Stehen wir am Anfang eines Goldenen Jahrzehnts der Bauwirtschaft?
Was ist mit der deutschen Infrastruktur los?
Deutschland war bekannt für seine erstklassige Infrastruktur in allen Industriebereichen, seien es Straßen, Autobahnen, Eisenbahnstrecken, Wasserwege, Stromtrassen oder Gasleitungen. Nach der deutschen Wiedervereinigung konzentrierte man sich notwendigerweise auf den Aus- und Aufbau in den neuen Bundesländern. Der ewige Streit um die vorhandenen Mittel führte zu einer Vernachlässigung der bestehenden Infrastruktur im Rest der Republik. Und diese Vernachlässigung erfolgte nicht nur kurzfristig, sondern über Jahrzehnte. Hinzu kommen neben Budget-Verschiebungen in den Haushalten auch „holperige“ Kompetenzverlagerungen für den Autobahnbau von den Ländern auf die bundeseigene Autobahn GmbH, die zu Verzögerungen bei der Vergabe von Sanierungs- und Neubauprojekten führen. So befindet sich das Fernstraßennetz in einem bemitleidenswerten Zustand – viele Brücken werden bereits zu einem ernsten Sicherheitsrisiko. Aber es krankt nicht nur am Fernstraßennetz. Die Deutsche Bahn krebst seit Jahren beim Bau von neuen Bahnhöfen und Strecken herum und schafft es nicht, die Kapazitäten und Umlaufzeiten zu den für den Export so wichtigen Seehäfen zu optimieren. Wenn in Deutschland Großflughäfen gebaut werden, erfolgt die Fertigstellung viel zu spät, so dass sich die Bedarfssituation aufgrund globalpolitischer Entwicklungen bereits geändert hat. Der für die Digitalisierung so wichtige Ausbau der Glasfasernetze kommt nur langsam voran und der Fortschritt beim Bau neuer Stromtrassen erfolgt, falls nicht durch Bürgerinitiativen und Gerichte gestoppt, nur im Schneckentempo.
Dies sind nur einige Beispiele für den Nachholbedarf und den immensen Investitionsstau, der in den nächsten Jahren abgearbeitet werden muss, damit Deutschland ein führender Industriestandort bleibt – und dies sind nur die Infrastrukturmaßnahmen. Was bedeutet der Klimawandel für die Bauwirtschaft?
Die letzten Wochen haben uns in dramatischer und tragischer Weise vor Augen geführt, dass die sich verändernden Umweltbedingungen noch eine ganz andere Art von Bautätigkeiten erfordern werden. Die Resilienz unserer Städte, Wohngebiete, Industriestandorte und Infrastrukturen muss deutlich verbessert werden. Dies wird ungeheure Investitionen in der Bauindustrie nach sich ziehen, weil sich daraus Verlagerungen von Wohn- und Stadtgebieten weg von den Flüssen und Talsohlen ergeben. Straßen und Brücken, Stromleitungen und Eisenbahnverbindungen, Wasser- und Abwassersysteme, Gasleitungen und Staudämme müssen neu konzipiert und gebaut werden, weil Hochwasser- und Starkregengefahren zunehmen. Steigende Meeresspiegel erfordern die Erhöhung der Deiche – nicht nur entlang der Küste, sondern in der Konsequenz auch entlang der Flüsse.
All dies sind nur notwendige Reaktionen auf die Veränderungen, die auf uns zukommen. Weitere Antworten müssen wir auf die neuen Herausforderungen geben, die sich aus der erforderlichen Umgestaltung unserer Industrie und unserer Lebensweise zur Abwehr weiterer Klimaveränderungen ergeben.
Da ist zunächst die Isolierung von Gebäuden, weil dadurch ohne Frage die größte Einsparung an CO2-Emissionen erreicht werden kann. Sicherlich werden dazu auch noch nachhaltigere Werkstoffe mit weniger Kunststoffanteilen entwickelt werden. Bei den Baustoffen sind neue Innovationen zu erwarten, wie Carbonfaser-verstärkte Betonarten, die völlig neue Bauformen zulassen und gleichzeitig Masse einsparen.
Wachsende Städte und ihr Umland („Speckgürtel“) haben zu einem eklatanten Wohnungsmangel geführt. Für den Boom im Wohnungs- und Hochbau werden nicht nur Bauroboter zum Einsatz kommen, sondern 3D-Druckverfahren werden den Ablauf auf Baustellen verändern. Die Bauabläufe werden dadurch ebenso beschleunigt wie durch die Digitalisierung, die das Baustellen-Management und die Planungs- und Materialdispositionsprozesse revolutionieren wird. Die Beschleunigung bei der Bauausführung wird es ermöglichen mehr und größere Bauvorhaben zu realisieren.
