„Wenn ich male, bin ich Künstlerin und nicht die Patientin, die etwas Sonderbares hat!“
Es sind Höhen und Tiefen, die sich seit der Diagnose eines seltenen Hirntumors durch das Leben von Linda Nalic ziehen. Aktuell ist sie in einer guten Phase, sagt die 47-Jährige. Doch sie hat gelernt, dass sich das jederzeit schnell ändern kann. Fünfmal wurde sie seit 2013 von Neurochirurg Prof. Walter Stummer am Kopf operiert, sie fährt kein Auto mehr, auch ihren Beruf als Bürokauffrau kann sie nicht mehr ausüben. Nalic hat ein atypisches Plexuspapillom mit spinalen Metastasen, die Inzidenz beträgt 0,3 pro 1.000.000 Einwohner. Sie sei eine „Rarität“, es sei „ungewöhnlich“, was ihr widerfährt, „exotisch“ – Worte, die die Patientin immer wieder hört. „Eigentlich haben Kinder und Jugendliche diesen Tumor. Und eigentlich ist das ein ,guter‘ Tumor, weil man ihn wegoperieren kann. Nur bei mir nicht“, erzählt die Mutter zweier Kinder, die sich mit einem Selbstportrait für die Kunstaktion „Selten allein“ zum diesjährigen Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar beworben hat – und damit eins der 20 ausgewählten Kunstwerke gemalt hat, die ab sofort in ganz Deutschland in Ausstellungen an den Universitätskliniken, in zehn Großbahnhöfen und auf der Website www.seltenallein.de zu sehen sind.
Ins Leben gerufen haben die Kunstaktion die Centren für Seltene Erkrankungen (CSE) der deutschen Unikliniken, darunter auch das CSE am UKM (Universitätsklinikum Münster). „Viele Menschen denken, das betrifft mich nicht“, weiß CSE-Patientenlotse Prof. Frank Rutsch. „Aber wir sprechen über vier Millionen Menschen in Deutschland, also jeden Zwanzigsten, dessen Erkrankung meist genetisch bedingt, jedoch teils so individuell ist, dass es nur wenige Betroffene gibt.“ Oft würden sie eine jahrelange Odyssee im Gesundheitssystem durchlaufen, bis ihre Krankheit von Ärztinnen und Ärzten der Universitätskliniken diagnostiziert werden. „Hier in Münster erhalten Patientinnen und Patienten eine aufwendige Spezialdiagnostik, die interdisziplinäre Patientenversorgung mit intensiver Forschung zur jeweiligen Erkrankung kombiniert“, erklärt Prof. Alex W. Friedrich (Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender UKM) die besondere Rolle der Universitätsmedizin. Jedoch könne dieses breite Feld nicht ausschließlich von den Unikliniken erforscht werden. „Wir müssen das gemeinsam mit staatlicher Unterstützung auch für große und kleinere Unternehmen machen, für die eine Forschung zu Medikamenten und innovativen Therapien seltener Erkrankungen jedoch meist wenig lukrativ ist, da sie zeitaufwendig und kostenintensiv ist und diese natürlich nicht so häufig verkauft werden wie eine Kopfschmerztablette“, benennt Friedrich einen zentralen Punkt, wieso seltene Erkrankungen oftmals als Waisen der Medizin bezeichnet werden.
Aus diesem stiefmütterlichen Verhalten in Gesellschaft und Industrie entsteht für Betroffene ein Gefühl, das auch Linda Nalic kennt. In der Malerei, zu der sie durch die begleitende Kunsttherapie am UKM-Hirntumorzentrum bei Psychoonkologin Prof. Dorothee Wiewrodt gekommen ist, hat sie ein Ventil gefunden. Das ausgestellte Kunstwerk zeigt sie kurz nach einer Operation im Jahr 2019. „Das Bild ist in einem Moment der Angst entstanden, deshalb ist es so schwarz und voller roter Farbe als Blut, es schnürte mir in diesem Moment den Hals zu“, erinnert sich Nalic. Danach sei es ihr bessergegangen. Und längst seien auch nicht alle Bilder von ihr düster, die meisten sogar eher bunt. „Ich stärke mit der Kunst den gesunden, den positiven Teil in mir und gebe damit meiner Erkrankung einfach nicht so viel Raum“, beschreibt Linda Nalic ihre Motivation. „Denn wenn ich male, bin ich Künstlerin und keine Hirntumor-Patientin mit etwas, das sonderbar ist!“
Info Alle Bilder und weitere Informationen unter www.seltenallein.de
Hintergrund: Was ist eine seltene Erkrankung?
In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Da es mehr als 6.000 unterschiedliche seltene Erkrankungen gibt, ist die Gesamtzahl der Betroffenen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen hoch. Allein in Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa vier Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Seltene Erkrankungen bilden eine Gruppe von sehr unterschiedlichen und zumeist komplexen Krankheitsbildern. Die meisten dieser Erkrankungen verlaufen chronisch und gehen mit gesundheitlichen Einschränkungen beziehungsweise eingeschränkter Lebenserwartung einher. Häufig bilden Betroffene bereits im Kindesalter Symptome aus. Etwa 80 Prozent der seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt oder mitbedingt, selten sind sie heilbar.
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