Happy Birthday, Traumfabrik!
Edelstahl-Körbe im Drahtdesign und ein zylindrischer Wasserkessel, bei dem ein Kunststoffvogel als Flöte dient, gehören ebenso zu den Ikonen aus dem Hause Alessi wie die Zitronenpresse „Juicy Salif“, die wie ein überdimensionaler Tropfen umgekehrt auf drei Beinen ruht. Die Liste der Kreativen, die Objekte für Alessi entworfen haben, liest sich wie ein Who is Who der Architektur und des Industriedesigns. Achille Castiglioni, Michael Graves, David Chipperfield, Massimiliano Fuksas, Zaha Hadid, Toyo Ito, Jean Nouvel, Philippe Starck – um nur einige der berühmtesten zu nennen. Statusobjekte rund um Herd und Tisch werden in schicken Shops rund um den Globus verkauft, sind in Sydney genauso gefragt wie in Hamburg, Tokio oder New York.
Der Großteil der Alessi-Waren wird längst außerhalb Italiens produziert. Seine Wurzeln und auch immer noch die Chefetage hat das Unternehmen aber im piemontesischen Omegna. Das Städtchen liegt am nördlichen Ende des Ortasees – wenige Kilometer westlich vom Lago Maggiore. Hier, am Fuße der Südalpen, hat Metallgewinnung und Metallveredlung eine Jahrhundertelange Tradition. 1921 kaufte der Metalldreher Giovanni Alessi ein Stück Land in Omegna und brachte eine Firma für Haushaltswaren an den Start. Alessi legte großen Wert auf sorgsame Verarbeitung. Neue Techniken der Vernickelung und Versilberung brachten seine Produkte auf ein bis dahin unbekanntes Qualitätsniveau. Schnell machte sich die kleine Firma einen Namen. Ein Sortiment gab es in den frühen Jahren noch nicht. Alessi produzierte, was seine Kunden in Auftrag gaben.
„Design muss frei sein“
Während des Krieges hielt sich das Unternehmen mit der Produktion von Metallknöpfen für Uniformen über Wasser. Nach dem Krieg kehrte man zu den Haushaltswaren zurück. Massenproduktion hieß nun das Gebot der Stunde. Die Preise mussten sinken, um der Konkurrenz aus dem In- und Ausland die Stirn bieten. Mit der Idee, externe Designer für die Gestaltung von Alessi-Produkten unter Vertrag zu nehmen, schlägt das Unternehmen Mitte der 50er Jahren einen neuen Kurs ein. Die jungen Architekten Carlo Mazzeri und Luigi Massoni prägen in diesen Jahren den Look der Alessi-Objekte.
1957 entwirft das Duo den Cocktailshaker 870. Bis heute ist er unverändert im Sortiment. Eine neue Ära beginnt, als Alberto Alessi, Enkel des Firmengründers, in den 1970er Jahren das Ruder übernimmt. Design muss frei sein, so das Credo des jungen Mannes, der mit einem Jura-examen frisch von der Uni kommt. Ein frischer Wind bricht in jenen Jahren gesellschaftliche Konventionen auf, und der junge Alessi will auch Alltagsgegenstände aus ihrem starren Korsett befreien. Eine junge, freche Formensprache für Wasserkessel, Pfeffermühlen, Korkenzieher und Co. schwebt ihm vor.
Erst verspottet, dann Verkaufsschlager
Unter Alberto Alessis Ägide wird die Firma zur Traumfabrik und zum Inbegriff für Lifestyle „made in Italy“. 1979 hält mit dem Espressokocher 9090, entworfen vom deutschen Designer Richard Sapper, das erste Objekt aus dem Hause Alessi Einzug in die Sammlung des MoMA in New York. Mit Spott hingegen reagierte die Fachwelt in den Neunzigern auf „Merdolino“, eine Toilettenbürste in Form einer minimalistischen Pflanze im Blumentopf, mit der eine Kunststofflinie Einzug ins Produktportfolio hielt. Doch der Klo-Schrubber wurde ein Verkaufsschlager – und ist es bis heute.
Zum 100. Geburtstag gönnt sich die Marke etwas ganz Besonderes. Ein Jahr lang – noch bis April 2022 – bringt Alessi Monat für Monat ein Objekt oder eine Produktserie aus seinem Archiv in limitierter Auflage auf den Markt. Produziert werden bisher nicht realisierte Entwürfe, aber auch Alessi-Klassiker in abgewandelter Form. Weit oben in der Gunst der Sammler dürfte die Proust Vase von Alessandro Mendini rangieren, ein Objekt, bei dem die Grenzen zwischen Design und Kunst verschwimmen. Für Schnäppchenjäger hingegen lohnt ein Ausflug ins Alessi-Outlet von Omegna, wo übrigens auch Espressokannenhersteller Bialetti und Haushaltswaren Lagostina ihren Ursprung haben. Innovationen, mit denen sich diese und andere Hersteller aus der Gegend um die Küchenkultur verdient gemacht haben, lassen sich im Forum di Omegna bewundern.
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