Allergenimmuntherapie – viele Studien, wenige Zulassungen – woran liegt es?
- Zulassungsbehörden in den USA und in der EU verlangen, dass Produkte zur Hyposensibilisierung (Allergenimmuntherapie, AIT) im Rahmen einer Zulassung nachweisen müssen, dass sie wirksam, sicher und von angemessener Qualität sind.
- Obwohl viele klinische Prüfungen zur Allergenimmuntherapie durchgeführt werden, schaffen es nur wenige Produkte in die Zulassung.
- Eine neue Studie des Paul-Ehrlich-Instituts und der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zeigt, dass erhebliche Unterschiede in der Qualität des Studiendesigns zu dieser Diskrepanz beitragen.
In den letzten Jahrzehnten wurden in Europa und auch in den USA viele klinische Prüfungen zur Allergenimmuntherapie (Hyposensibilisierung) durchgeführt. Trotzdem haben es nur wenige Produkte in die Zulassung geschafft. Ein Team des Paul-Ehrlich-Instituts und der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA unter Federführung von Dr. Andreas Bonertz, Fachgebiet Test- und Therapie-Allergene des Paul-Ehrlich-Instituts, haben sich mit dieser Diskrepanz beschäftigt. In einer Übersichtsarbeit (Journal of Allergy and Clinical Immunology, 03.03.2022) fassen sie ihre Erkenntnisse sowie die Anforderungen an die erfolgreiche präklinische und klinische Entwicklung von Allergenimmuntherapeutika zusammen.
Allergien sind eine häufige Erkrankung. Es gibt zwar viele zugelassene Behandlungen für Allergiesymptome, doch nur die Allergenimmuntherapie (AIT) bietet die Möglichkeit, die Allergie kurativ zu behandeln. Dabei wird das Immunsystem mit der AIT quasi „trainiert“, damit es auf die Allergene nicht mehr die unerwünschten Reaktionen zeigt. Die Behandlung erfolgt meist über mehrere Jahre. Zulassungsbehörden sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Europäischen Union (EU) und damit auch in Deutschland verlangen, dass AIT-Produkte im Rahmen einer Zulassung nachweisen, dass sie sicher, wirksam und von angemessener Qualität sind.
Kontrollierte klinische Studien: Nachweis für Sicherheit und Wirksamkeit von AIT-Produkten
Der Nachweis für die Sicherheit und Wirksamkeit eines Produkts wird in der Regel in randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien erbracht. In Phase 2 wird eine sichere und wirksame Dosis ermittelt und große Phase-3-Studien dienen dazu, Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie nachzuweisen. In den letzten Jahrzehnten wurde eine noch nie dagewesene Anzahl solcher kontrollierten klinischen Studien für viele AIT-Produkte durchgeführt. Viele dieser Studien erfolgten aufgrund der 2008 in Deutschland in Kraft getretenen Therapieallergen-Verordnung (TAV). Diese Verordnung verpflichtet die Hersteller von AIT-Produkten, eine Zulassung für die Behandlung von Allergien zu beantragen, von denen in Deutschland eine große Zahl von Patientinnen und Patienten betroffen ist und für die die Durchführung eines klinischen Entwicklungsprogramms als machbar und sinnvoll erachtet wird. Bei diesen Zulassungsanträgen müssen die Hersteller klinische Entwicklungsprogramme nach dem aktuellen Stand der Technik durchführen, um die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte nachzuweisen. Dies gilt auch, wenn das Produkt bereits ohne Zulassung vertrieben wurde, bevor es die aktuell gültigen Anforderungen an den Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit gab.
Zahlreiche AIT-Studien abgeschlossen – wenige Produkte zugelassen
Obwohl aus den öffentlich zugänglichen Registern für klinische Studien hervorgeht, dass zahlreiche klinische AIT-Studien abgeschlossen wurden, bleiben die genauen Ergebnisse vieler Studien unveröffentlicht und nur vergleichsweise wenige AIT-Produkte werden schließlich in Europa oder den Vereinigten Staaten zugelassen. So haben beispielsweise von den 123 AIT-Produkten, für die in Deutschland als Reaktion auf die TAV Zulassungsverfahren eingeleitet wurden, bisher nur zwei eine Zulassung erhalten, während 50 Produkte noch zur Zulassung anstehen und 73 Produkte nicht mehr angewendet werden dürfen (entweder aufgrund der Ablehnung durch die zuständige Behörde oder der Rücknahme durch den Antragsteller).
