Waldränder in den Tropen verstärken Kohlenstoffemissionen
Die Modellierer:innen des UFZ nutzten für ihre Forschung Satellitendaten mit einer sehr hohen Auflösung von 30 Metern für die Jahre 2000 und 2010. Anhand derer konnten sie vergleichen, wo in Mittel- und Südamerika, Afrika und Südostasien noch zusammenhängende tropische Wälder vorhanden oder wo diese verschwunden sind. Mit der Hilfe eines komplexen Clusteralgorithmus und Hochleistungsrechnern stellten sie fest, dass die Zahl von Waldflächen zwischen 2000 und 2010 um mehr als 20 Millionen auf 152 Millionen zugenommen hat. Gravierend ist dieser Anstieg der Waldfragmente vor allem deswegen, weil sich dadurch auch der Flächenanteil der Waldränder an der gesamten Waldfläche erhöht hat. Als Waldrand gilt dabei der Waldbereich, der vom Offenland 100 Meter in den Wald hineinreicht. Dieser Randbereich nahm zwischen 2000 und 2010 um vier Prozentpunkte von 27 auf 31 Prozent zu, also von 517 auf 589 Millionen Hektar Fläche. "Diese Situation hat sich deutlich verschlechtert, sodass mittlerweile weltweit fast ein Drittel der tropischen Waldflächen in Randbereichen liegt. Wenn die Abholzung nicht gestoppt wird, wird sich dieser Trend fortsetzen", sagt Erstautor und UFZ-Modellierer Dr. Rico Fischer. Der Effekt der beschleunigten Fragmentierung trat vor allem in den Tropen Afrikas auf: Dort nahm die Zahl der Waldstücke innerhalb von zehn Jahren von 45 Millionen auf 64 Millionen zu. Der Anteil des Waldrands am Gesamtwald erhöhte sich von 30 auf 37 Prozent (2000: 172 Millionen Hektar, 2010: 212 Millionen Hektar). Im Unterschied dazu stieg der Anteil der Waldränder beispielsweise in Mittel- und Südamerika nur um 2 Prozentpunkte auf 25 Prozent (2000: 215 Millionen Hektar; 2010: 232 Millionen Hektar).
Bislang wurde die Kohlenstoffbilanz tropischer Waldränder kaum detailliert untersucht. Dieser Waldbereich ist aber wichtig, weil sich durch die Fragmentierung verschiedene ökologische Prozesse in den Randbereichen verändern. "Der Rand unterliegt im Unterschied zum Waldinnern der direkten Sonneneinstrahlung, er ist stärker dem Wind ausgesetzt und die Luftfeuchtigkeit geht in den Randbereichen zurück. Das veränderte Mikroklima schädigt insbesondere die großen Bäume, die auf eine gute Wasserversorgung angewiesen sind", erläutert Rico Fischer. In der Folge sterben die Gehölze am Waldrand ab, weil sie dort gestresster sind als im geschützten Innern eines Waldstücks. Das wirkt sich auch auf die Kohlenstoffbilanzen aus: Mikroorganismen emittieren beim Zersetzen der toten Bäume Kohlendioxid. Und weil weniger Bäume überleben, die für das Wachstum von Baumkrone, Stamm und Wurzeln Kohlenstoff aufnehmen müssen, wird weniger Kohlendioxid aus der Atmosphäre gebunden. "Damit werden an den Randbereichen tropischer Wälder insgesamt große Mengen Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt", bilanziert UFZ-Forscher Rico Fischer.
Wie hoch diese Kohlenstoffemissionen genau sind und wie sich der Ausstoß in den kommenden Jahrzehnten entwickeln könnte, konnten die UFZ-Wissenschaftler:innen nun erstmals genauer modellieren. Aus den hoch aufgelösten Fernerkundungsdaten berechneten sie, wie viel Biomasse in jedem Randbereich eines Waldfragments in den Tropen vorhanden ist. Daraus ermittelten sie die durch eine erhöhte Baumsterblichkeit verursachten Kohlenstoffemissionen für alle Waldränder. Das Ergebnis: Während im Jahr 2000 rund 420 Millionen Tonnen Kohlenstoff emittiert wurden, waren es im Jahr 2010 bereits 450 Millionen. "In den Tropen werden allein durch Abholzung jährlich rund 1000 bis 1500 Millionen Tonnen Kohlenstoff freigesetzt. Berücksichtigt man jetzt noch den zusätzlichen Effekt der Waldränder, ist das ein besorgniserregender Befund, weil der tropische Regenwald eigentlich eine Kohlenstoffsenke und keine Kohlenstoffquelle sein sollte", sagt Mitautor und Biophysiker Prof. Andreas Huth. Die Fragmentierung der Tropenwälder wirkt sich aber nicht nur auf den globalen Kohlenstoffhaushalt, sondern auch auf die Biodiversität aus: So konnten die UFZ-Modellierer:innen zeigen, dass die Abstände zwischen den Waldfragmenten zunehmend größer werden. "Dies erschwert das langfristige Überleben von Tierarten wie etwa dem Jaguar, der auf große, zusammenhängende Waldflächen angewiesen ist", sagt Mitautorin Dr. Franziska Taubert.
Auch der Blick in die Zukunft verheißt wenig Gutes, wie das UFZ-Team anhand von Modellierungen herausfand. "Dazu nutzten wir ein Fragmentierungsmodell aus der Physik und simulierten die Zukunft jedes einzelnen tropischen Waldfragments" erläutert Franziska Taubert. Geht man davon aus, dass die bisherige Abholzung der tropischen Wälder nicht reduziert wird, wird der Anteil der Waldrandflächen am Gesamtwald von 31 Prozent im Jahr 2010 auf knapp 50 Prozent im Jahr 2100 steigen. Selbst bei einem Rückgang der Abholzungsraten in den Tropen um die Hälfte steigt der Randanteil noch auf knapp 40 Prozent. Gebremst werden kann der Prozess nur, wenn ab dem Jahr 2050 die Entwaldung der Tropen gestoppt wird: In diesem Fall verharrt der Anteil der Waldränder im Jahr 2100 auf dem derzeitigen Niveau von etwa 30 Prozent. Entsprechende Folgen hätte die Zunahme der Waldfragmentierung auch für die Kohlenstoffemissionen: "Setzt sich die aktuelle Zerschneidung konstant fort, werden durch die Waldränder bis zum Jahr 2100 jährlich 530 Millionen Tonnen Kohlenstoff freigesetzt. Nur wenn die Abholzung des Regenwaldes ab dem Jahr 2050 gestoppt wird, kann der Ausstoß auf maximal 480 Millionen Tonnen Kohlenstoff begrenzt werden", sagt Rico Fischer.
Publikation:
Rico Fischer, Franziska Taubert, Michael S. Müller, Jürgen Groeneveld, Sebastian Lehmann, Thorsten Wiegand, Andreas Huth (2021): Accelerated forest fragmentation leads to critical increase in tropical forest edge area. Science Advances. DOI: 10.1126/sciadv.abg7012 https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abg70212
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