Patentdaten: Deutschland im Kunststoffrecycling und bei Biokunststoffen europaweit mit den meisten Patenten, aber vergleichsweise geringer Spezialisierung
- Studie des Europäischen Patentamts zeigt: 60% der weltweiten Patentaktivitäten im Zusammenhang mit Kunststoffrecycling und Biokunststofftechnologien entfallen auf Europa und USA
- Deutschland in Europa zwar mit meisten Patenten bei Kunststoffrecycling und alternativen Kunststofftechnologien, jedoch mit Mangel an Spezialisierung im Vergleich zu anderen führenden europäischen Staaten
- Chemische und biologische Verfahren verzeichnen von allen Recyclingtechnologien die meisten hochwertigen Erfindungen
- Gesundheits-, Kosmetik- und Reinigungsmittelindustrie sind im Bereich Biokunststoff-Innovationen führend
- BASF und Henkel zählen zu weltweit größten Patentanmeldern bei Biokunststoffen für Verpackungen, Kosmetik und Waschmittel
- EPA-Präsident António Campinos: „Der Bericht macht den Beitrag Europas zu einer Kunststoff-Kreislaufwirtschaft deutlich, zeigt aber auch, dass mehr für die Kommerzialisierung der Grundlagenforschung getan werden sollte“
Wie eine neue Studie des Europäischen Patentamts (EPA) zeigt, sind Europa und die USA weltweit führend, wenn es um Innovationen im Kunststoffrecycling und bei alternativen Kunststofftechnologien wie Biokunststoffen geht. So entfielen auf Europa und die USA zwischen 2010 und 2019 jeweils 30% bzw. zusammen 60% der internationalen Patentfamilien (IPF) in diesen Bereichen. Der Anteil der deutschen IPF am Gesamtaufkommen beläuft sich im globalen Vergleich beim Kunststoffrecycling auf 8,2% (1 242 IPF) und bei alternativen Kunststofftechnologien auf 8,2% (4 090 IPF). Innerhalb Europas verzeichnete Deutschland dank seiner großen Wirtschaft den höchsten Anteil an IPF sowohl beim Kunststoffrecycling (32%) als auch bei alternativen Kunststofftechnologien bzw. Biokunststoffen (34%). Im Ranking der deutschen Top-Anmelder für Recyclingtechnologien wiederum befindet sich BASF auf dem ersten Platz (190 IPF), vor Evonik (90 IPF) und Lanxess (64 IPF). Im Segment Biokunststoffe liegt Henkel (695 IPF) vor BASF (587 IPF) und Evonik (234 IPF).
Die Studie des EPA zeigt jedoch auch, dass es der Bundesrepublik beim Kunststoffrecycling und Biokunststoffen an Spezialisierung[1] fehlt: So weisen im europäischen Vergleich Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande und Belgien eine höhere Spezialisierung in diesen Bereichen auf.
„Kunststoffe sind für die Wirtschaft zweifellos unerlässlich. Die Verschmutzung durch Plastik bedroht jedoch Ökosysteme auf der ganzen Welt“, sagte EPA-Präsident António Campinos. „Die gute Nachricht ist, dass uns Innovationen dabei helfen können, uns dieser Herausforderung zu stellen, indem sie den Übergang zu einem durch und durch zirkulären Modell ermöglichen. Diese Studie bietet wichtige Einblicke in eine Reihe vielversprechender neuer Technologien, die auf die Wiederverwendbarkeit, Recyclingfähigkeit und biologische Abbaubarkeit von Kunststoffprodukten setzen. Der Bericht hebt Europas Beitrag zur Innovation in diesem Sektor hervor. Er zeigt allerdings auch, dass noch viel mehr getan werden sollte, die wegweisende Pionierarbeit der europäischen Forschung in Erfindungen umzusetzen und diese auf den Markt zu bringen.“
Die Studie mit dem Titel „Patente für die Kunststoffe der Zukunft: Globale Innovationstrends in den Bereichen Recycling, kreislauffähiges Design und alternative Rohstoffe“ legt eine umfassende Analyse der Innovationstrends für den Zeitraum 2010 bis 2019 vor, die den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie bestimmen.
Der Bericht stützt sich dabei auf IPF, weil jede IPF für eine einzelne Erfindung steht, die in mehr als einem Land zum Patent angemeldet wurde (sogenannte hochwertige Erfindungen).
