Kommunikation

Diversität, Vorbilder und Rahmenbedingungen: Wie wir mehr Frauen für die IT begeistern können

Deutschland ist, was Frauen in der IT angeht noch eines der Schlusslichter in Europa. Ortrud Siener, Head of Human Resources bei Axians Deutschland, diskutiert hier die Hintergründe und die Möglichkeiten, um mehr Mädchen und Frauen für MINT-Berufe zu begeistern.

Autorin: Ortrud Siener, Head of Human Resources, Axians Deutschland 

Angesichts des anhaltenden Fachkräfteverteilungskampfes in MINT-Berufen, besonders auch im ICT-Bereich, wird es immer dringender, Frauen dafür zu gewinnen und zu begeistern – und das so früh wie möglich. In Deutschland ist das umso wichtiger: Der Frauenanteil in ICT-Berufen ist hierzulande laut Eurostat mit 17,5 Prozent europaweit mit am niedrigsten, nur „geschlagen“ von Belgien, Slowenien und der Türkei mit nur 16,8 Prozent.

Am höchsten ist der ICT-Frauenanteil in Bulgarien und Griechenland mit jeweils mehr als 26 Prozent. Begeistern und mitziehen können hierzulande Vorbilder, denn mit 25 Prozent Frauenanteil in Informatik-Studiengängen können wir uns auch nicht für die Zukunft zufriedengeben. Bei Kindern ziehen solche Vorbilder ja auch, wenn sie beispielsweise Feuerwehrleute sehen.

Es macht schon Sinn im Kindergarten Berufsrollen wie z. B. Programmiererin, IT-Architektin, Projekleiterin oder Signaltechnikerin vorzustellen, um erste Wünsche für spätere Berufe zu erwecken. Nur so bricht man festgefahrene Vorstellungen nachhaltig auf. Und das Beste: es gibt diese Vorbilder!

Vorbilder aus der IT- und Wissenschafts-Geschichte

„Am Anfang war Ada“, so würdigte das Heinz Nixdorf Museums Forum in Paderborn in einer Sonderausstellung zu Frauen in der Computergeschichte um 1916 unter anderem Ada Lovelace. Die Tochter des berühmten britischen Dichters Lord Byron hatte nämlich vor bald 180 Jahren das erste Programm für eine von ihr mitentwickelte, aber leider nie gebaute Analytic Engine verfasst. Sie geht bei den vielen Männern, die sich IT-Geschichte auf die Brust geheftet haben, leider oft verloren.

Grace Hopper, die wohl bekannteste Frau der Frühzeit des Computers, nicht zu vergessen, die afroamerikanischen „Hidden Figures“, die maßgeblich am Mercury- und Apollo-Programm der NASA beteiligt waren, ebenso wenig, von Marie Curie ganz zu schweigen. Die gebürtige Polin war und ist die einzige Person überhaupt, die für zwei Naturwissenschaften einen Nobelpreis verliehen bekam, 1903 für Physik, 1911 für Chemie. Bei der Impfstoffentwicklung ist die BioNTech-Mitgründerin Özlem Türeci als CMO oder medizinische Leiterin die große Ausnahme. Sie alle werden allzu oft vergessen, aber gut, dass die Filmindustrie so wie bei den NASA-Programmiererinnen plötzlich ein Herz für diese Pionierinnen entdeckt hat. Dabei brauchen wir eben mehr solcher Vorbilder. Diese, insbesondere auch den Mädchen näher zu bringen, sollte am besten schon im Vor- und Grundschulalter erfolgen.

Warum Deutschland so hinterherhinkt

In den deutschen Bildungseinrichtungen erleben Mädchen allerdings überwiegend Lehrerinnen und fast nur Erzieherinnen. Diese Berufe sollten für männliche Berufseinsteiger attraktiv gestaltet werden, so dass wir hier auch einen höheren Anteil an männlichen Vorbildern erreichen. Doch woher kommen diese signifikanten Berufswahlunterschiede?

Frauen sollten im letzten Jahrhundert häufig auch höchstens ein Zubrot verdienen, denn wer bitte sollte sich denn sonst um die Kinder kümmern? Das hat sich vor allem mit der neuen Generation Z glücklicherweise gewandelt. Die Coronakrise und der damit verbundene Massenaufbruch ins Homeoffice hat auch gezeigt, dass es möglich ist, Beruf und Familie zu vereinen und beide Elternteile Verantwortung automatisch übernehmen mussten. Viele Unternehmen haben so wie wir von Axians die Eltern so gut wie es geht unterstützt, Arbeit und Familie in dieser schweren Zeit zu vereinen. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht und sprechen nun von „The New Normal“, d.h. weiterhin im Rahmen des Möglichen flexible Arbeitsformen individuell zu offerieren. Davon profitieren dann auch Frauen. Sie mussten in der Vergangenheit zusätzlich zu ihrem Job einen Großteil der Arbeit im Haushalt und der Kindererziehung leisten. Neben einer Veränderung in der Gesellschaft, da auch vermehrt Männer diese Arbeiten übernehmen, können Remote Work und mehr Flexibilität, etwa in Form von Teilzeit, Job-Sharing, dazu beitragen, dass Frauen so auch Zugang zu IT-Berufen finden. Es gibt in der ICT-Branche viele Möglichkeiten flexibel zu arbeiten, man muss nur als Unternehmen kreative Ansätze hier fördern und den Mitarbeiter:innen als Führungskraft zuhören.

