„Irrtum Zinswende!“ – der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar
Markt-Monitoring und Ausblick
Kurzfristiger Zins: Der 3-Monats-Euribor verharrt zwischen – 0,576% und – 0,530% und steht aktuell bei – 0,527%. Bis Mitte 2022 erwarten wir einen Seitwärtsverlauf zwischen – 0,50% und – 0,60%. Dieser orientiert sich an der Einlagenfazilität der EZB. Hier könnte im zweiten Halbjahr von aktuell – 0,50% ein Schritt Richtung -0,25% erfolgen.
Langfristiger Zins: Der 10jährige SWAP-Satz/6M steht derzeit bei 0,799%. Die nächsten 6 Monate erwarten wir einen leichten Zinsanstieg bis ca. 1,00%. In der zweiten Jahreshälfte wird sich der Langfristzins weiter Richtung 0,50% oder darunter bewegen.
Irrtum Zinswende!
In der aktuellen Diskussion um die Zinswende findet man keine einheitliche Definition, bzw. der Gebrauch des Begriffs „Zinswende“ wird unterschiedlich genutzt und verstanden: einmal im Zusammenhang mit der Straffung der ultralockeren EZB Geldpolitik, ein anderes Mal im Kontext einer möglichen Zinsanhebung seitens der EZB oder ganz grundsätzlich für ein Ende der Negativzinsphase. Aber kann man im aktuellen Zusammenhang überhaupt von einer „echten“ Zinswende, also einer Zinstrendwende wie wir diese formulieren, sprechen?
Als erstes muss unterschieden werden zwischen den Zielen und Statuten der jeweiligen Notenbanken: Die FED priorisiert zuerst einen stabilen Arbeitsmarkt und danach das Thema Geldwertstabilität (Inflation). Die EZB hingegen hat als oberste Aufgabe die Erhaltung der Preisstabilität (Inflation) und als zweites die Sicherstellung einer gleichmäßigen Konjunkturentwicklung. Beide Notenbanken sehen in einer starken Überhitzung der Wirtschaft eine Inflationsgefahr. Bei steigenden Lohnabschlüssen könnte sich eine Lohn- Preisspirale entwickeln. In den vergangenen Inflationsphasen haben die Notenbanken in diesen Situationen die Zinsen anheben müssen, um eine heiß laufende Wirtschaft wieder zu bremsen.
Die aktuelle Situation unterscheidet sich von den letzten großen Zinszyklen seit den 1970er Jahren dadurch, dass die Wirtschaft durch Anreize der Staaten und der Notenbanken massiv, eher zu viel, gestützt wurde. Im Jahr 2020 hatten wir eine deflationäre Phase, hergeführt durch einen Lockdown bedingte Rezession. Genau diese Stützungsmaßnahmen und Engpässe in den Lieferketten führen zu Preissteigerungen.
Können wir in den USA wirklich von einer Zinstrendwende sprechen?
Gehen wir, wie derzeit von Analysten erwartet, von sechs Zinserhöhungen in 2022 aus, so steigt der Leitzins bei Schritten um 0,25% Prozentpunkte auf eine Bandbreite von 1,50% bis 1,75%. Wir sehen hier eine klassische Anpassung von einer ultralockeren Geldpolitik auf eine lockere Geldpolitik. Hier nehmen wir keinen Bremseffekt wahr, der eine heiß laufende Wirtschaft abwürgen sollte. Im Gegenteil stellt sich die Frage, ob sich die amerikanische Wirtschaft ohne weitere Stützungsmaßnahmen halten wird.
Wie sieht es mit einer Zinstrendwende in Euroland aus?
Das Geldmengenwachstum ist seit Februar 2021 im freien Fall bei nur mehr 6,9% auf Basis von M3. Dies deutet derzeit klar daraufhin, dass sich die Wirtschaft in der Eurozone abkühlen wird. Die Lohnabschlüsse sind ebenfalls überwiegend moderat ausgefallen. Damit lässt sich für uns schon jetzt mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ein Rückgang der Inflationsrate bis Ende 2022 auf 2,0% bis 3,0% ablesen.
Für die nächsten Monate erwarten wir einen „Zinsbuckel“, der ähnlich ausfallen wird, wie im Jahr 2011 und sich nach Normalisierung der beschriebenen Engpässe wieder zurückbilden wird. Auch die gestiegenen Energiepreise werden, sobald sich die Wirtschaft abkühlt, zurückbilden.
Es bleibt abzuwarten, ob die EZB standhaft bleibt, oder ob diese eine moderate Zinserhöhung vornimmt. Eine Erhöhung der Einlagenfazilität von derzeit minus 0,50% auf 0,00% wäre aber eine sinnvolle Maßnahme und ein leichtes Kompromisssignal für die Marktteilnehmer.
Eine Zinstrendwende mit nachhaltigen und starken Zinserhöhungen, um eine heiß gelaufene Wirtschaft zu bremsen, sieht anders aus.
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