriede Preczbilzowski, seiner Schwester Angelika und der Hündin Trixi am Rande der kleinen Stadt Liebrübenau, an einem großen See, in einem kleinen Haus. Hinter dem kleinen Haus stand ein noch sehr viel kleineres – das war der Hühnerstall mit acht weißen Legehühnern von der besten Sorte. Diese hatten jedoch keine Namen.
Da wir gerade davon sprechen, möchte ich auch rasch auf Dieters etwas komplizierten Familiennamen eingehen. Er wird zwar in der Mitte mit cezett geschrieben, aber wie ein tsch gesprochen, also Pretschbilzowski. ich hätte mir natürlich einen einfacheren Namen überlegen können, Müller, Meier, Pingelberg oder Kollerbach. Aber die ganze Geschichte ist eben einem Jungen mit dem Namen Preczbilzowski passiert. Was soll man machen? An das Komplizierte muss man sich gewöhnen!
Wenn Tante Amalie von einer Gastspielreise aus Polen, aus Ungarn, der Sowjetunion oder sogar aus Indien zurückkehrte, erholte sie sich gern in Liebrübenau. Das gab immer einen kleinen Aufstand. Elfriede Preczbilzowski putzte erst die ganze Wohnung, dann die Schwester, dann Dieter und zuletzt sich selbst. Nur der Hühnerstall und Vati blieben ganz normal. Herbert Preczbilzowski kam von der Arbeit in der Kesselschmiede, wusch sich die Hände und sagte zu Tante Amalie: „Na, da bist du ja, grüß dich, alte Rübe!“
Die Mutter rief empört: „Aber Herbert!“
Und Tante Amalie bekam einen roten Kopf. „Lass mal“, sie lächelte fein, „ich weiß ja, wie er es meint!“
Tante Amaiie war ziemlich hübsch, obwohl sie schon alt war, älter als Trixi, mindestens 28 Jahre. Sie brachte immer viele Geschenke mit, das war reizend. Sie sagte allen, wie süß sie es findet, wieder einmal hier zu sein, legte sich am See in einen Liegestuhl und seufzte: „Ach, diese himmlische Ruhe! Hört ihr – tiü, tiü, tiü -, das ist ein Regenpfeifer.“
Solange Tante Amalie zu Gast war, lief Mutter auf Zehenspitzen, um die himmlische Ruhe nicht zu stören. Das war sehr anstrengend und hatte auch gar keinen Zweck, weil es doch am Ende immer irgendeinen Krach gab – zum Beispiel, als Dieter ebenfalls auf Zehenspitzen lief und gleichzeitig mit den Händen das Kaffeegeschirr balancierte.
Nachmittags unterhielt sich Tante Amalie oft mit ihrer Schwägerin über den Bruder, der verstorben war, nachdem er Tante Amalie geheiratet hatte. Sie weinten ein bisschen, bis Mutti Preczbilzowski aufschrie: „Du liebe Zeit, das Kaffeewasser!“, und in der Küche verschwand.
Dieter guckte Tante Amalie sehr gern an. Sie hatte ganz große blaue Augen. Allerdings nur im Wohnzimmer. Unten am See trug sie eine Sonnenbrille, in der sich die Wolken spiegelten. Wenn Tante Amaile lächelte, bekam sie winzige Grübchen. Außerdem war sie immer sehr schön braun gebrannt. Zu ihrem Schwager sagte sie mit dunkler Stimme: „So bin ich am ganzen Körper, ob du es glaubst oder nicht!“
Aber Herbert Preczbilzowski glaubte es.
Leider konnte Tante Amalie immer nur für eine kurze Zeit nach Liebrübenau kommen, weil Preczbilzowskis kein Klavier zum Üben hatten.
Als Dieter schon zur Schule ging und die Schwester nicht mehr so viel an ihm herumnörgeln durfte, brachte ihm Tante Amalie aus Rumänien eine Trommel mit.
Wenn jemand in Rumänien trommelte, konnte man ihn hier am See nicht hören. Aber nun hatte Tante Amalie diese Trommel mitgebracht!
Vormittags blieb ja alles noch sehr gemütlich, da war Schule. Nachmittags jedoch schrie Mutter, lauter, als die Trommel klang: „Hör bloß auf. oder geh runter zum See!“ Dort lag Tante Amalie und machte ein ganz verzagtes Gesicht, „Ist wohl nicht das Richtige“, sagte sie, „so eine Trommel ist sehr einseitig.“
Und Vater Preczbilzowski sagte am Abend: „Ich komme gerade aus der Kesselschmiede, verschone bloß mein Trommelfell! ‚
Damit meinte er seine Ohren.
