Kunst & Kultur

Zum Angriff auf Memorial

Am gestrigen Donnerstag Abend (14.10.2021) wurde in Moskau eine öffentliche Veranstaltung der russischen Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung Memorial von einem organisierten Mob überfallen und gestört. Anlass des Überfalls war eine öffentliche Präsentation des Kinofilms „Mr. Jones“ der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland über den britischen Journalisten Gereth Jones, der 1933 zu den ersten internationalen Zeugen des Holodomors in der Ukraine wurde – also des bewusst in Kauf genommenen Hungertodes von Hunderttausenden durch Zwangsenteignungen. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte von Verfolgung und Repressionen in der Sowjetunion ist die Mission von Memorial, seit die Organisation Ende der 80er Jahre von Nobelpreisträger Andrej Sacharow, von Arsenij Roginskij und anderen gegründet wurde. Seit Jahren wird Memorial wegen seiner unabhängigen kritischen Geschichtsaufarbeitung und seiner Menschenrechtsarbeit vom russischen Staat und russischen Propagandasendern verfolgt – über die Einstufung als „ausländischer Agent“, zahlreiche Verfahren wegen angeblicher Verstöße gegen das Agentengesetz und regelmäßige propagandistische Angriffe.

Den offenbar organisierten Mob, der die Kinoaufführung stürmte, begleiteten Kameraleute des Fernsehkanals NTV, der sich durch Hetzpropaganda gegen Memorial seit Jahren besonders hervortut. Daraufhin rief Memorial die Polizei, die etwa 15 Minuten später eintraf. Die meisten der 25-30 jungen Männer hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon entfernt. Memorial konnte 3 dieser Männer festhalten und der Polizei übergeben. Mit der Zeit waren mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Polizei- und Sicherheitseinheiten bei Memorial, die weder die Zuschauer noch die Mitarbeiter von Memorial gehen ließen. Alle Anwesenden wurden gezwungen, Erklärungen auf Vordrucken zu schreiben und persönliche Angaben zu machen zum Grund ihrer Teilnahme an der Veranstaltung, wie sie von der Veranstaltung erfahren hätten, ob sie vorbestraft seien u.a. Die Polizisten verlangten Zutritt zu den Büros von Memorial. Untereinander sprachen sie über die Konfiszierung von Computern. Inzwischen gerufene Memorial-Anwälte konnten die Durchsuchung abwenden. Erst nach etwa 6 Stunden verließen die Polizisten Memorial und nahmen ein Computer mit, der die Überwachungskameras und die Feuermeldeanlage und steuert.

Der Überfall auf die Kinovorführung dauerte etwa 30 Minuten. Das Festhalten der Memorial-Mitarbeiter dauerte über 6 Stunden.

Wir verurteilen diesen Angriff auf Memorial aufs Schärfste. Wir fordern die vollständige Aufklärung der Vorfälle und die Bestrafung der Verantwortlichen.

Wir versichern Memorial unsere uneingeschränkte Solidarität.

Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Walter Kaufmann, Leiter des Referats Ost- und Südosteruopa der Heinrich-Böll-Stiftung

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