Finanzen / Bilanzen

Das Dilemma mit den Zinsen und der Inflation

Mit steigenden Zinsen gäbe es für die Sparer:innen einen Ausgleich für die Inflation. Zugleich stellen steigende Zinsen ein Instrument der Zentralbanken dar, um die Inflation einzudämmen. Warum aber geschieht nichts an der Zinsfront?

Einmal abgesehen von COVID-19, was bewegt viele Menschen am meisten, wenn Sie an ihre Zukunft denken? Sicherlich sind die Gedanken und Wünsche individuell sehr unterschiedlich. Allerdings, es gibt da so einen Schleier, der wesentlich Einfluss auf alle persönlichen Ziele hat und die Perspektiven und Möglichkeiten bestimmt. Dieser Schleier wird durch die Entwicklung der Finanzwelt bestimmt. Und da ist es verständlich, dass die Erwartung besteht, dass endlich die Zinsen für risikolose Bankeinlagen steigen. Zugleich bewegt viele „ganz normale“ Menschen die Furcht vor einer zunehmenden Inflation.

„Ganz normale Menschen“: An dieser Stelle bezieht sich der Begriff darauf, dass es sich nicht um Menschen handelt, die sich tagein und tagaus mit der „großen“ Finanzwelt beschäftigen. Es sind also mit diesem Begriff nicht die Ökonomen, Fondsmanager und maßgebenden Personen in den Zentralbanken (also der Bundesbank für Deutschland und der EZB für Europa) gemeint, die sich seit geraumer Zeit immer wieder zu den Themen Inflation und Zinsen äußern. Und dabei auch – zumindest indirekt – das Thema „risikolose“ Bankeinlagen im Blick haben. Hier sprechen sie dann aber allgemein von der Stabilität des Finanzsystems und nicht direkt von der Stabilität der Banken. (Man will ja Unruhe vermeiden.)

Maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Zinsen und die mögliche weitere Entwicklung der Inflation haben die Zentralbanken. Mit Recht können die Bürger von den dort tätigen Entscheidungsträgern kluge und durchdachte, also rationale Entscheidungen erwarten. Diese Bänker wären dann in ihrem Entscheidungsbereich, das was unter einem Homo sapiens zu verstehen ist, also kluge, wissende und vernunftbegabte Menschen. Ein Idealbild! Tatsächlich müsste aber nahezu jeder Mensch sich als Homo sapiens et ambivalens, also der wissende und widersprüchliche Mensch bezeichnen. (1)

Wenn wir nun diese Definition auf die EZB und Bundesbank übertragen, zeigt sich, dass auch dort ganz normale Menschen, also Homo sapiens et ambivalens an den Entscheidungshebeln sitzen.

Wobei die letzten von der EZB und Bundesbank zu vernehmenden Äußerungen eher darauf hindeuten, dass die Betonung auf Homo ambivalens liegen sollte. Denn Widersprüchlichkeit ist ein wesentliches Merkmal der Aussagen, die in letzter Zeit getroffen worden sind. Diese Diskrepanz deutet allerdings nicht auf mangelnde Klugheit und Wissen hin, sondern offenbart ein Dilemma, was kaum zu lösen ist – und leider negative Folgen für die wirtschaftliche Zukunft haben kann. Das Problem liegt wieder einmal auch bei den Banken, wobei die künftige Zinsentwicklung von Bedeutung ist. Steigende Zinsen könnten insbesondere die Banken gefährden, die im Bereich der Immobilienfinanzierung aktiv sind. Und das sind viele Banken!

Die widersprüchlichen Aussagen zu Zinsen und Inflation

Hier drei Aussagen, wonach die Zentralbanken keinen Anlass sehen, die Zinsen zu erhöhen. Dauerhafte Inflationsgefahren werden nicht gesehen. Also seien Zinserhöhungen als ein typisches Instrument der Zentralbanken zur Eindämmung der Inflation nicht notwendig.

„Die Europäische Zentralbank muss die Kreditkosten im Zaum halten, da sich die Coronavirus-Pandemie hinzieht und es keine Anzeichen dafür gibt, dass die Inflation außer Kontrolle gerät, sagte EZB-Vorstandsmitglied Fabio Panetta am Mittwoch…“ (2)

Die EZB kann laut Ratsmitglied Klaas Knot bei ihren Konjunkturhilfen künftig einen Gang zurückschalten. Der Inflationsausblick sei deutlich günstiger als noch vor der Pandemie, sagte der Niederländer am Dienstag dem Sender Bloomberg TV. Dies gelte mit Blick darauf, dass die Teuerungsrate voraussichtlich näher am Zielwert der EZB von zwei Prozent sein werde als vor der Corona-Krise.“ (3)

„EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist erneut der Erwartung entgegengetreten, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bereits im nächsten Jahr Zinsen anheben wird. … Trotz des aktuellen Inflationsanstiegs seien die mittelfristigen Inflationsaussichten nach wie vor gedämpft…“ (4)

m Widerspruch dazu stehen zwei Aussagen,wonach die Inflation über längere Zeit höher ausfallen würde. In dem Fall müsste die EZB die Zinsen erhöhen, um ihr Inflationsziel von 2% zu halten.