Aber warum steht Deutschland bei Frauen in der IT und in MINT-Fächern eigentlich so schlecht da? Wie ungebrochen die männliche Dominanz in den Naturwissenschaften bis heute ist, zeigt die KI-Forschung. Fast alles ist in der Forschung und auch der Algorithmenentwicklung auf den männlichen Teil der Bevölkerung ausgelegt. So entwickelt sich auch KI entsprechend männlich, wie der Global Sender Gap Report zeigt. Die Programmierung lebt von männlichen Erfahrungen und Eindrücken. Auch Berufskleidung in männerdominierten Berufen orientiert sich ausschließlich am männlichen Körper, wie es beispielsweise mit der Anwaltsrobe im Gerichtssaal oder bei Uniformen sichtbar wird.

Heute werden in Schulen, insbesondere MINT-Schulen, vermehrt aktiv Angebote für Schüler:innen zu ICT-Projekten gemacht. Es fehlt aber hier an der spezifischen Ansprache und Motivation für Mädchen. Mädchen müssen in der Regel anders motiviert werden als Jungs. Der Knackpunkt: Dies wird noch nicht in Schulen berücksichtigt und umgesetzt. Das ist der Einstiegspunkt für die Zukunft, um den Frauenanteil in der ICT zu erhöhen.

Aufbrechen der Stereotypen tut Not

Emanzipation wurde in den 68er großgeschrieben. Die ersten Eltern oder besser Mütter haben versucht, ihre Kinder geschlechterneutral zu erziehen. So richtig gelungen ist es nur wenigen. Denn um ein Klischee zu bedienen, bekamen die Mädchen dann doch oft rosa Kleidchen und Puppen, die Jungs hellblaue Leibchen und Matchbox-Autos.

Es ist wie gesagt schwer, sich von solchen Rollenbildern oder Geschlechterstereotypen zu lösen. Aber Frankreich mit seiner seit vielen Jahren überragenden Geburtenrate im EU-Schnitt zeigt, dass sich Familie und Beruf für Frauen sehr wohl vereinbaren lassen, wie es die Generation Z bei uns mehr und mehr fordert. Dazu brauchen wir aber nicht nur eine höhere Wertschätzung, sondern auch eine bessere Unterstützung der Frauen und jungen Eltern, wie wir von Axians und viele unserer Technologiepartner sie leisten. Seit der Pandemie fördern wir zum Beispiel die Homeschooling e.V., um mit Beratung und eigenen Fachkräften Schulen und Eltern in dem Bereich zu unterstützen. Weiterhin sprechen wir aktiv Kinder und Jugendliche an und machen hier ein Angebot über die Hacker School oder IT-Entdeckerwoche.

Apropos emotional: Uns Frauen wird nachgesagt, das „soziale“ Geschlecht zu sein. Tatsächlich nehmen sich Frauen und Mädchen oft mehr zurück und schätzen ihre Fachkenntnisse anders ein als Männer. Dabei können Frauen doch viel mehr mit den heute so viel beachteten Soft-Skills wie kommunikative, empathischen Fähigkeiten punkten. Es macht durchaus Sinn in der Recruiting Abteilung gerade für ICT-Berufe Frauen zu beschäftigen, da diese einen besseren Zugang zu Bewerberinnen haben und somit die Zugangshürde für Frauen in ICT-Berufen erleichtert wird.

Generell liegt der Frauenanteil im HR-Bereich, auch bei IT-Unternehmen, sehr hoch, bei Axians sind es 85 Prozent. Um mehr Diversität im gesamten Unternehmen zu schaffen, sollten die HR-Abteilungen bereits im Recruiting Veränderungen einführen und diese dann auch gegenüber einem oft männlich dominierten Management behaupten und durchsetzen.

So können etwa bereits Stellenausschreibungen durch Vermeidung von Begriffen wie „durchsetzungsstark“, „selbstständig“, „offensiv“ und „analytisch“, die auf Bewerberinnen nachweislich negativ wirken, attraktiver für Frauen sein. Ein wichtiger Punkt ist auch die Akzeptanz von Brüchen, Pausen und Rückschritten in Karrieren und Lebensläufen.

Unternehmen müssen so selbst Offenheit, Modernität, soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit und Flexibilität verkörpern, um Frauen für sich zu gewinnen.

Sie können auch aktiv etwas für die Förderung von Diversität in der IT tun. Eine Initiative, die wir seit Jahren praktizieren, um besonders Mädchen für IT-Berufe zu begeistern, ist etwa der Girls’DAY, der am 22. April coronabedingt zum zweiten Mal digital stattfand – und das mit großem Erfolg. Hinzu kam ein IT-Entdecker-Wochenende und eine „Hacker School“, mit denen wir jungen Menschen, Mädchen und Jungen, Gelegenheit geben, in die Themenwelt von Axians und VINCI Energies hineinzuschnuppern.

Schlusswort statt Fazit

Diversität ist in aller Munde, kaum ein TV-Spot, in dem kein Diversität zu spüren ist. Und das ist auch gut so, ist es doch Ausdruck einer nie gekannten gesellschaftlichen Offenheit. Diversität fängt bei den Frauen an. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, beginnt aber auch schon im Elternhaus. Dieses kann ungemein prägen, wie das frühe Beispiel Ada Lovelace und Lord Byron zeigt.

Frauen können in fast allen Bereichen genauso viel leisten wie Männer, in manchen sogar mehr. Und das zu fördern, ist nicht zuletzt im Interesse der IT-Unternehmen wie Axians oder beispielsweise SAP. Der deutsche Softwareriese setzt auch schon auf Jobsharing, um Frauen und Männer – eine flexible Arbeitsweise zu ermöglichen.

 

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