Gesundheit & Medizin

Patientensicherheit nach Operationen in Krankenhäusern: Innovativer Parameter ergänzt Mindestmengen

Forschende der Universitätsklinika Heidelberg und Würzburg schlagen eine neue Kenngröße zur Qualitätsbewertung von Krebsoperationen in Deutschland vor / Dieser Parameter, die sogenannte „Risiko-standardisierte Krankenhaussterblichkeit" errechnet sich aus Routinedaten des Gesundheitssystems / Die Studie wurde im Journal of Clinical Oncology veröffentlicht / Gemeinsame Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg und des Universitätsklinikums Würzburg

Um ein Höchstmaß an Sicherheit und medinischer Versorgungsqualität zu garantieren, sollen in Deutschland komplexe operative Eingriffe nur in Kliniken durchgeführt werden, die jährlich eine Mindestanzahl dieser erreichen. Hierzu legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) seit 2004 regelmäßig eine Mindestmengenvorgabe vor. Die Anzahl der jährlich in einem Krankenhaus durchgeführten Operationen wird damit als Qualitätsmesser der Behandlung genutzt. Dies bedeutet aber auch, dass Unterschiede in der Behandlungsqualität zwischen Krankenhäusern mit ähnlicher Fallzahl nicht abgebildet werden und keine Adjustierung an relevante Risikofaktoren der behandelten Patienten erfolgt.

Um die chirurgische Qualität genauer zu messen, haben die Medizinerinnen und Mediziner der Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und des Viszeralonkologischen Zentrums am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) einen Marker für die Behandlungsqualität vorgestellt, der relevante individuelle Patientenrisikofaktoren sowie die Qualität des einzelnen Krankenhauses berücksichtigt: die Risiko-standardisierte Krankenhaussterblichkeit (Risk Standardized Mortality Rate, RSMR).

Daten von knapp einer halben Million Patienten einbezogen

Die RSMR basiert darauf, wie viele Patientinnen oder Patienten in Folge bestimmter Operationen in einem Krankenhaus versterben, und bezieht dafür das Risikoprofil der Behandelten (wie zum Beispiel wichtige Begleiterkrankungen) in die Berechnung ein. Für ihre Analysen nutzten die Mediziner bundesweite Krankenhausabrechnungsdaten, die über das Fallpauschalensystem erhoben wurden. In diesem System werden sogenannte diagnosebezogene Fallgruppen (diagnosis related groups, DRG) eingeordnet und abgerechnet. Gespeichert sind hier Daten zur Erkrankung, Haupt- und Nebendiagnosen, operative Maßnahmen und Entlassungsdaten. Insgesamt werteten die Forschenden Daten von knapp einer halben Million Patientinnen und Patienten aus ganz Deutschland aus, die zwischen Januar 2010 und Dezember 2018 im Rahmen einer Krebserkrankung operiert wurden. Anschließend verglichen sie die Ergebnisse mit dem Volumen-basierten Bewertungsmodell.

„Die international besetzte Arbeitsgruppe zeigte, dass deutschlandweit nahezu kein Krankenhaus mit sehr niedriger Fallzahl ein sehr gutes Behandlungsergebnis erzielt, jedoch auch mindestens die Hälfte aller Kliniken mit sehr hohen Patientenfallzahlen nicht zwingend die bestmögliche Behandlungsqualität erreichen", berichtet Professor Dr. Hauke Winter, Chefarzt der Thoraxklinik Heidelberg am Universitätsklinikum Heidelberg und Leiter der Abteilung für Thoraxchirurgie.  Dies bedeutet, dass mit hohen Fallzahlen nicht automatisch eine niedrige Patientensterblichkeit erzielt wird. Andersherum konnten auch einige Krankenhäuser mit mittleren Fallzahlen gute Operationsergebnisse erzielen. „Dies liegt daran, dass die Operationsqualität vielschichtig ist und nicht nur von der Patientenmenge abhängig ist. Letztere beeinflusst zwar die Erfahrungen und Routine des Personals, für den Erfolg der Operation spielen aber auch Faktoren wie die Aus- und Weiterbildung, die tatsächliche Verfügbarkeit eines multidisziplinären Teams und ein gutes Komplikationsmanagement eine wesentliche Rolle", sagt Professor Dr. Armin Wiegering, stellvertretender Direktor und leitender Oberarzt der Chirurgischen Klinik I des UKW.

„Die Festlegung der Mindestmengen und deren Bedeutung als alleiniger Qualitätsparameter für komplexe Eingriffe wurde immer wieder diskutiert und hat sich international nur teilweise durchgesetzt. Der von uns untersuchte neue Parameter berücksichtigt nun nicht nur reine Fallzahlen, sondern die konkrete Behandlungsqualität des Krankenhauses nach Krebsoperationen", resümiert Dr. Philip Baum Erstautor der Studie und Arzt in der Thoraxchirurgie, Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg.