Dieter lernte, dass auch die Ohren ein Trommelfell haben. Mit anderen Worten: Aus dem einen Trommelfell kam der Krach heraus, und in das andere Trommelfell ging er hinein. Das war ziemlich verwirrend.
Und dann kam eine Zeit, da wurde für Dieter alles entsetzlich kompliziert. Das Leben war manchmal so schwer zu begreifen, dass Dieter am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben oder wenigstens immerfort mit geschlossenen Augen umhergelaufen wäre. Einmal hat er das auch versucht. Aber weil dort, wo er gerade ging, der Türpfosten war, hat er es sich sehr schnell wieder abgewöhnt.
Früh, in der Schule, lernte Dieter so viel Neues, dass er dachte: Jetzt weiß ich alles in der Welt! Wenn er jedoch nach Hause kam, war alles ganz anders.
In der Schule gab es die Mathematikaufgabe: Herr und Frau X kaufen sich ein Auto für achttausendneunhundert Mark. Jeder zahlt die Hälfte. Frau X hebt von ihrem Sparbuch zwei Drittel des Guthabens und Herr X von seinem Guthaben die Hälfte der Gesamtsumme ab. Wie viel verbleiben Herrn und Frau X auf ihren Sparbüchern?
In der Schule war das eine leichte Aufgabe und zu Hause eine schwere. Das kam davon, dass Vater von einem Auto träumte, aber weder er noch Mutter ein Sparbuch hatten.
„Du mit deinem Autofimmel!“, sagte Elfriede Preezbilzowski erregt. „Wir brauchen neue Bettwäsche, der Junge hat keine heile Hose am Leib, und guck doch bloß, wie ich rumrenne! Man muss sich ja schämen! Wir haben’s eben nicht so dicke wie andere!“
Danach schwiegen die Eltern, bis Vati eine Zigarette geraucht hatte und ganz leise sagte: „Ist ja gut. Ich stell’s mir man bloß vor …“
In solchen Momenten waren die Eltern zusammen ein wenig traurig. Mitunter durfte Dieter schon ein bisschen länger fernsehen, vor allem, wenn Vater gute Laune hatte. Und wenn Tante Amalie im Sommer zu Besuch kam, merkte er, dass sie noch viel hübscher war als früher. Sie war nicht nur im Gesicht hübsch, sondern überall, und ihre Haut roch sehr gut nach Sonnenöl und frisch gemähtem Gras. Sie klopfte Dieter auch nicht mehr auf den Kopf, obwohl ihm das jetzt vielleicht gar nicht unangenehm gewesen wäre.
Unangenehm war nur, dass er bei jeder Gelegenheit rot wurde, einfach schrecklich. Er konnte es nicht mehr leiden, wenn Mutter ihn umarmte oder gar Tante Amalie. Da sagte er patzig: „Rumknutschen ist blöde!“ Und dann guckte er zu, wie sie die Schwester drückten, und war neidisch. Sehr kompliziert!
Dieters Schwester hatte im April Geburtstag und Dieter im Oktober. Als wieder einmal Oktober war, kamen zwei Dinge mit der Post: ein Brief für die Eltern und ein Paket für Dieter. Beides war von Tante Amalie.
In dem Brief stand, dass Tante Amalie im Dezember ein Kind erwartet und vorläufig nicht kommen könne. Die Eltern guckten sich merkwürdig an, weil das Kind ja nicht von Mutters totem Bruder sein konnte. Aber Vater brummte: „Sie ist erwachsen, und Witwe ist sie auch. Warum soll sie nicht?“
Elfriede Preczbilzowski seufzte und guckte noch merkwürdiger. „Dass sie gar nichts von einem Mann schreibt“, sagte sie.
„Ohne geht’s nicht“, antwortete Vater Herbert lächelnd.“
Im folgenden E-Book sind unter dem Titel „Halbhorn, die Mühle vom Ginsterberg und das Faschingsschneiderlein“ drei Bücher von Helma Heymann zu finden, die alle drei in der seinerzeit bekannten und beliebten Reihe der „Kleinen Trompeterbücher“ des Kinderbuchverlags Berlin erschienen waren – „Halbhorn erstmals 1980 (Band 139), „Das Faschingsschneiderlein“ erstmals 1983 (Band 164) und „Die Mühle vom Ginsterberg“ erstmals 1985 (Band 174): Halbhorn, das kleine Seeteufelchen, hat Kummer mit seinem Stummelhorn. Es will nicht wachsen. Weder die Eiderente noch der Klabautermann wissen Rat – bis eines Tages Halbhorn den Weg zur alten Kröte findet.
