„Nicht fönen sondern einfrieren“
"Erst die Menschen, dann das Material", sagt Birgit Geller, Chef-Restauratorin beim LWL-Archivamt in Münster. Die Reihenfolge der Rettung sei ja klar bei solchen Hochwasser-Lagen. Aber Material gebe es eben reichlich, und schnell müsse es bei der Rettung von Archiven auch gehen: "Je mehr Schimmel wächst, desto stärker leidet das Archivgut bis hin zum Totalverlust."
Nach der Bergung von wertvollen Archivalien müsse man dem ersten Impuls widerstehen, nach dem Fön zu greifen. "Eigentlich will ja jeder, dass alles wieder schnell trocken wird, doch das ist bei derartigen Mengen unmöglich. Was geborgen ist, wird gereinigt, verpackt und dann eingefroren", so Geller. Wichtig sei auch, das geborgene Material fotografisch zu dokumentieren, damit Zustand und Verbleib nachvollzogen werden könne. "Das später alles zuzuordnen, wird die Archivarinnen und Archivare später noch genug Zeit kosten."
"Nasse oder feuchte Akten werden am besten in Stretchfolie gepackt und wie Gemüse tiefgefroren, um sie vor Schimmel und Verklebungen zu schützen", erläutert die Diplom-Restauratorin, die drei Tage an der Rettungsaktion in Leichlingen teilnahm. Auf Paletten gepackt und "gestretcht" kam das Archivgut in Kühlhäuser, wo es bei Temperaturen von minus 22 Grad neben Tiefkühlerbsen oder Hähnchenschnitzeln stehen kann. Irgendwann geht es dann weiter in eine Vakuum-Gefriertrocknungsanlage, wie sie auch beim LWL-Archivamt in Münster steht. Dort werden die Akten dann einem Vakuum ausgesetzt. "Das Eis wird dadurch sofort gasförmig und kann abgesaugt werden, ohne dass der Schimmel eine Chance hat."
Rund 1,5 Meter hoch stand das Wasser im Keller des Leichlinger Rathauses. Aus den Regalen kam das nasse Papier den Einsatzkräften entgegengequollen. Als die Stadt um Hilfe rief, ließ sich die LWL-Expertin aus Münster freistellen, um die Rettung der Akten in Leichlingen zu unterstützen. "Wir haben die freiwilligen Helferinnen und Helfer angeleitet, auf einem Schulhof drei Stationen für die Erstversorgung der Akten, Karten und Fotomaterialien aufgebaut und losgelegt", erzählt die 51-Jährige. Rund 100 Regalmeter an Akten, Plänen und Fotos, schätzt Geller, seien so auf Paletten in Kühlhäuser gekommen, "eine tolle Leistung". Das Engagement der Helfer:innen habe sie beeindruckt.
Am schwierigsten sei es gewesen, die Foto- und Filmmaterialien zu sichern. Geller: "Wenn Fotos und Negative lange im Wasser gelegen haben, ist die Bildschicht stark aufgequollen. Den Schmutz kann man dann nur sehr vorsichtig abspülen. Manchmal ist es sogar unmöglich. Bei vielen Farbfotos und -negativen war das Bild bereits komplett verschwunden."
Gellers Rat, auch für private Keller: "Öfter in den Keller gucken, eventuell Entfeuchter aufstellen, Regale nicht direkt an die Wände stellen, das unterste Regalbrett mindestens 20 Zentimeter über dem Boden." Bei Flutkatastrophen wie im Juli helfe das natürlich auch nicht. "Dann bleibt nur: was einem wirklich lieb und teuer ist, nicht im Keller lagern."
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