„Die Bundesbank hebt darüber hinaus hervor, dass sie für das nächste Jahr zwar erwartet, dass die Inflationsraten sinken (Anmerkung: von 6% im November 2021). Sie könnte aber weiter längere Zeit bei deutlich mehr als 3 Prozent liegen.“ (5)

„… Isabel Schnabel (Vorstandsmitglied der EZB) die Anfang dieser Woche sagte, dass die Inflation auch aufgrund von Strukturverschiebungen wie dem grünen Übergang höher als erwartet ausfallen könnte“ (2)

Widersprüche lassen sich vielfältig erklären, zum Beispiel mit der Gefährdung der Finanzstabilität

Zunächst könnte der Umstand zur Erklärung dienen, dass es einfach unmöglich ist, in die Zukunft zu schauen. Diesem Argument steht entgegen, dass mit Sicherheit viel volkswirtschaftliches Know-how und reichlich Daten bei den Zentralbanken vorhanden sind. Wahrscheinlicher scheint, dass zumindest indirekt der Aspekt des Homo ambivalens dahintersteht. Denn den Zentralbanken ist sehr wohl bewusst, dass Zinserhöhungen gravierende negative Folgen für die Stabilität der Banken und des gesamten Finanzsystems hätten.

Zinsen nicht erhöhen, Inflation laufen lassen, um die Finanzstabiität zu bewahren?

Zinserhöhungen könnten Banken stark gefährden. Banken haben in den letzten Jahren extrem günstige Kredite vergeben. Sehr vereinfacht gesagt, haben sich die Banken dieses Geld für die Kreditvergabe von den Sparern geholt. Dafür werden keine Zinsen gezahlt (oder es werden sogar Verwahrentgelte genommen), so dass die Banken an der Differenz zwischen Guthabenzinsen (Null) und Kreditzinsen verdienen konnten. Wenn nun aber die Zinsen steigen würden, müssten die Banken den Sparern wieder Zinsen zahlen und diese Zinssätze würden mit hoher Wahrscheinlichkeit höher ausfallen als die vereinnahmten Kreditzinsen. Die Banken würden also Verluste machen:

„Rund die Hälfte der Bankkredite für Wohnimmobilien habe eine Zinsbindungsfrist von mehr als zehn Jahren. Ein hoher Anteil von langlaufenden Krediten und Kapitalanlagen macht das deutsche Finanzsystem verwundbar gegenüber Zinsänderungsrisiken“, erläuterte die Bundesbank.“ (6)

„Zinsänderungsrisiken sind eine zweite Verwundbarkeit (Anmerkung: für Banken und das Finanzsystem). Wir erwarten, dass die aktuell hohen Inflationsraten in den kommenden Jahren wieder nachlassen. Das Risiko einer mittelfristig erhöhten Inflation hat allerdings zugenommen. Bei einem Anstieg der Inflation, der deutlich stärker oder länger ausfällt als erwartet, könnten die Zinsen an den Finanzmärkten spürbar steigen“ So die Bundesbank in Ihrem Eingangsstatement anlässlich der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2021. (7)

Das Dilemma ist also klar: Die Inflation kann steigen und sich verfestigen. Ein bewährtes Mittel der Zentralbanken – Anhebung der Zinssätze – könnte die Inflation eindämmen und zurückführen. Dann muss aber in Kauf genommen werden, dass das Finanzsystem ernsthaft gefährdet wird.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass den Zentralbänker:innen kaum etwas anderes übrigbleibt, als die Rolle eines Homo sapiens et ambivalens einzunehmen.

Und nun die gute Nachricht:

Private Anleger:innen können dem Dilemma entkommen. Extrem günstige Zinsen erlauben es, Immobilienbesitz als renditestarke Geldanlage und als Schutz sowohl vor einer Inflation als auch einer Gefährdung des Finanzsystems zu erwerben.

Das ist allerdings nur für nicht allzu zögerliche Anleger:innen eine Option. Denn die potentielle Gefährdung der Banken, könnte den Gesetzgeber veranlassen, die Bedingungen für eine mögliche Einschränkung der Vergabe von Krediten zur Immobilienfinanzierung drastisch einzuschränken. Auf das entsprechende Gesetz haben wir bereits in der Vergangenheit hingewiesen: Hier können Sie den Beitrag nachlesen: Schubladengesetz kann Immobilienerwerb dann erschweren, wenn die Kapitalschutzfunktion der Immobilie notwendig wird. Es wird immer denkbarer, dass es in Zukunft zur Anwendung kommen kann.

Erstveröffentlichung:

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Quellen/Links:

(1) BR, Der Bayrische Rundfunk, Das innere Hin und Her, 31.01.2018

2) REUTERS , ECB’s Panetta calls for continued bond buys amid lasting pandemic, 24.11.21 (Übersetzung) 

3) finanzen.net, EZB-Ratsmitglied – Sollten uns geldpolitisch nicht zu lange festlegen, 23.11.2021 

(4) FinanzNachrichten.de, Lagarde: Bedingungen für Zinserhöhung dürften 2022 kaum vorliegen, 3.11.2021

(5) FAZ  Deutsche Bundesbank : Inflation könnte im November fast auf sechs Prozent steigen, 22.11.21

(6) BÖRSE ONLINE, Bundesbank blickt mit Sorge auf Preissteigerungen am Immobilienmarkt, 25.11.2021 

(7) Eingangsstatement der Bundesbank 

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