Chemische und biologische Recyclingverfahren mit den meisten Patenten – Deutschland verzeichnet geringeren Anteil
Die Studie zeigt, dass unter allen Recyclingtechnologien von chemischen und biologischen Recyclingverfahren im Berichtszeitraum die höchste Patentaktivität ausging. In den Jahren 2010-19 entfielen auf diesen Bereich 9 000 IPF, doppelt so viele wie beim mechanischen Recycling (4 500 IPF), der heute gängigsten Lösung zur Umwandlung von Plastikabfällen in neue Erzeugnisse. Während die Patentierung chemischer Standardverfahren (wie Cracking und Pyrolyse) 2014 einen Höhepunkt erreichte, bieten aufkommende Technologien wie biologische Verfahren mit lebenden Organismen (1 500 IPF), oder das Kunststoff-zu-Monomer-Recycling (2 300 IPF) neue Möglichkeiten, Polymere abzubauen und neuwertige Kunststoffe herzustellen.
Bei chemischen und biologischen Recyclingverfahren liegt Europa mit 26 % aller IPF hinter den USA (36%). Deutsche Unternehmen trugen bei diesen Technologien zwischen 2010 und 2019 lediglich 6,7% der Innovationen bei: Verglichen mit den Patentierungsaktivitäten im Zusammenhang mit der Abfallverwertung und dem Kunststoff-zu-Produkt-Recycling, wo im gleichen Zeitraum bis zu 10% der Erfindungen aus Deutschland kamen, stellt dies einen geringen Wert dar. Wie die Studie weiter zeigt, verzeichnen deutsche Unternehmen im Bereich Kunststoff-zu-Produkt-Recycling einen höheren Anteil im Pre-Consumer-Recycling (16%) als im Post-Consumer-Recycling (10%), was die Bedeutung des industriellen Produktionssektors Deutschlands widerspiegeln kann.
Gesundheits-, Kosmetik- und Reinigungsmittelindustrie führend bei Biokunststoff-Innovationen; BASF und Henkel unter den weltweit größten Patentanmeldern
Geht es um die Anzahl hochwertiger Erfindungen im Bereich Biokunststoffe, ist Deutschland mit 4 090 IPF innerhalb Europas führend. Allerdings ist Deutschland neben Schweden auch das einzige der führenden zehn europäischen Länder, das über keine Spezialisierung in diesem Sektor verfügt.
Insgesamt zeigt die Studie, dass das Gesundheitswesen der bei weitem aktivste aller größeren Industriesektoren ist (mit mehr als 19 000 IPF im Zeitraum 2010-19). Dagegen ist die Patentintensität bei Biokunststoffen bei Kosmetika und Reinigungsmittel am höchsten: Das Verhältnis von IPF für Biokunststoffe zu IPF für herkömmliche Kunststoffe liegt hier bei 1 zu 3, während es im Gesundheitswesen nur 1 zu 5 beträgt. Zudem leisten die Industriesektoren Verpackungen, Elektronik und Textilien einen wichtigen Beitrag zur Innovation bei Biokunststoffen.
Deutsche Unternehmen sind in vielen Industriesektoren ganz vorne vertreten: So belegen Henkel und BASF im Segment Verpackungen den zweiten bzw. dritten Rang. Im Segment Kosmetik und Waschmittel sind Henkel (Platz 3) und BASF (8) unter den weltweit patentaktivsten Unternehmen anzutreffen. Die Fraunhofer-Gesellschaft belegt bei Biokunststoff-Innovationen den siebten Platz unter den weltweit führenden Universitäten und Forschungseinrichtungen und ist neben dem französischen CNRS-Institut die einzige europäische Forschungseinrichtung im globalen Top 10-Ranking.
Rasanter Innovationsschub bei leichter recycelbaren Kunststoffen
Mit Blick auf die Zukunft hebt die Studie das erhebliche Potenzial alternativer Technologien hervor, die sich auf neue Kunststoffdesigns für ein einfacheres Recycling konzentrieren. Dieser Bereich hat sich in den vergangenen Jahren exponentiell entwickelt und seit 2010 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 10% verzeichnet. Die Technologien verfügen über Anwendungspotenzial in der Luft- und Raumfahrt, im Bau- und Transportwesen, bei Windturbinen und in der Mikroelektronik. Das rasante Wachstum der Patentanmeldungen ist hier fast ausschließlich auf Innovationen im Bereich der dynamischen kovalenten Bindung zurückzuführen – ein Ansatz, der neuartige Designs von haltbaren Kunststoffmaterialien ermöglicht, die sich selbst regenerieren können. Insgesamt verzeichnet Deutschland in diesem Segment einen Anteil von 5,5%, während japanische Unternehmen die Statistiken mit einem Anteil von 48,9% vor den USA anführen. Die meisten Erfindungen, die auf diesem Gebiet von Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen eingereicht wurden, stammen jedoch aus Europa und den USA.
