Bauen & Wohnen

„Bewusst Bauen“

Die verantwortungsvolle Gestaltung von Wohn- und Lebensräumen nimmt in der Baubranche einen immer höheren Stellenwert ein. Das bringt auch in der Architektur neue Herausforderungen mit sich. Grund genug, das Thema nachhaltiges Bauen auf die Agenda des diesjährigen Klinker-Fachseminars von Hagemeister zu setzen. Unter dem Motto „Bewusst Bauen“ haben sich fünf Referenten aus der nationalen und internationalen Architekturszene dem Thema intensiv gewidmet.

„Es gibt nur zwei Dinge in der Architektur: Menschlichkeit oder keine“ – mit diesem Zitat des Architekten Alvar Aalto eröffneten Marc Hein und Christian Pohl von hehnpohl Architektur ihren Vortrag „Verborgenes freilegen – Gestalt finden – Material fügen“. Ein Grundgedanke, der dem diesjährigen Klinker-Fachseminar von Hagemeister insgesamt zugrunde lag. Schließlich bauen Architekten und Planer für Menschen. Das wissen auch die beiden Referenten aus Münster nur zu gut und zeigten in ihrer Präsentation ihre Leitideen und Herangehensweise bei Bauprojekten, bei dem der Nutzer immer im Mittelpunkt der ganzen Planung steht. Anhand ausgewählter Objekte stellten sie dem Fachpublikum ihre vier Leitgedanken dar. Neben den drei bereits im Titel genannten Prinzipien fügt sich ihrer Arbeit noch der Aspekt „Licht leiten“ hinzu. Ein Kernprojekt, das alle vier Motive verantwortungsvoll vereint, ist das „Haus am Buddenturm“ in Münster, welches 2019 mit dem Deutschen Ziegelpreis ausgezeichnet wurde: Ein moderner Neubau in historischer Nachbarschaft mit unterschiedlichen Baufluchten als gestaltgebendes Element. Das Gebäudeinnere ist zum Teil stark verwinkelt und fordert ein besonderes Lichtkonzept. Drei Dachflächenfenster über den Traufkanten und am First sowie ein rückseitiges Giebelfenster lassen Tageslicht in die oberen Stockwerke und durch kleine Lichtschächte auch in die unteren Ebenen. Durch den Lichteinfall von oben entsteht eine einzigartige Atmosphäre.

Unter dem Aspekt „Architektur im historischen Kontext“ präsentierten sie zudem ein Objekt, dass mit Klinkern von Hagemeister verarbeitet wurde. Bei dem Projekt „Wohn- und Geschäftshäuser am Neutor in Münster“ wurde dank der Handstrich-Sortierung „Weimar HS“ ein homogener Spagat zwischen den benachbarten Sandsteinbauten und der Ziegelfassade geschaffen. Das Büro hehnpohl arbeitet gerne mit dem Material und weiß um die Vorteile des Baustoffs in Bezug auf Nachhaltigkeit. Marc Hehn: „Die Genialität des Klinkers besteht in seiner Einfachheit. Man kann die Steine hintereinandersetzen und stapeln, ein simples und beständiges System, das seit Jahrhunderten schon so in der Form angewendet und auch in 100 Jahren noch Bestand haben wird.“

Zirkuläre Konstruktion mit drystack

Wie vielfältig der Einsatz mit Klinkern sein kann, hob Machiel Spaan, Gründer und Architekt von M3H Architekten in Amsterdam, hervor. „Die Arbeit mit Backstein ist zugleich spielerisch und präzise. Ich liebe es zu sehen, was man alles mit ihm machen kann.“ Egal ob horizontale oder vertikale Verarbeitung mit runden Ecken, eine besondere Ornamentik mit Reliefs oder eigens kreierte Formsteine, die an der Fassade als Pflanzenhalterungen dienen – bei der Gestaltung mit Klinker sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Dieser Ansatz führte Spaan auch zu einer neuen Methode des Mauerns, die er anhand eines Referenzobjektes in Hoorn präsentierte. Dabei handelt es sich um eine zirkuläre Konstruktionsart, die in den Niederlanden bereits weit verbreitet ist. Hier werden Klinker auf eine neue Art anders als traditionelles Mauerwerk verarbeitet – das System kommt ohne Mauer-Mörtel aus. Der Aufbau ist einfach, auch von der Verarbeitungstechnik her, was auch dem Problem des Fachkräftemangels im Maurerhandwerk entgegenwirkt. Das System besteht aus einem Klinkerstein mit acht speziell gefertigten Löchern und einem Kunststoffelement mit Noppen, welches flexibel in die Löcher gesetzt werden kann, egal ob horizontal oder vertikal. Damit können die Steine variabel auf unterschiedliche Weise aufeinandergestapelt werden. Ein sehr nachhaltiges System, da die Elemente als Ganzes oder einzeln ohne großen Aufwand zurückgebaut und so in neuen Projekten wiederverwendet werden können.

