Netzwerktreffen Essstörungen Sachsen fand zum ersten Mal am BTZ am Berufsförderungswerk Leipzig statt
Anorexie, auch bekannt als Magersucht, Bulimie, also Ess-Brech-Sucht, und Binge-Eating, das durch unkontrollierte Fressanfälle gekennzeichnet ist, sind die häufigsten Essstörungen. Sie bestimmen das Leben von betroffenen Patienten grundlegend und führen zu erheblichen Beeinträchtigungen bis hin zum Tod. Mehrfache Klinikaufenthalte und eingeschränkte Arbeitsfähigkeit sind häufige Folgen der Erkrankungen.
Das Thema Essstörungen spielt auch am BTZ eine große Rolle. Die Einrichtung für berufliche Rehabilitation hilft Menschen mit psychischen Problemen bei der Rückkehr ins Erwerbsleben. „Essstörungen sind bei unseren Rehabilitanden regelmäßig ein Thema. Wir begleiten die Betroffenen qualifiziert“, berichtete Marko Daubitz, Fachbereichsleiter des BTZ, während der Begrüßung.
Was verbindet ein Küchengerät mit dem Musikstück ‚Vier Jahreszeiten‘? Beide können erheblich dazu beitragen die Therapie von Menschen mit Essstörungen voranzutreiben. Das zeigte Dr. Carolin Webelhorst während Ihres Vortrags zum Thema „Stationäre Versorgungsstruktur für PatientInnen in Leipzig“. Webelhorst ist Therapeutische Stationsleitung an der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uniklinik Leipzig. Sie stellte die vielfältigen Therapieformen vor, die in der Psychosomatik angewendet werden.
Eine Schwierigkeit in der Therapie von Menschen mit Essstörungen: „Mit verbalen Therapieangeboten alleine kommt man oft nicht so gut an innere Konflikte heran“, erklärte Webelhorst. Um diese besprechbar zu machen, eignen sich daher Bewegungs-, Musik-, Tanz- und Gestaltungstherapie gut als Ergänzung. In einem Praxisbeispiel lud sie die Teilnehmer ein, sich auf eine Rekomposition von Vivaldis Vier Jahreszeiten einzulassen und ihren inneren Bildern Raum zu geben. Eine Methode, die in der Therapie häufig eingesetzt wird. Genauso wie die Übung: „Wenn Sie eine Küchengerät wären, welches wäre das? Malen sie es auf.“ Es handelt sich dabei um einen etablierten Weg, um mit den Patienten ins Gespräch zu kommen. Zum einen, da das Denken von Menschen mit Essstörungen sich ohnehin permanent um Nahrung und Nahrungszubereitung dreht. „Es kommen aber auch viele, interessante Assoziationen auf, mit denen man weiterarbeiten kann“, berichtet Webelhorst aus der Praxis. Die Ärztin gab den Netzwerkteilnehmern zahlreiche Anregungen für die Arbeit mit den Patienten, die sich auch in einer ambulanten Therapie umsetzen lassen.
In Workshops konnten sich die Teilnehmer dann tiefergehend mit unterschiedlichen Aspekten in Therapie und Begleitung von Menschen mit Essstörungen beschäftigen. Im Fokus standen Tanztherapie, der Zusammenhang zwischen Essstörungen und Sucht sowie die Motivierung von Patienten.
Mitarbeiterinnen des BTZ stellten in einem Workshop besondere Hilfen für Teilnehmer mit Essstörungen im Kontext der beruflichen Rehabilitation vor. Denn Menschen mit Magersucht oder Bulimie gehören dort regelmäßig zum Kreis der Teilnehmer, die den Weg ins Berufsleben finden wollen. Zur Unterstützung steht ein großes Team bereit, dass verschiedene Bereiche abdeckt. Das reicht von praktischer Hilfe durch Sozialpädagogen, über Ergotherapie und Bewegungstherapie, bis hin zum gemeinsamen Kochen mit Diplom-Oecotrophologin Liane Neumann. „Wir haben eine Küche, in der wir häufig mit anorektischen Teilnehmern zusammen in einer Kleingruppe kochen“, erzählte Neumann.
Essstörungen gehen häufig mit anderen Erkrankungen einher. „Traumata sind ein großes Thema“, erklärte Psychologin Katja Richter. Eine Begleitung der Betroffenen durch Psychologen ist durchgehend gegeben. Besonders wichtig und intensiv ist sie in Phasen, in denen zusätzliche Belastungen, etwa Prüfungsangst, den Teilnehmern zu schaffen machen. „Genau solche Faktoren können Erkrankungen verstärken. Dann sind wir für die Teilnehmer da und helfen ihnen mit den Belastungen besser umzugehen“, sagte Richter.