Schließlich geht der Bericht mit Blick auf alternative Kunststofftechnologien auch auf die Rolle der Kunststoffherstellung aus CO2 ein, die von einer kleinen Zahl an Unternehmen vor allem aus Europa – wie zum Beispiel Covestro in Deutschland – und Südkorea auf den Weg gebracht worden ist und eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft spielen kann.
Ungenutztes Potenzial bei Kommerzialisierung von europäischer Hochschulforschung
Der Bericht zeigt ebenso, dass die Grundlagenforschung in den Bereichen chemisches und biologisches Recycling eine viel größere Rolle spielt als in anderen Kunststoffrecyclingtechnologien. Demnach stammten fast 20% der Erfindungen aus Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen (siehe Abbildung: Vorgelagerte Forschung in Recyclingtechnologien, 2010-19). Dabei wiesen Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen aus Europa und den USA einen deutlichen Vorsprung gegenüber anderen Ländern auf, wobei jeweils 29% der IPF aus Forschungsinstitutionen stammen. Der Bericht zeigt aber auch, dass Europa der einzige bedeutende Innovationsstandort ist, der einen größeren Anteil an chemischen und biologischen Recycling-Erfindungen aus vorgelagerter Forschung beisteuert (29%) gemessen am Gesamtaufkommen auf dem Gebiet (26%). Im Gegensatz dazu sind die Beiträge der USA und Japans zu IPF aus vorgelagerter Forschung (29% und 11%) geringer als ihre jeweiligen Anteile an allen IPF (36% und 17%). Demgegenüber generierten US-amerikanische Start-ups und Scale-ups viermal so viele Erfindungen im chemischen und biologischen Recycling wie ihre europäischen Pendants (338 vs. 84). Dies deutet darauf hin, dass Europa, obwohl es in der Grundlagenforschung besonders aktiv ist, sein Potenzial beim Transfer dieser Technologien in marktreife Erfindungen noch nicht voll ausschöpft.
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Über den Bericht
Der Bericht "Patente für die Kunststoffe der Zukunft" richtet sich an Entscheidungsträger im privaten und öffentlichen Sektor und ist eine einzigartige Quelle für Informationen über diese Technologien und die technischen Probleme, die sie lösen sollen. Er basiert auf den neuesten Informationen aus Patentdokumenten und stützt sich auf das Fachwissen der EPA-Patentprüfer bei der Identifizierung relevanter Kunststoffrecycling- und alternativer Kunststofftechnologien. Damit bietet der Bericht eine umfassende Analyse der Innovationstrends, die den Übergang zur Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe vorantreiben. Die Analyse erfolgte auf der Grundlage internationaler Patentfamilien (IPF), von denen jede für eine einzelne Erfindung steht, für die Patentanmeldungen in mindestens zwei Ländern oder bei einem regionalen Patentamt eingereicht wurden, sowie veröffentlichten internationalen Patentanmeldungen. IPF repräsentieren Erfindungen, die von ihrem Schöpfer für wertvoll genug erachtet werden, um internationalen Patentschutz anzustreben. Nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Anmeldungen schafft es über diese Schwelle. Dieses Konzept kann daher als solide Grundlage für den Vergleich internationaler Innovationsaktivitäten herangezogen werden. Da Patentanmeldungen viele Monate oder sogar Jahre vor dem Erscheinen von Produkten auf dem Markt eingereicht werden, gelten sie oft als Frühindikator für zukünftige Technologietrends.
Der Bericht enthält auch Fallstudien, die eine Reihe von Erfindungen im Bereich Recycling und alternative Kunststofftechnologien veranschaulichen.
[1] Der Relative Spezialisierungsindex (RTA) ist ein Indikator für den relativen Spezialisierungsgrad einer bestimmten Volkswirtschaft in einem Technologiefeld. Er vergleicht den Anteil der Erfindungen, die von einem Land zu Patentierungen in den Bereichen Kunststoffrecycling und alternative Kunststofftechnologien beigetragen haben, mit dem Gesamtbeitrag des Landes zu Patentierungen in allen Technologiefeldern. Ein RTA-Wert über 1 spricht für eine positive Spezialisierung, ein RTA unter 1 für eine negative Spezialisierung. Ist der Wert gleich 1 heißt dies, dass keine Spezialisierung vorliegt.
Mit 6 400 Mitarbeitern ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
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