Die Fischer Fritz Bold und Quer Erich lassen sich von der großen „Flunner“ narren, die sie im Netz finden. Erst am Ende ihres Fischfanges dämmert ihnen, dass das Ganze vielleicht nur ein Spuk gewesen sein könnte…
Therese hat eine seltsame Begegnung an der Steilküste; als sie durch ihren mattschimmernden Bernstein sieht, erblickt sie eine Gestalt: die Bernsteinhexe…
Die Mühle vom Ginsterberg: Vor über 100 Jahren sollen sich seltsame, spannende Geschichten um die Mühle zugetragen haben.
Robbi steht starr vor Schreck im Regen. In der Ferne ahnt er seine Straßenbahn an der nächsten Haltestelle. Ohne mich gefahren, kreist es in seinem Kopf. – Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hält ein großer Junge mit dem Fahrrad. „Komm schnell“, sagt er, „ich nehme dich mit!“ Blitzschnell erwachen Robbis Lebensgeister wieder. „Ach ja“, strahlt er. „Du bringst mich zur Schule.“ Nicht jeden Tag löst sich alles so glücklich – Robbi muss sich oft plagen, doch die fröhlichen Stunden zählen: Robbi als Faschingsschneiderlein. Hier der Beginn des ersten der drei Bücher:
„HALBHORN
Das Meer lag still vor Sonnenaufgang. Diesig stand die Luft darüber. Graugrüne Farbtöne flossen am Horizont ineinander. Kühle kam über das Wasser gezogen. Der Sommer ging zu Ende.
Geteerte Buhnen, am Ufer mächtige Stämme, erschienen seewärts kleiner und kleiner. Hier standen dicht beieinander, gleich Perlen auf einer Schnur, silberweiße Möwen, die scharfen Schnäbel gegen den Wind gerichtet. Keine wendete den Hals zurück zum Strand.
Unter Jauchzen und Geschrei spielten kleine, rote Seeteufel im seichten Wasser an den Buhnen. Schaum und Spritzer und Wassersäulen stiegen auf, und manche Teufelchen schnellten mit in die Höhe.
Plötzlich brach das Spiel ab. Pfeifend und pustend schwamm der ganze Schwarm auf die Buhnen zu und erkletterte sie. Tänzelnd scharten sie sich um einen ihrer Kameraden.
„Ihr meint also“, piepste der mit hoher Stimme, „dass es nicht gewachsen ist?“ Seine fragenden Augen standen ein wenig schief im Gesicht und funkelten klar und grün wie Smaragde oder wie das Meer nach einem Sonnenregen. Aus seinem kugelrunden Bumskopf ragte nur ein halbes Horn. Man sah es kaum in dem zottigen, lockigen Fell zwischen den Ohren.
„Nein, Halbhorn, es ist nicht gewachsen“, bedauerten die anderen und schüttelten die Köpfe mit den bleistiftspitzen Hörnern. Sie verstanden nicht, warum bei ihrem Kameraden nur ein halbes Stummelhörnchen sprosste.
„Ich frage einmal die Silberweißen“, entschloss sich Halbhorn. „Vielleicht ist es gewachsen, doch ihr seht es nicht.“ Und wie eine sturmgetriebene Welle rannte er über die Buhnenstämme hin zu den Möwen.
„Bitte!“, rief er ihnen mit seinem dünnen Stimmchen zu und griff nach seinem halben Horn. „Ist es gewachsen oder nicht?“
Widerwillig wendeten die Möwen die Hälse. „Nie mehr wächst es! Nie mehr!“, kreischten sie, erhoben sich, schlugen geräuschvoll mit den Flügeln und segelten davon.
„Nun?“, fragten die anderen Seeteufel neugierig.
„Es wächst nie mehr!“, schrie Halbhorn hinter den Silberweißen her. Seine Augen sprühten verzweifelt grüne Funken.
„Ich schwimme fort!“, verkündete er unerwartet, stürzte sich ins Meer, tauchte tief und war verschwunden. Niemand ahnte, wohin, denn das Wasser hinterlässt keine Spuren.
Die Seeteufel sprangen ihm nach. Alle verschwanden, wie Halbhorn, spurlos. Nur das aufgebrachte Wasser plätscherte noch lange gegen die mächtigen Stämme. Dann beruhigte es sich. Einsam und schwarzglänzend lagen die Buhnen in den ersten Morgensonnenstrahlen.
Die anbrechende Helligkeit, die in allen Regenbogenfarben durch die dicken Wasserwände drang, weckte die Seeteufelmutter. Sie erhob sich von der Sandbank, auf der sie geschlafen hatte, und schlüpfte in ihre Meerschaumschuhe. Sie strich ihr rotes Fell zurecht, flocht die Schwanzquaste zu einem kurzen Zopf zusammen und suchte nach ihrer Bernsteinkette. Dabei erinnerte sie sich deutlich, in der Nacht von einer blauen Windhose geträumt zu haben. Und eine blaue Windhose bedeutete nichts Gutes.
