Europäische Energieversorger versagen bei ihren Netto-Null-Verpflichtungen
Der Bericht „Limited Utility: The European energy companies failing on net zero commitments“ [1] zeigt: Mit Blick auf das Netto-Null-Szenario der Internationalen Energieagentur (IEA) enthält keiner der untersuchten Geschäftspläne von Energieversorgern alle notwendigen Meilensteine für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und den beschleunigten Einsatz erneuerbarer Energien. Damit sind die Unternehmen nicht im Einklang mit dem 2050-Ziel, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Von 21 in Europa ansässigen kohleverstromenden Energieversorgern haben 16 Netto-Null-Emissionsziele für 2050 angekündigt. Jedoch nur weniger als die Hälfte der Unternehmen plant den von der IEA geforderten Kohleausstieg für EU-/OECD-Länder bis 2030 zu realisieren. Eine konkrete Strategie zum Ausstieg aus der Stromerzeugung mit fossilem Gas bis 2035 sucht man bei allen untersuchten Stromversorgern vergeblich.[2] Zwar werden die Pläne der untersuchten Unternehmen das Angebot an Solar- und Windenergie bis 2030 konsolidiert betrachtet vervierfachen, aber auch dies bleibt hinter dem von der IEA geforderten sechsfachen weltweiten Mindestwachstum zurück.[3]
„Kein einziger der in diesem Bericht untersuchten europäischen Kohlestromproduzenten plant, alle wissenschaftlich fundierten Meilensteine zur Begrenzung des Klimawandels auf 1,5 Grad zu erreichen. Wenn Europa seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten will – sprich bis 2030 Kohleausstieg und bis 2035 ein fossilfreies, auf erneuerbaren Energien basierendes Stromsystem –, müssen diese Unternehmen konkrete Pläne zur Schließung von Kohle- und fossilen Gaskraftwerken vorlegen sowie den Ausbau der Wind- und Solarenergie massiv vorantreiben. Das ganze Gerede über 2050 ist nur Makulatur, solange die eigenen Geschäftspläne nicht vorsehen, diese zu erreichen", sagt Kathrin Gutmann, Leiterin der Kampagne Europe Beyond Coal.
„Die Regierungen der fortgeschrittenen Volkswirtschaften sind sich zunehmend einig, dass eine saubere Stromversorgung bis 2035 entscheidend für die Verwirklichung von Netto-Null-Emissionen bis 2050 ist. Aber das spiegelt sich nicht in den Geschäftsplänen der europäischen Versorgungsunternehmen wider. Diese müssen dringend mit der Netto-Null-Roadmap der Internationalen Energieagentur in Einklang gebracht werden, wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen und einen nachhaltigen Ausweg aus der durch fossile Brennstoffe verursachten Energiepreis- und Versorgungskrise finden wollen", so Sarah Brown, Hauptautorin und leitende Energie- und Klimaanalystin bei Ember.
„Netto-Null-Versprechen sind schnell gemacht. Entscheidend ist jedoch, ob die dazu notwendigen Zwischenziele formuliert und dann auch dementsprechend umgesetzt werden. Die Unternehmen wissen sehr genau, welchen Beitrag sie leisten müssen, damit das 1,5-Grad-Ziel nicht völlig unerreichbar wird. Die klaffende Lücke zwischen ihren ‚Ambitionen‘ und dem, was sie tatsächlich zu leisten beabsichtigen, ist besorgniserregend. Finanzinstitute, die es ernst meinen mit dem Klimaschutz, sollten nicht Netto-Null-Versprechen in der fernen Zukunft zum Maßstab ihrer Investitions- bzw. Finanzierungsentscheidung machen. Stattdessen sollten sie auf 1,5-Grad-kompatiblen Zwischenzielen bestehen, deren Einhaltung in kurzen Zeitabständen verifizierbar ist. Finanzinstitute sollten nur mit Energieversorgern Geschäfte machen, die sich zu solchen Zwischenzielen verpflichten", so Hauptautorin Kaarina Kolle, Clean Energy Demand Programme Manager, European Climate Foundation.
Sonja Meister, Energie-Campaignerin bei urgewald: „Die nächsten Jahre bis 2030 werden entscheiden, ob wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten können. Die langfristigen Versprechen vieler Energieversorger wie Fortum/Uniper und RWE sind inhaltsleer und im Widerspruch zum 1,5-Grad-Ziel. Die Unternehmen wollen den Kohleausstieg bis 2038 hinauszögern, haben keine Pläne für einen Ausstieg aus der Nutzung von fossilem Gas und erreichen den erforderlichen Anteil an Wind- und Solarenergie leider auch nur in den eigenen Werbeanzeigen. Es ist leicht, Netto-Null für die Mitte des Jahrhunderts zu versprechen. Wichtig dagegen wäre es, das kurzfristige Handeln jetzt an den langfristigen Zielen auszurichten.“
Die zentralen Erkenntnisse des Berichtes im Überblick:
- Nur neun (43%) der untersuchten 21 Kohle-Versorger haben ihre Kohleausstiegstermine an die Benchmarks für EU/OECD (2030) und der übrigen Welt (2040) angeglichen.
- 16 der untersuchten 21 Versorger (76 %) haben sich verpflichtet, bis spätestens 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Allerdings haben fünf dieser Versorger ihre Kohleausstiegszeitpunkte nicht an die Benchmarks 2030 (EU/OECD) und 2040 (Rest der Welt) angepasst.
- Es besteht erheblicher Mangel an Transparenz und Klarheit in Bezug auf künftige fossile Gaserzeugungskapazitäten. Nach den derzeit verfügbaren Informationen werden alle 21 der bewerteten Versorger in der EU/OECD nach 2035 fossile Gaskraftwerke beitreiben.
