„Deutschland ist kein Sanierungsfall“
Die Karriereleiter des Volkswirtes und Juristen Günther Oettinger verlief steil, wie Andreas Schmidt, Vorstand der Bayerischen Börse AG und Sprecher der Finanzplatz München Initiative (fpmi), bei seiner Begrüßung erinnert: Rechtsanwalt, Stadtrat, Landtagsabgeordneter, Ministerpräsident von Baden-Württemberg und 10 Jahre EU-Kommissar – der „Elder Statesman“ Oettinger äußert sich über Deutschland, Europa und das Wahlergebnis. Er fordert von dem neuen Kanzler samt Ministerinnen und Ministern innenpolitisch eine Agenda 2030 und außenpolitisch mehr Präsenz in Europa und der Welt.
Oettinger nennt dazu insbesondere fünf Punkte:
- Eine Agenda 2030 mit Initiativen für Forschung und Entwicklung, Digitalisierung, Verbesserung der Infrastruktur – sie setzt einen Kassensturz voraus. Deutschland hat aus der Substanz gelebt. Sozialsysteme funktionieren nur noch durch Milliardenzuschüsse des Staates; Rücklagen sind inzwischen aufgebraucht. Kapitalgedeckte Sicherungssysteme sind deshalb aufzubauen. Die Generationengerechtigkeit fordert neue Formen der Altersvorsorge. Damit sollte die neue Regierungsmannschaft loslegen.
- Ein „kluger“ green deal ist auszuhandeln. Entsprechend ist das Pariser Abkommen international zu konkretisieren. Deutschland als Vorbild bleibt allenfalls Stückwerk, wenn es weltweit keine Nachahmer findet – bei einem deutschen Anteil von 2 Prozent am globalen CO2-Ausstoß. Die Wirtschaft sollte ihren Transformationsprozess viel klarer darstellen.
- Europa ist international zu stärken. Dazu kann die Aufnahme weiterer Staaten in die EU beitragen. Entsprechend sind Handelsabkommen neu zu verhandeln und „eingefrorene Gespräche“ wieder aufzutauen. Insbesondere sollte den Balkanstaaten eine Perspektive für einen EU-Beitritt eröffnet werden. Voraussetzung ist laut Oettinger allerdings eine Reform der EU-Verfassung, damit die EU handlungsfähig bleibt. Ein Konvent in Brüssel arbeitet bereits an einer Modifikation der Verträge von Lissabon. Sie könnte im Jahr 2023 neu versucht werden.
- Der Euro als Leitwährung sollte an Bedeutung gewinnt. Dies gelingt laut Oettinger, wenn mehr Länder im Euroraum sind. Darauf gilt es in Brüssel hinzuarbeiten.
- Europa genügt sich nicht allein. „Neighborhood is destiny“ und das gilt besonders für Afrika. Neue Schwerpunkte der europäischen Politik sind zu setzen, wenn die Länder Afrikas nicht China überlassen werden sollen. Oettinger sieht auch dort die ambivalente Rolle Chinas als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale Europas. Auch deshalb bleibt es zwingend, dass im Wettbewerb um internationale Standards Europa führend bleibt.
„Deutschland ist kein Sanierungsfall“, aber Reformen sind notwendig, betont Oettinger. Um Europa in der Welt zu stärken, müssen transatlantische Brücken geschlagen und eine gemeinsame EU-Wirtschaftspolitik betrieben werden, so Oettinger abschließend. Für Deutschland – und Europa – erhofft er sich eine stabile Regierung noch vor Weihnachten.
Über das fpmi business webinar
Nach Innen ist die fpmi bestrebt, das bereits enge Netzwerk zwischen ihren Teilnehmern weiter auszubauen. Hierzu dient auch das neue Format des fpmi business webinars, das aktuelle Führungskräfte und die Fachebene als künftige Führungskräfte der teilnehmenden Unternehmen anspricht. Viermal jährlich haben die Vertreter der Teilnehmerunternehmen Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch. Den Kern der Veranstaltung bildet ein Vortrag eines namenhaften Referenten zu finanz- und realwirtschaftlichen Themen mit anschließender Diskussion.
Bayern mit seinem Zentrum München ist einer der bedeutendsten Finanzplätze Europas, der größte Versicherungsplatz Deutschlands, der zweitgrößte deutsche Bankenstandort und führend für Private Equity, Venture Capital, Leasing sowie Asset Management. In der Finanzplatz München Initiative haben sich alle wichtigen Unternehmen, Verbände, Institutionen sowie wissenschaftliche und staatliche Einrichtungen aus der Finanzbranche zusammengeschlossen, um mit einer Stimme zu sprechen. Gegründet 2000 unter maßgeblichem Engagement des bayerischen Wirtschaftsministeriums zählt die Initiative heute fünfzig Mitglieder und damit mehr als jede andere Finanzplatzinitiative in Deutschland.
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