Gesellschaftlicher Wandel fordert die Bauwirtschaft
Der Umbau unserer Industriegesellschaft und der bereits eingeläutete Wandel der Energieversorgung zur Erreichung unserer Klimaziele erfordern aber auch noch ganz andere Baumaßnahmen und enorme Erdarbeiten. Der Ausstieg aus der Energieerzeugung mittels Atomkraft und Kohle wird deutsche Abbruchunternehmen noch über Jahre beschäftigen, die Renaturierung und der Rückbau der Tagebaustätten wird die erdbewegenden Flotten vieler Bauunternehmen dauerhaft auslasten. Zunehmend werden im Rahmen der Kreislaufwirtschaft Fabriken zur Herstellung und späteren Wiederaufbereitung (Recycling) von Reifen, Batterien, Baustoffen, Kunststoffen, Nahrungsmitteln und vergleichbaren Produkten erforderlich sein. Wir werden neue Industrieanlagen zur Herstellung, Speicherung, zum Transport und Verteilung von Energie, Fernwärme, Wasserstoff, Methanol und Ammoniak benötigen. Und der zunehmende Online Handel braucht Logistik- und Distributionszentren in gigantischem Ausmaß. Die Belieferung der Endkunden sowie der wachsende öffentliche Nahverkehr erfordern den Aufbau einer umfassenden Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge und Wasserstoff-Tankstellen für Brennstoffzellen-Antriebe.
Gleichzeitig werden sich die Innenstädte vollständig wandeln – von Einkaufs- und Berufsstädten zu Wohn-, Arbeits- und Erlebnisstädten, zu fast autonomen Quartieren mit kompletter Versorgungs- und Entsorgungstechnik, wozu auch mit Solarzellen bestückte Dächer und Fassaden gehören werden.
Für all diese Veränderungen, die in den nächsten 25 Jahren erfolgen müssen, werden in den nächsten zehn Jahren die Bauindustrie und ihre Zulieferer bis an die Leistungsgrenze ausgelastet sein. Zur Umsetzung werden unglaubliche Mengen an Baustoffen und Baumaschinen benötigt. Neben der Bauindustrie selbst werden also auch die Hersteller, Lieferanten und Vermieter von Baugeräten, Gerüsten und mobilen Aufbereitungsanlagen für Baustoffe vor einer enormen Wachstumsperiode stehen.
Deshalb: Es ist durchaus etwas Optimismus angesagt. Die Bauwirtschaft wird an vielen Stellen gefordert sein – bereiten wir uns gemeinsam auf ein spannendes Jahrzehnt vor!
Peter Gerstmann
Vorsitzender der Geschäftsführung der Zeppelin GmbH
Der Diplom-Betriebswirt Peter Gerstmann übernahm im Jahr 2000 die kaufmännische Leitung der Zeppelin Silos & Systems GmbH (heute Zeppelin Systems GmbH), wo er 2002 zum Geschäftsführer bestellt wurde. 2006 wurde er zusätzlich Geschäftsführer in der Zeppelin Konzern Geschäftsführung und übernahm im Januar 2010 deren Vorsitz. In dieser Funktion verantwortet er die Bereiche Konzernentwicklung, IT, Digital Business Management, Revision, Unternehmenskommunikation sowie die Strategischen Geschäftseinheiten Baumaschinen Eurasia und Anlagenbau und das Strategisches Management Center Zeppelin Digit.
Der Zeppelin Konzern bietet Lösungen in den Bereichen Bauwirtschaft, Antrieb und Energie sowie Engineering und Anlagenbau an und ist weltweit in 43 Ländern und Regionen an mehr als 220 Standorten aktiv. Rund 10.000 Mitarbeiter arbeiten in einer Managementholding, sechs Strategischen Geschäftseinheiten und einem Strategischen Managementcenter (= Zeppelin Digit) zusammen: Baumaschinen Zentraleuropa, Baumaschinen Nordics, Baumaschinen Eurasia (Vertrieb und Service von Bau-, Bergbau und Landmaschinen), Rental (Miet- und Projektlösungen für Bauwirtschaft und Industrie), Power Systems (Antriebs- und Energiesysteme), Anlagenbau (Engineering und Anlagenbau) sowie Zeppelin Digit (IT und Digitalisierung). Alle digitalen Geschäfte werden bei Zeppelin Digit gebündelt. Im Geschäftsjahr 2020 erwirtschaftete der Konzern einen Umsatz von 3,3 Milliarden Euro. Die Zeppelin GmbH ist die Holding des Konzerns mit juristischem Sitz in Friedrichshafen und der Zentrale in Garching bei München. Der Zeppelin Konzern ist ein Stiftungsunternehmen. Seine Wurzeln liegen in der Gründung der Zeppelin-Stiftung durch Graf Ferdinand von Zeppelin im Jahr 1908. Weitere Informationen unter zeppelin.com.
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