Dressed. 7 Frauen – 200 Jahre Mode
Die Auswahl der Protagonistinnen erfolgte nicht nach Status oder Prominenz, sie bildet vielmehr eine möglichst große Vielfalt von weiblichen Lebensentwürfen und deren modischem Ausdruck ab. Ausgehend von der Sammlung Mode und Textil im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) zeichnen rund 150 Kleidungsstücke und Accessoires sieben Lebenslinien sowie 200 Jahre Mode-, Emanzipations- und Zeitgeschichte nach. Sie stammen von bekannten Designer*innen, Couturi*ères und Modeateliers wie Worth, Elsa Schiaparelli, Yves Saint Laurent, Yohji Yamamoto, Rei Kawakubo oder Martin Margiela, aber auch von anonymen Schneiderinnen und Hausnäherinnen. Ergänzt werden sie um biografische Zeugnisse, Fotografien und Dokumente.
SIEBEN PERSÖNLICHKEITEN – SIEBEN GARDEROBEN
Das früheste Konvolut von ELISE FRÄNCKEL (1807–1898) besteht vor allem aus Accessoires und zeigt, wie modisch up to date sich die Senatorengattin aus dem holsteinischen Oldenburg um 1820 kleidete. Die Garderobe der Diplomatengattin EDITH VON MALTZAN FREIFRAU ZU WARTENBERG UND PENZLIN (1886–1976) umfasst sowohl exquisite Abend- und Gesellschaftstoiletten als auch elegante Tageskleidung aus den Jahren 1895 bis 1950. Das Leben und die Kleidung von ERIKA HOLST (1917–1946) sind vom Krieg und ihrer Tuberkuloseerkrankung gekennzeichnet. Ihre Garderobe enthält überwiegend Tageskleidung der Jahre 1935-45. Die Hamburger Galeristin und Museumsgründerin ELKE DRÖSCHER (*1941) trug zwischen 1968 und 1986 fast ausschließlich Prêt-à-Porter-Mode von Yves Saint Laurent und realisierte damit eine Form von „Power Dressing“. INES ORTNER (*1968), seit Mitte der 1980er Jahre in der Hamburger Punkszene aktiv, verbindet das Interesse an Mode mit ihrer gesellschaftskritischen Einstellung in „selbstgebauten“, teilweise anarchischen Kleid-Objekten. ANGELICA BLECHSCHMIDT (1942–2018) war von 1989 bis 2002 Chefredakteurin der deutschen Vogue und repräsentierte mit ihrem gesamten Habitus die High-End-Produkte der internationalen Modehäuser. Ihre „Berufskleidung“ waren schwarze Cocktailkleider in Kombination mit großformatigem Modeschmuck. Die Kunst- und Designsammlerin ANNE LÜHN (*1944) hat dem MK&G über viele Jahre Einzelstücke aus ihrer Garderobe überlassen. Die häufig asymmetrischen Entwürfe einer internationalen Design-Avantgarde zeigen eine widerständige Ästhetik.
ENTWICKLUNG DER MODE
Die ausgewählten Konvolute werfen Schlaglichter auf die Entwicklung der Mode seit dem frühen 19. Jahrhundert. Eine mögliche Betrachtungsweise ist die einer abstrakten Generationenfolge. Der Zweite Weltkrieg markierte einen deutlichen Einschnitt für weibliche Lebensentwürfe, ablesbar an Familienstand und Berufstätigkeit der porträtierten Frauen. Die nach 1940 geborenen Frauen sind nicht mehr allein auf die Rolle als Mutter, Ehe- und Hausfrau festgelegt, sondern können eigene berufliche Ziele verfolgen. Die getragene Mode erzählt auch von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen: Das starre Korsett verschwindet nach dem Ersten Weltkrieg etwa zeitgleich mit der Einführung des Frauenwahlrechts. Die Durchsetzung der Hose in der Damenmode ab den 1970er Jahren geht einher mit der Emanzipationsbewegung. Auch die zunehmende Pluralität der Bekleidungsstile spiegelt in den 1980er Jahren die gesellschaftlichen Entwicklungen wider. Diese Wechselwirkungen verdeutlicht ein Zeitstrahl.
