Studie zu Sichtbarkeit in der Wahlkampfberichterstattung 2021
Wer kommt zu Wort, wenn es im Wahlkampf um die Politik von morgen geht? Um das zu analysieren, haben wir ARD-Tagesthemen, ZDF-Heute Journal und RTL Aktuell vom 1. August 2021 bis 30. September 2021 mit Datenjournalist*innen beobachtet und erhoben, wie es um die Sichtbarkeit verschiedener Gruppen steht.
Die Ergebnisse:
- Nur 10 Prozent der Menschen, die etwas zu Deutschland sagen, sind migrantisch wahrgenommene Personen.
- Vor allem bei innenpolitischen Themen (7%) und als Expert*innen (9%) kommen sie nur am Rande zu Wort. Bei wichtigen Themen wie Arbeitsmarkt und Bildung sprechen sogar gar keine migrantisch wahrgenommenen Expert*innen.
- Auch unter Politiker*innen sind sie kaum vertreten: Sie machten lediglich 4 Prozent der Parteivertreter*innen aus, die sich in den Nachrichten äußerten. Zum Vergleich: Im neuen Bundestag stammen über 11 Prozent der Parlamentarier*innen aus Einwandererfamilien, also fast drei Mal so viele (obwohl sie auch dort unterrepräsentiert sind).
Verglichen mit dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Bevölkerung (27%) sind Eingewanderte und ihre Nachkommen also deutlich unterrepräsentiert. Auch dann, wenn man berücksichtigt, dass unter den statistisch erfassten 22 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund Personen sind, die nicht migrantisch wahrgenommen werden.
Weitere Ergebnisse:
- Frauen bleiben unterrepräsentiert, nicht-binärgeschlechtliche Menschen unsichtbar. Auf eine Frau kommen in den Nachrichten durchschnittlich zwei Männer (Frauenanteil: knapp 35 Prozent). Unter den Expert*innen, die sich in Nachrichten äußern, sinkt der Frauenanteil sogar auf 21 Prozent.
- Menschen mit Behinderung sind kaum wahrnehmbar. Nur bei 0,7 Prozent aller auftretenden Menschen (30 Personen unter 4.175 Auftritten) war eine Behinderung erkennbar.
- Kaum erkennbar religiöse Menschen. Weniger als 0,5 Prozent aller Personen in Deutschland waren erkennbar religiös.
Hier geht´s zur gesamten Studie.
Kommentare zu den Ergebnissen:
Chiponda Chimbelu, Experte für Diversity im Journalismus:
„Sogenannte ‚Equality Data‘ können sehr hilfreich sein, um Diversitäts-Lücken zu benennen und Tendenzen der Voreingenommenheit aufzeigen. Im Journalismus gibt es solche Daten bislang zu wenig. Hinter mangelnder Diversität muss keine böse Absicht stecken. Aber Medien sollten bereit sein, ihre Arbeitsabläufe und Routinen zu hinterfragen.“
NdM-Vorsitzende Ferda Ataman:
„Laut Rundfunkstaatsvertrag haben Sender einen Bildungs- und Informationsauftrag und sind verpflichtet, diverse Perspektiven abzubilden. Außerdem müssen sich die Öffentlich-Rechtlichen und Privaten fragen: Wer ist mein Publikum? Zum Beispiel stammen 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen heute aus Einwandererfamilien. Wollen Medien Schritt halten mit der Gesellschaft, dürfen sie nicht länger arbeiten wie in den 80er Jahren.“
Judyta Smykowski vom Projekt Leidmedien.de:
“Menschen mit einer sichtbaren Behinderung kommen im Untersuchungszeitraum nur vor, weil die Paralympics stattgefunden haben. Das ist inakzeptabel. Redaktionen müssen verinnerlichen, dass behinderte Menschen Bürger*innen dieses Landes sind und dass man sie auch bei allen Themen befragen sollte. Außerdem wurde vor der Bundestagswahl wieder die Chance verpasst, die Inklusionspolitik kritisch in den Blick zu nehmen.”
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