Probleme bei der regulatorischen Bewertung von Daten aus klinischen Studien festgestellt
Expertinnen und Experten des in Deutschland für die Zulassung von AIT zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts unter Leitung von Prof. Stefan Vieths sowie Kolleginnen und Kollegen der in den USA zuständigen US Food and Drug Administration (FDA) unter Leitung von Dr. Jay Slater geben in einer Übersichtsarbeit einen Überblick über die wichtigsten regulatorischen Aspekte klinischer Studien zur AIT in der EU und den USA, gefolgt von einem Überblick über Probleme und kritische Aspekte, die bei regulatorischen Bewertungen von Daten aus klinischen Studien festgestellt wurden.
Erhebliche Unterschiede in der Qualität der Studiendesigns
Die Regulatorinnen und Regulatoren machen darin u. a. deutlich, dass das untersuchte AIT-Produkt in seiner qualitativen und quantitativen Zusammensetzung während der gesamten klinischen Entwicklung vergleichbar bleiben muss, eine wichtige Herausforderung bei der Entwicklung solcher Arzneimittel. Der Nachweis der Wirksamkeit kann zudem nicht nur durch einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der Test- und der Kontrollpopulation erbracht werden, sondern muss auch als klinisch relevant nachgewiesen werden. Ein wichtiger und entscheidender Punkt für eine erfolgreiche klinische Entwicklung ist zudem die Wahl aussagekräftiger Einschluss- und Endpunktkriterien. Post-hoc- (nachträgliche) oder Subgruppen-Analysen können unterstützend wirken, müssen aber als vordefinierte Kriterien in zusätzlichen Studien überprüft werden und können nicht spontan nach Abschluss einer Studie als entscheidender Beleg für die Wirksamkeit verwendet werden. Bei der Datenanalyse können unterschiedliche Patientengruppen (Analysepopulationen) aus den klinischen Prüfungen berücksichtigt werden. Dagegen sollte die Datenanalyse für die behördliche Überprüfung auf der Intention-to-Treat (ITT)-Population basieren, um eine objektive Bewertung der Behandlungswirkung auf die gesamte Studienpopulation zu ermöglichen. Das Intention-to-Treat-Prinzip bedeutet, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Studiengruppe bei der Endauswertung der Studie berücksichtigt bleiben (wie es die Absicht – Intention – war), auch wenn sie im Laufe der Studie ausscheiden oder die Therapie wechseln. Das ITT-Prinzip stärkt die Verlässlichkeit von Studienergebnissen.
Scheinbar widersprüchliche Interpretationen klinischer Daten zwischen Veröffentlichungen und behördlicher Prüfung beruhen häufig auf den unterschiedlichen Zielsetzungen, wobei die behördliche Prüfung die vollständigen Datensätze aller relevanten klinischen Studien für das betreffende AIT-Produkt berücksichtigt, um eine fundierte Entscheidung über die Zulassung zu ermöglichen.
"Mit Allergenimmuntherapien wird das Immunsystem so trainiert, dass es nicht mehr überschießend auf harmlose Allergene reagiert. Damit kann vielen Menschen, die an Allergien erkrankt sind, geholfen werden. In unserer Übersichtsarbeit zeigen wir, welche Anforderungen in der präklinischen und klinischen Entwicklung von Allergenimmuntherapeutika erfüllt sein müssen, um mehr Produkte in die Zulassung zu bekommen", erläutert Prof. Stefan Vieths, Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts und Leiter der Studie.
Originalpublikation
Bonertz A, Tripathi A, Zimmer J, Reeb C, Kaul S, Bridgewater J, Rabin RL, SI JE, Vieths S (2022): A regulator’s view on AIT clinical trials in the United States and Europe: Why successful studies fail to support licensure.
J Allergy Clin Immunol 149: 812-818.
Online-Abstract
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