- Die konsolidierte Gesamtkapazität der 21 untersuchten Unternehmen für den Bereich Wind- und Solarenergie wird sich bis zum Jahr 2030 mehr als vervierfachen, von 88 GW in 2020 auf 428 GW bis 2030. Auch wenn dies zunächst positiv erscheint, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Versorgern und es bräuchte mindestens eine Versechsfachung.
- Die Energieversorger, die aktuell am meisten aktiv in Wind und Solar investieren, werden zudem stark in fossile Energien involviert bleiben – jenseits der Zeitpunkte, die für Netto-Null 2050 notwendig wären.
Kurzanalyse zu RWE:
RWE ist noch immer Europas größter CO2-Emittent (Scope 1 Emissionen 2020, siehe Bericht Graphik 3). Zwar investiert das Unternehmen verstärkt in Erneuerbare Energien, verfehlt aber die notwendigen Zuwachsraten bis 2030 nach wie vor. Insbesondere vor dem Hintergrund der gewaltigen historischen CO2-Emissionen des Unternehmens reichen die Ambitionen im Bereich Erneuerbarer Energien daher nicht aus. Die Investitionen in Erneuerbare Energien können auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Unternehmen weiter an einem Kohleausstieg 2038 festhalten will und keinerlei Ausstiegsdatum für fossiles Gas definiert hat.
Kurzanalyse zu Uniper/Fortum:
Der Kohleausstieg in Deutschland kommt erst 2038 und für die russischen Kohlekraftwerke wird überhaupt kein Ausstiegsdatum festgelegt. Bei letzteren droht vermutlich der Verkauf (statt einer Schließung), um sich des Problems zu entledigen. Bei fossilem Gas ist ebenfalls keine realistische Kehrtwende in Sicht. Zwar redet Fortum/Uniper viel von grünem Wasserstoff, es erscheint aber viel naheliegender, dass fossiles Gas auch über 2035 hinaus als starkes Standbein des Unternehmens gedacht ist. Im Bereich Erneuerbare Energien hinkt Fortum/Uniper hoffnungslos hinterher. Kaum nachvollziehbar ist, warum Finnland als einer der Klimavorreiter in Europa (Kohleausstieg bis 2029) noch immer eine solch unterirdische Klimabilanz bei Fortum akzeptiert, obwohl das Unternehmen zu 50,76 % in Staatsbesitz ist.
Kurzanalyse zu EnBW:
Auch Deutschlands drittgrößter Energieversorger ist noch nicht auf einem akzeptablen Pfad. Negativ zu Buche schlägt vor allem der zu späte Kohleausstieg (2035) und der fehlende Gas-Ausstiegspfad. Wie viele andere Energieversorger verweist EnBW auf den zunehmenden Einsatz „klimaneutraler Gase“. Dies ist eine luftige Ankündigung, die wenig konkret ist und den 1,5-Grad-Zielpfad keinesfalls sicherstellt. Auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien erreicht die EnBW noch nicht die erforderlichen Ausbauziele.
Anmerkungen:
[1] „Limited Utility: The European energy companies failing on net zero commitments”, veröffentlicht von Europe Beyond Coal und seinen Partnern Ember, WWF, Greenpeace, Anthropocene Fixed Income Institute (AFII), Reclaim Finance, Urgewald, Friends of the Earth Finland, Amis de la Terre, FUNDACJA „ROZWÓJ TAK – ODKRYWKI NIE", Re:Common und ShareAction: https://urgewald.org/en/shop/limited-utility
[2] Laut der Roadmap der Internationalen Energieagentur (IEA) müssen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften bis 2030 und im Rest der Welt bis 2040 alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften müssen bis 2035 und der Rest der Welt bis 2040 insgesamt eine Netto-Null-Emissionsstromerzeugung erreichen. Im Jahr 2030 sollten 60 % der gesamten weltweiten Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien stammen, was mindestens eine Versechsfachung der Solar- und Windenergie zwischen 2020 und 2030 erfordert.
[3] IEA-Bericht: Net Zero by 2050, A Roadmap for the Global Energy Sector: https://www.iea.org/reports/net-zero-by-2050
Über Europe Beyond Coal
Europe Beyond Coal ist eine Allianz zivilgesellschaftlicher Gruppen, die sich für einen gerechten Übergang zu einem fossilfreien, vollständig auf Erneuerbaren Energien basierenden europäischen Energiesektor einsetzt. Das bedeutet den vollständigen Ausstieg im Stromsektor aus der Kohle bis spätestens 2030 und aus fossilem Gas bis 2035. Wir widmen unsere Zeit und Ressourcen dieser unabhängigen Kampagne, weil wir uns für ein europäisches Energiesystem einsetzen, das Menschen, Natur und unser globales Klima schützt. http://www.beyond-coal.eu
Die deutsche Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald hat es sich zum Ziel gesetzt, gegenüber der Finanzindustrie hohe Umwelt- und Sozialstandards einzufordern. Sie wurde 1992 gegründet, um die Aktivitäten europäischer Banken und Unternehmen im Ausland zu beobachten und hierdurch negativ betroffene Gemeinschaften zu beraten und ihnen Gehör zu verschaffen. Der besondere Ansatz von urgewald ist die Kombination von tiefgehenden Recherchen, Medienarbeit und öffentliche Kampagnen. urgewald hat 30 Jahre Erfahrung in der Arbeit zum Finanz- und Energiesektor. In 2015 spielte die Organisation eine Schlüsselrolle in den zwei, bis heute weltweit größten Divestments mit Blick auf Kohle: des Norwegischen Pensionsfonds und der Allianz. www.urgewald.org
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