KLEIDUNG ALS ARCHIV
Die Ausstellungsgestaltung ist inspiriert vom Archiv. Sie verweist auf die Aufgabe des Sammelns und Erforschens in Museen, aber auch auf die Archivfunktion der Kleider selbst als materielle Zeugnisse von Design-, Technik- und Handelsgeschichte, als Spur von individuellen Körpern, Bewegung und Gebrauch und als Sammlung immaterieller Verweise auf die Aura eines Menschen mit Vorstellungen von Weiblichkeit, Schönheit, Schicklichkeit und persönlichen und kollektiven Erinnerungen.
KLEIDUNG ALS GEBRAUCHSGEGENSTAND
Kleidungsstücke sind Gebrauchsgegenstände, in die Nutzungs- und Körperspuren, Materialalterung und Lagerung eingeschrieben sind. Diese Zeichen sind weder im privaten Kleiderschrank noch in Museumssammlungen gerne gesehen – als Indizien für die objektbasierte Forschung erweisen sie sich aber als äußerst wertvoll. Die Ausstellung zeigt daher auch Objekte mit deutlichen Gebrauchsspuren und informiert über ihren Erhaltungszustand.
KLEIDUNG ALS MITTEL SOZIALER KOMMUNIKATION
Bekleidungsnormen und Dresscodes sind abhängig von Faktoren wie Alter, Gender, Körperform, Anlass, Ort, Status oder sozialer Gruppe. Sich in diesem Zeichenlabyrinth zurechtzufinden und die persönlich passende Mischung aus Anpassung und Abweichung zu finden, lernen wir von Kindheit an. Mode und die Beschäftigung mit dem eigenen Aussehen ist – das erzählen die gezeigten Biografien – bis heute vor allem ein Thema von Frauen und weiblich gelesenen Menschen. Sie werden stärker nach ihrem Äußeren beurteilt und können mehr „Fehler“ in der Inszenierung ihrer Erscheinung machen als Männer. Als Mittel der sozialen Kommunikation kann Kleidung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ihre Wirkung ist unmittelbar. Bewusst oder unbewusst senden und empfangen wir Signale mit unseren bekleideten Körpern – nicht zu kommunizieren ist unmöglich.
VERTRETENE MODEHÄUSER UND DESIGNER*INNEN
Die Ausstellung gibt einen detaillierten Einblick in Sammlungsbestände von hoher Qualität und in das kreative Schaffen einer Vielzahl anonymer und bekannter nationaler und internationaler Modedesigner*innen Couturi*éres und Ateliers, darunter Georges Dœuillet, Romeo Gigli, Rei Kawakubo/Comme des Garçons, Alice Lanot, Emilienne Manassé, Maison Martin Margiela, Issey Miyake, Rick Owens, Prada, Yves Saint Laurent, Elsa Schiaparelli, Worth, Yohji Yamamoto u.a.
KATALOG
Zur Ausstellung erscheint ein gleichnamiger Katalog im Hirmer Verlag München, hg. von Tulga Beyerle und Angelika Riley, mit Beiträgen von C. Beermann, T. Beyerle, J. Entwistle, B. Haase, P. Kempe, I. Mida, A. Riley, M. Stabel, Fotografien von Anne Schönharting, deutsche Ausgabe mit zwei englischsprachigen Essays, ca. 300 Seiten, ca. 475 Abbildungen in Farbe, davon 90 ganzseitige Tafeln, € 49,90
Ingo Offermanns (Hamburg) übernimmt die grafische Gestaltung für Katalog und Ausstellung. Die Architektur der Ausstellung wird verantwortet von der Gestalterin und Szenografin Katleen Arthen (Berlin).
Die Ausstellung wird gefördert durch den Ausstellungsfonds der Freien und Hansestadt Hamburg, die Hubertus Wald Stiftung und die Ernst von Siemens Kunststiftung.
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
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