Drachen und Club-Kultur bei den Potsdamer Tanztagen
Kulturelle Identität und Generationsfragen beschäftigen Eun-Me Ahn aus Seoul, die mit dem Stück Dragons ihre neueste Produktion auf der Bühne des Hans Otto Theaters zeigt. Die Figur des Drachens steht bei ihr sinnbildlich für eine neue Generation von Tänzer und Tänzerinnen unterschiedlicher, asiatischer Länder, die die Spuren von Tradition und digitaler Modernität erkunden: Alle sind im Jahr des Drachen geboren und stehen sowohl für die digitale Generation, als auch für das regionale choreografische Erbe. Dragons versetzt das Publikum in eine futuristische Welt, in der Formen und Farben sich vermischen, in der das Mystische mit einem avantgardistischen Bühnenbild kombiniert wird und in der die Drachen nicht mehr gefürchtet werden.
Mit Bisonte hinterfragt Marco Da Silva Ferreira aus Porto geschlechtsbezogene Identitäten – sechs Tänzer und Tänzerinnen erzeugen ein ekstatisches Feuerwerk an Bewegungen zwischen Tribe und Clubkultur. Elektrisierende Klangrhythmen und pulsierender Tanz bringen die Bühne zum Beben und sprengen dadurch ein heteronormatives Korsett. Die kraftvolle Choreografie wechselt zwischen zeitgenössischem Tanz, Urban Dance, Balltänzen und Hip-Hop, bricht die üblichen Geschlechterbeziehungen auf.
Jan Martens eröffnet dem Publikum mit Elisabeth Gets Her Way das Werk der Ausnahmemusikerin Elisabeth Chojnacka, indem er seinen Körper als Instrument betrachtet und die Komplexität und die Kraft ihrer Musik sichtbar macht. Jan Martens erschafft ein getanztes Porträt, das sich mit ihren musikalischen Werken verwebt, verbündet und sie reflektiert. Ihre virtuose Spielweise des Cembalos erinnert teilweise an ein Schlaginstrument, dessen Rhythmik Martens in Bewegung versetzt. Er tanzt spielerisch vielfältig – wie Chojnacka mit dem Cembalo umging, mal wirbelnd und dynamisch, mal kantig und stringent.
In dem grazilen Solo Aberration geht Emmanuel Eggermont in feinen Nuancen und mit einer sensiblen Verbindung choreografischer und bildkünstlerischer Elemente der Täuschung und Veränderung der Wahrnehmung nach. Wie in einem Scherenschnitt formen Schwarz und Weiß klare Linien und Formen, die er durch präzise Bewegungen und überraschende Wendungen verändert und neu definiert. Es scheint nicht alles so zu sein, wie es aussieht. In Anlehnung an den Begriff der „Aberration“ aus der Astronomie, der eine Differenz zwischen der scheinbaren Richtung eines Sterns und seiner tatsächlichen Richtung bedeutet, liegt dem Stück eine choreografische Studie zugrunde, die die Fähigkeit testet, abzuschätzen.
Eine Reihe mit Performancearbeiten aus femininen Perspektiven zeigen Choreografinnen mit unverwechselbaren Handschriften. Nadia Beugré thematisiert mit dem entfesselten Solo Quartiers Libres die Aufschiebung von Tabus und eigenen Grenzen. Mit diesem Stück erobert Nadia Beugré die Bühne und widmet sie den afrikanischen Frauen – aber nicht nur. Die Fragen, die sie dort behandelt, sind universell: Was geschieht mit uns, wenn wir Grenzen überschreiten und uns Orten nähern, die wir nicht betreten dürfen? Welche Tabus müssen gebrochen werden, um sich in dieser Welt und in unseren Körpern entfalten zu können? Nadia Beugré kämpft mit den Begrenzungen der Bühne, beklemmenden Sounds, einem Meer von Plastikflaschen und einem verwickelten, schier endlosen Mikrofonkabel.
Mit Ersatzteillager schafft Maren Strack aus Autoersatzteile eine lebendige Skulptur- und Klang-Performance zur Wiederverwendbarkeit von Materialien. Stück für Stück magnetisiert sie diese Einzelteile an ihren Körper und verwandelt sich in eine Figur, die einem hybriden Mensch-Maschinen-Wesen gleicht. In diesem wechselnden Heavy Metal Kostüm wird die Bewegung zu einer Recycling-Schrottmusikperformance. Maren Strack schafft dabei eine surreale Welt, in der choreografische und klangliche Verwendbarkeit von Materialien untersucht und die Performance mit ihnen komponiert wird.
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