Das Forschungsteam hat darüber hinaus sämtliche Fahrtzeiten mit dem Auto zum jeweiligen Krankenhaus berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass viele Patientinnen und Patienten nicht automatisch in das nächst gelegene Krankenhaus fahren, sondern häufig ein weiter entferntes wählen. Gemäß dem RSMR-Parameter führen mehr Krankenhäuser eine sicherere Behandlung durch, als nach dem Mindestmengenparameter. Dies bedeutet in der Praxis, dass in einem Zentralisierungsmodell nach RSMR mehr Krankenhäuser in Deutschland mit guten Ergebnissen existieren. Dadurch würde in einem nationalem Zentralisierungsmodell die Fahrtzeit deutlich kürzer ausfallen, wenn die Patientinnen und Patienten das Wunsch-Krankenhaus nach dem RSMR-Parameter im Vergleich zum Mindestmengen-Parameter auswählen.

Die aktuelle Studie ist auf planbare Eingriffe bei Krebspatientinnen und -patienten beschränkt, diese machen etwa fünf Prozent aller Operationen in Deutschland aus. Das Team möchte in weiteren Studien an der Verbesserung der Patientensicherheit und der chirurgischen Qualität arbeiten.

Thoraxklinik – Universitätsklinikum Heidelberg

Die Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eine der größten Lungenfachkliniken Europas an der seit mehr als 100 Jahren Erkrankungen der Lunge und des Brustkorbs versorgt werden. Die fachgerechte Behandlung umfasst alle modernen Diagnostik- und Therapieverfahren wie Lungenfunktion, Bronchoskopie, Bildgebung und OP-Roboter. Die international anerkannten medizinischen Abteilungen behandeln bundesweit mit die meisten gut- und bösartigen Lungenerkrankungen. Die Präzisionsonkologie vertritt im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg den Bereich der Lunge. Über die Jahre wurde die bundesweit größte Lungenbiobank aufgebaut. Die Thoraxstiftung Heidelberg fördert gezielt Projekte in Wissenschaft, Forschung, Krankenversorgung und Prävention.
Weiterhin ist die Klinik Teil des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) und arbeitet eng mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zusammen. Seit 2009 ist die Klinik ein zertifiziertes Lungenkrebszentrum durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) sowie zertifiziertes Weaningzentrum (DGP), zertifiziertes Schlafzentrum (DGSM), zertifiziertes Mukoviszidosezentrum und Mitglied im Europäischen Netzwerk seltener Erkrankungen.

Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Würzburg

Die Chirurgische Klinik I am Universitätsklinikum Würzburg deckt das gesamte Spektrum der Allgemein-, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Kinderchirurgie ab. Die Klinik arbeitet in hohem Maße interdisziplinär und ist integraler Bestandteil des Comprehensive Cancer Center Mainfranken (CCCMF). Das Viszeralonkologische Zentrum mit den Modulen Darmkrebs, Pankreaskrebs, Magenkrebs, Speiseröhrenkrebs und Leberkrebs ist eines von nur sechs von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert Spitzenzentren. Am UKW als Haus der Maximalversorgung werden zahlreiche moderne Therapieverfahren angeboten. Forschungsschwerpunkte der Viszeralchirurgie bilden die Bereiche Onkologie, entzündliche Erkrankungen, metabolische und bariatrische Chirurgie sowie die Transplantationschirurgie.

Literatur

Baum P, Lenzi J, Diers J et al. Risk-Adjusted Mortality Rates as a Quality Proxy Outperform Volume in Surgical Oncology – A New Perspective on Hospital Centralization Using National Population-Based Data J Clin Oncol. 2022 Jan 11 doi: 10.1200/JCO.21.01488

Weitere Informationen im Internet

Thoraxklinik Heidelberg

Universitätsklinikum Würzburg

Über Universitätsklinikum Heidelberg

Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit fast 2.000 Betten werden jährlich circa 84.000 Patienten voll- und teilstationär und mehr als 1.000.000 Patienten ambulant behandelt.

Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebshilfe (DKH) hat das UKHD das erste Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg etabliert. Ziel ist die Versorgung auf höchstem Niveau als onkologisches Spitzenzentrum und der schnelle Transfer vielversprechender Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik. Zudem betreibt das UKHD gemeinsam mit dem DKFZ und der Universität Heidelberg das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), ein deutschlandweit einzigartiges Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit befinden sich an der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) rund 4.000 angehende Ärztinnen und Ärzte in Studium und Promotion. www.klinikum-heidelberg.de

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