Die Mauer der Angst
Der übliche Mechanismus
„An den Aktienmärkten gehört es zum alltäglichen Geschäft, dass diverse Risikofaktoren die Marktstimmung kurzzeitig erheblich beeinträchtigen können", so Grüner. Am Ende würden die Märkte allerdings ihre üblichen Mechanismen zur Preisbildung befolgen. Sie würden Gerüchte, Meinungen, Schlagzeilen und Analysen abwäge und diese in die Kurse einfließen lassen. Daher hätten weithin bekannte Faktoren nur selten einen dauerhaften Einfluss auf Aktien.
„Die zuvor genannten Risikofaktoren haben eines gemeinsam,“ meint Grüner. „Sie wurden bereits weitreichend diskutiert, wodurch sich das negative Überraschungspotenzial in Grenzen hält". Ein altes Börsensprichwort besage, dass Bullenmärkte eine „Mauer der Angst“ erklimmen. Sorgen würden die Erwartungen dämpfen, so dass der Zustand einer Erleichterung oder einer positiven Überraschung leichter zu erreichen sei – dies sorge für Rückenwind an den Aktienmärkten.
Risiken im Blick behalten
Selbstverständlich seien die meisten Befürchtungen der Anleger nachvollziehbar, da sie sich mit realen, negativen Einflussfaktoren beschäftigen würde. Eine Inflationsrate von sieben Prozent im Jahresvergleich sei schließlich nichts Positives. Ebenso würde eine chinesische Invasion in Taiwan, eine russische Invasion in der Ukraine oder der Erwerb von Atomwaffen durch den Iran negativ auf die Märkte wirken. Die Hartnäckigkeit von COVID und die uneinheitlichen politischen Reaktionen darauf würden für Gegenwind sorgen. „Zudem sind viele dieser Themen zunehmend politisiert worden", erläutert Grüner. Dadurch wurde die Spannung zusätzlich verschärft. Sowohl für die Befürworter als auch für die Gegner der politischen Maßnahmen ist es schwierig, eine objektive Risikobewertung vorzunehmen".
Für Aktienmärkte bestehe die relevante Frage jedoch nicht darin, ob etwas „gut“ oder „schlecht“ sei. „Der wichtige Punkt ist: Inwieweit haben die Märkte diese Faktoren bereits eingepreist", meint Grüner. Die zuvor genannten Risikoherde würden bereits seit längerer Zeit die weltweiten Schlagzeilen beherrschen. Da so viele Marktteilnehmer darauf fixiert sind, würden die Aktienkurse also bereits unzählige Meinung darüber widerspiegeln, vor allem auch die negativen und extremen Meinungen.“ Um die Aktienmärkte zu erschüttern, müsste die Realität weitaus schlimmer ausfallen als die bereits in Erwägung gezogenen Szenarien“, sagt Grüner. „Bei derart breit diskutierten Problemstellungen sind die Chancen für einen solchen negativen Überraschungseffekt relativ gering".
Fazit
Grüner behauptet nicht, dass sich die negativen Einflussfaktoren von heute komplett in Wohlgefallen auflösen werden. Er wolle auch nicht andeuten, dass den Aktienmärkten eine glorreiche Spätphase bevorsteht, die sich heute noch keiner vorstellen kann. Aber das sei auch gar nicht nötig, um von steigenden Aktienmärkten für das Börsenjahr 2022 auszugehen. „Dazu genügt es, dass die Realität weniger schlimm ausfällt, als es von den Märkten erwartet wird. Zudem bleibt das Grundrezept für einen intakten Bullenmarkt weiterhin bestehen: wachsende Wirtschaft, politischer Stillstand und ein sicherer Abstand zur gefährlichen Euphorie", resümiert Grüner.
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