Viel Zeit, darüber nachzudenken, blieb der Seeteufelmutter nicht. Das Wasser über der Sandbank geriet in heftige Bewegung und zeigte ihr Halbhorns Kommen an, der lange fort gewesen war. Er wurde immer selbständiger und zog spielend mit seinen Kameraden im Meer herum.
„Mutter, du musst mir helfen!“, rief Halbhorn und ließ sich erschöpft auf den Meeresboden sinken. „Das Horn wächst nicht! Nie mehr! Das behaupten die Silberweißen.“
Besorgt betrachtete die Seeteufelmutter das halbe Hörnchen. Dann zupfte sie an ihrer Bernsteinkette und tröstete: „Ich stricke dir eine Mütze.“
Zwei Seenadeln fing sie ein und suchte nach einem langen, langen Tangfaden. Damit begann sie zu stricken. Das tat sie so schnell, dass das Wasser um ihre flinken Finger kleine Strudel bildete.
„Das hält warm“, murmelte sie beschwörend. „Bei Wärme sprießen die Hörner.“ Sie strickte und strickte, und die Seenadeln glühten und zischten.
Drei Tage lang trug Halbhorn die Tangmütze. Als sich dann durch die losen Maschen immer noch kein längeres Hörnchen sehen ließ, riss er die Mütze ab. Lockiges, zottiges Fell wuchs zwischen den Ohren und – das halbe Horn.
„Umsonst“, flüsterte die Seeteufelmutter bedrückt und dachte an die blaue Windhose.
Halbhorn schwamm in seiner großen Enttäuschung rückwärts im Kreis. Ohne Hörner ist es schlimm für einen Seeteufel. Kommt sehr starker Frost, der das Meer meilenweit gefrieren lässt, kann er das Eis nicht durchbrechen. Und es gelingt ihm nicht, eine Seeteufeltür in diesen blanken Spiegel zu stoßen, um auf die Buhnen klettern zu können und sich an der Wintersonne zu wärmen. Wenn die Kälte sehr groß wird, muss ein Seeteufel ohne Hörner auf dem Meeresboden erfrieren.
„Schwimm in Richtung Norden“, sagte plötzlich die Seeteufelmutter, denn ihr war etwas eingefallen.
Mit einem Ruck beendete Halbhorn das Rückwärtsschwimmen. Nur das Wasser umkreiste ihn noch in funkelndem Bogen.
„Im Norden, tief auf dem Meeresgrund, lebt der Klabautermann. Er ist schon alt und fährt nicht mehr zur See. Vielleicht kann er dir helfen.“
Halbhorn schwamm nach Norden. Und in Gedanken begleitete die Mutter ihn. Schien die Sonne, flimmerte die See so sehr, als hätte jemand flüssiges Silber hineingegossen. Unter der Wasseroberfläche erschien alles von einem durchsichtigen, hellen Grün. Tief unten auf dem Meeresboden standen Wassermauern dick und schwer. Die ängstigten Halbhorn. Er beeilte sich sehr, sie zu durchschwimmen. Suchend in dieser unheimlichen Tiefe, hielt er sich stets nordwärts. Und da entdeckte er den Klabautermann.“
Aber wahrscheinlich konnte in diesem Fall nicht einmal der Klabautermann helfen. Dafür aber kommen vorzugsweise junge Leserinnen und Leser auf ihre Kosten. Das gilt auch für die anderen beiden „Kleinen Trompeterbücher“ von Helma Heymann. In ihren Texten ist nicht nur vom kleinen Seeteufelchen und seinem großen Kummer, von dem geheimnisvollen Geschehen um die Mühle am Ginsterberg und von Robbi und seinen Abenteuern in der Schule, sondern auch von noch manch anderem. Einfach mal reinschauen?
Gleiches gilt für die anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters, die zum Beispiel den Schriftsteller, Musiker (Posaune!) und Kritzler von zwei recht unterschiedlichen Seiten zeigen. Es lohnt sich übrigens auch, mal in seiner Biografie nachzuschauen.
Viel Vergnügen beim Forschen und beim Lesen, weiter einen schönen Sommer und einen guten Sprung in den August, bleiben Sie weiter immer noch vorsichtig und in Maßen misstrauisch, vor allem aber weiter schön gesund und munter und bis demnächst. Ach, und vielleicht merken Sie sich vielleicht noch das Zauberwort – Sangitaratnakara! Vielleicht hilft es ja doch manchmal …
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