Die Dozentinnen machten auch die Grenzen ihrer Arbeit am BTZ deutlich. „Psychotherapie gehört nicht zu unseren Aufgaben. Die Diagnostik und die Therapie sind im besten Fall bereits passiert, wenn die Teilnehmer zu uns kommen. Aber wir unterstützen sie während ihrer Ausbildung und sind auch an ein ambulantes Netz angeschlossen. Das heißt, dass ambulante Therapien weitergeführt werden können oder vermittelt werden“, sagte Kathrin Schoop, Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Weil Essstörungen zu den Erkrankungen gehören, die die Betroffenen meist über viele Jahre belasten und mit Rückfällen verbunden sind, ist eine dauerhafte Begleitung besonders wertvoll.
Wie in Kliniken wird auch am BTZ regelmäßig das Gewicht der Teilnehmer gemessen. „Allerdings ohne den Druck, zunehmen zu müssen“, erklärt Ärztin Kathrin Schoop. Wichtig ist eine körperliche Verfassung, die es den Teilnehmern ermöglicht, am Unterricht zu partizipieren. Die Vorgaben der Leistungsträger an das BTZ sind klar: Die Teilnehmer sollen das Ziel der Maßnahme erreichen, sei es die Ausbildungsreife zu erhalten oder eine Ausbildung abzuschließen.
Dabei sehen die Herausforderung für die Mitarbeiter am BTZ in der Arbeit mit magersüchtigen Patienten oft ähnlich aus wie an Kliniken: „Viele Betroffene nehmen nicht wahr, dass sie ein Problem haben“, berichtete Schoop. Die Stärke der Einrichtung liegt in den kurzen Wegen und der engen Zusammenarbeit der unterschiedlichen Fachbereiche. Sie tauschen sich über die Teilnehmer der Maßnahmen aus und bieten individuelle Hilfen an. In akuten Krisensituationen können die Mitarbeiter ad hoc intervenieren.
Der Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Akteuren kommt in der Arbeit mit Menschen mit Essstörungen eine große Rolle zu. Deshalb ging es bei dem Netzwerktreffen neben der fachlichen Weiterbildung auch um den persönlichen Austausch der Gäste. „Wir wollten auch vor dem Hintergrund von Corona daran festhalten und freuen uns sehr, dass das funktioniert hat“, sagte BTZ-Leiter Daubitz. Wie wichtig das Netzwerken für die Teilnehmer der Veranstaltung ist, zeigte sich auch in den Workshop-Diskussionen und Gesprächen während der Pausen.
Ärztin Carolin Webelhorst bedauerte in ihrem Vortrag, dass die Betreuung nach dem stationären Aufenthalt, Lücken aufweise. „Das könnte durch eine intensivere Kommunikation verbessert werden“, sagte sie. Umso wichtiger ist es, dass sich Klinikärzte, ambulante Therapeuten, Ärzte und Beratungsstellen über PatientInnen, aber auch über die verschiedenen Therapie- und Begleitungsmöglichkeiten in Sachsen verständigen.
Seit fast 30 Jahren ist das Berufsförderungswerk Leipzig als Spezialist auf dem Gebiet Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation) tätig. Hier werden Menschen ausgebildet und bedarfsorientiert unterstützt, die durch Krankheit oder Unfall aus dem gewohnten Arbeitsleben scheiden mussten. Mit individuellen Erprobungs-, Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen werden neue Möglichkeiten für den Weg zurück ins Arbeitsleben angeboten. Die Angebote als überregionaler Dienstleister auf den Gebieten Beratung, Diagnostik und Assessment, Qualifizierung, Prävention und Rehabilitation stehen neben der Hauptstelle in Leipzig in den Außenstellen in Brand-Erbisdorf, Chemnitz und Döbeln zur Verfügung. Die Beruflichen Trainingszentren in Leipzig und Chemnitz ergänzen das Angebot speziell für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Die vielfältigen Leistungen sind ein wichtiger Beitrag, um Menschen die Rückkehr in das Arbeitsleben zu ermöglichen damit gleichzeitig dem Fachkräftemangel in der Wirtschaft zu begegnen. Darüber hinaus werden an der Bildungseinrichtung verschiedene Kurse der beruflichen Weiterbildung angeboten.
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