Fieldfisher Analyse: BGH-Urteilsbegründung zum Sammelklagen-Inkasso
Der Bundesgerichtshof hat bereits am 13. Juli 2021 zur Zulässigkeit des sogenannten Sammelklagen-Inkassos entschieden. Es geht um das Geschäftsmodell eines Legal-Tech Anbieters, der als registrierter Inkassodienstleister Entschädigungsansprüche mehrerer Passagiere gegen die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin einklagt. Die Kunden hatten ihre Ansprüche zur Durchsetzung an den Anbieter abgetreten, der nur im Erfolgsfall eine Vergütung in Höhe von 35% des Nettoerlöses der Forderungseinziehung bekommen sollte. Der Anbieter hatte auch das komplette finanzielle Risiko für den Fall des Prozessverlusts übernommen. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos geblieben, der BGH hatte das Modell dagegen durchgewunken.
Jetzt liegen die Entscheidungsgründe vor, und sie sind von großer Tragweite.
Das Urteil ist neben der Entscheidung zu wenigermiete.de (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18) eine weitere zentrale Leitentscheidung zur Zulässigkeit von Legal-Tech Geschäftsmodellen. Die von den Instanzgerichten vielfach missbilligte Bündelung von Ansprüchen in Sammelklagen hat das Gericht ganz ausdrücklich für zulässig erklärt. Die Entscheidung wird daher den Maßstab für eine Reihe laufender gerichtlicher Auseinandersetzungen (z.B. zum Lkw-Kartell und im Dieselskandal) bilden. Der Bundesgerichtshof betont den Beitrag, den Bündelungsmodelle für den Zugang zum Recht des Einzelnen leisten, und sieht etwaige mit der gebündelten Rechtsdurchsetzung einhergehende Nachteile für die Rechtsposition des Einzelnen als Ausdruck eines zulässigen Gesamtangebotes. Das Urteil ist hier auf der Homepage des Bundesgerichtshofes abrufbar.
Neue Formel zur "außergerichtlichen" Rechtsdienstleistung
Immer wieder wird diskutiert, wie weit die Beratungsbefugnis der Inkassodienstleister geht. Der BGH hat nun eine sehr einfache Formel geschaffen, mit der sich Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeiten und solche von Inkassodienstleistern voneinander abgrenzen lassen: „Außergerichtlich"– und damit auch Inkassodienstleistern erlaubt – ist alles, was nicht als Handlung gegenüber Gerichten Rechtsanwälten vorbehalten ist. Alle übrigen Tätigkeiten sind auch dann als außergerichtlich einzuordnen, wenn sie allein auf eine gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs ausgerichtet sind und nur in diesem Zusammenhang sinnvoll erscheinen. Das sind auch Tätigkeiten, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren stehen, wie etwa dem Entwurf einer Klageschrift.
"Sammelklage-Inkasso" ist zulässig
Der BGH lehnt ein Verbot von massenhaft gebündelten und finanzierten Klagen ab. Das war in der wenigermiete.de-Entscheidung von 2019 noch offengeblieben, weil das Geschäftsmodell nur einzelne Abtretungsverhältnisse umfasste. Nun also klare Kante: Die Gefahr einer unqualifizierten Rechtsdienstleistung steige nicht in einem Maße, dass ein Verbot gerechtfertigt sei, zumal Inkassodienstleister die erforderliche Sachkunde für ihre außergerichtliche Tätigkeit nachweisen müssen und Rechtsanwälte auch bei diesem Modell die Prozesse führen.
Keine besondere Gefahr für einzelne Anspruchsinhaber
Der BGH findet es nicht schädlich, dass in einem Sammelklage-Modell der Blick für den einzelnen Fall verloren gehen kann und kein direkter Kontakt zwischen Anspruchsinhaber und dem prozessführenden Rechtsanwalt besteht. Diese Nachteile rechtfertigen keine einschränkende Auslegung des Inkassotatbestands, wenn wegen der unverhältnismäßig hohen Kostenrisiken einer Einzelklage von einer Rechtsverfolgung Abstand genommen würde. Das ist ein Bekenntnis zum verbesserten Zugang zum Recht durch Legal Tech.
Auch der Wettbewerbsvorteil gegenüber Rechtsanwälten, der sich aus der Möglichkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren und der Kostenübernahme ergibt, muss hingenommen werden. Das RDG diene "nicht dem Schutz der Anwaltschaft vor Konkurrenten". Es sei außerdem nicht erkennbar, dass Geschäftsmodelle wie das Sammelklage-Inkasso die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gefährdet. Es gebe keine Anhaltpunkte dafür, dass in erheblichem Umfang unberechtigte Klageverfahren angestrengt würden. Eine etwaige Mehrbelastung der Gerichte sei Ausdruck eines verbesserten Zugangs zum Recht für den Einzelnen.
Kein Interessenkonflikt durch Prozessfinanzierung und Mehrfachvertretung
Der Bundesgerichtshof konnte auch keinen Interessenkonflikt erkennen. Insbesondere stehe die Vereinbarung eines Erfolgshonorars und die Übernahme der Prozesskosten durch den Inkassodienstleister nicht im Konflikt mit der beauftragen Rechtsdienstleistung, da diese mit der Forderungseinziehung in so engem Zusammenhang stehen, dass sie auch aus Sicht des Kunden einen Teil der Inkassodienstleistung darstellt.
Auch aus einer gleichzeitigen Beauftragung anderer Kunden ergibt sich nach dem Urteil grundsätzlich kein Interessenkonflikt. Zwar verpflichte sich das Inkassounternehmen gegenüber sämtlichen Kunden zur bestmöglichen Durchsetzung der Forderungen. Sollte es in einem Gesamtvergleich zu einer nur anteiligen Befriedigung der individuellen Kundenforderungen kommen, begründe auch dies keinen unzulässigen Interessenkonflikt, da jeder Kunde im Gegenzug bei der gebündelten Anspruchsdurchsetzung von der stärkeren Verhandlungsposition und Gebührenvorteilen profitiert. Dies soll jedenfalls gelten, wenn die gebündelten Ansprüche im Wesentlichen gleichartig und ihre Durchsetzungsaussichten vergleichbar seien.
Abschluss unwiderruflicher Vergleiche ist erlaubt
Das Gericht äußert sich auch zu der Frage, ob Inkassodienstleister unwiderrufliche Vergleiche abschließen dürfen. Dies wird insbesondere mit dem Argument kritisiert, dass Kunden durch eine entsprechende Vereinbarung dem Inkassounternehmen ausgeliefert seien und Inkassounternehmer wegen der drohenden Kostenrisiken zu einem ungünstigeren Vergleich bereit wären, als es der Kunde selbst wäre. Der BGH betont, dass Kunden sich hier durch Schadensersatzansprüche gegen den Inkassodienstleister verteidigen können. Auch wenn der Bundesgerichtshof in diesem Fall keinen Interessenkonflikt gesehen hat, macht er deutlich, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt, ob die Befugnis zum unwiderruflichen Vergleich einen unzulässigen Interessenkonflikt begründet und lässt damit Raum für Einzelfallentscheidungen.
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