Die Welt als Inspiration

„You can find inspiration in everything and if you can’t, look again.“ Ein Zitat von Architekt Paul Smith, das nicht passender für das Projekt Bicycle parking building in Eindhoven des Amsterdamer Büros de Architecten Cie. sein könnte, welches der Referent Hans Hammink vorstellte. Hier wurden Fenster eines ausgedienten Zuges für die Außenfassade und alte Bahngleise als Pfeiler im Inneren verwendet. Ein spannendes Projekt, das die Zirkularität des Bauens zeigt. Darum ging es in seinem Vortrag „Lessons learned from recent circular projects; are bricks circular?“. Sein Spezialgebiet ist die Integration von Architektur mit nachhaltigen und zirkulären Prinzipien. „Zirkularität führt Architekten und Planer zu mehr Inspiration, mehr Out oft he Box-Denken. Es ist absolut unerlässlich, in Zukunft in zirkulären Wegen zu designen, weil gewohnte Materialien und Komponenten, mit denen wir heute noch arbeiten, nicht mehr verfügbar sein werden. Wir müssen sehr sorgfältig mit den Ressourcen umgehen. Klinker ist ein fantastisches Material, weil es eine lange Lebensdauer von bis zu 1000 Jahren hat. Als Architekt müssen wir dem Material mehr Aufmerksamkeit schenken, da es ein guter Beitrag zu langlebiger und zirkulärer Architektur sein kann“, schließt Hammink.

Für Menschen designt

Klimaschutz ist ein Thema, das im städtebaulichen Kontext jetzt und in Zukunft einen wichtigen Faktor darstellen wird. Die Stadtplanung muss Räume schaffen, ohne die Natur dabei zu vernachlässigen. Dass dabei aber auch die soziale Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle einnimmt, erläuterte der Architekt und Visionär für nachhaltige Architektur, Prof. Dr. Wolfgang Frey. In seinem Vortrag „Sustainable urban development: Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten“ gab er einen spannenden architektonischen Rück- und Ausblick auf nachhaltige Architektur mit städtebaulicher Perspektive. Bei seinen Projekten ist es ihm wichtig, dörfische Strukturen in die Städte zu bringen. Die Menschen sollen sich im Wohnumfeld wohlfühlen und in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Dies kann dann so aussehen, dass sich Bewohner etwa selbst um die Bepflanzung der Parkbuchten kümmern oder um die Innenausstattung von Gemeinschaftsräumen. „Wir müssen bewusster bauen. Unsere Aufgabe ist es, ein Lebensumfeld zu erzeugen, was uns Menschen einlädt, da zu sein, und zwar mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen. Wir benötigen einen langfristig angelegten Bau, der mit einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur einhergeht. Ob es Energiereserven oder Baustoffe sind, all das muss bewusst genutzt werden, sodass wir auch für zukünftige Generationen einen lebenswerten Stadtraum schaffen können. Der Klinker ist dafür ein wunderbares Material. Durch seine Langlebigkeit, seine hohe Masse, seine biologischen Rohstoffe kann er der Nachhaltigkeit Rechnung tragen.“

Architektur hat also mehr Bedeutung als nur Fassade zu sein. Diese sieht nicht nur einfach hübsch aus, sondern hat zugleich auch einen massiven Klima-Effekt. Eine Verantwortung, der sich Architekten und Planer jetzt und in Zukunft bewußt werden müssen.

Das Hagemeister Klinker-Fachseminar 2022

Das Klinker-Fachseminar jährte sich 2022 bereits zum 17. Mal. Nach zweijähriger Corona-Pause fand die von den Architekten-Kammern anerkannte Fortbildungsveranstaltung pandemiebedingt zum ersten Mal als hybrides Format statt. So konnten am 8. und 9. März 2022 insgesamt 200 Architekten unter strengem Hygienekonzept vor Ort und zusätzlich 150 Teilnehmende bei dem parallel laufenden Online-Event dabei sein. „Das Thema bewusstes Bauen ist ein aktuelles. Der Bausektor steht vor einer großen Aufgabe, die neue Lösungen fordert. Es ist sehr interessant, gemeinsam mit den Architekten darüber nachzudenken, welche innovativen Ideen es gibt, welche neuen Wege Bauschaffende gehen und vor allem welchen Beitrag wir als Hagemeister leisten können, um die Ziele eines nachhaltigen Bauens zu erreichen”, erläutert Geschäftsführerin Dr. Christina Hagemeister die Relevanz des Themas und ergänzt: „Wir freuen uns über den anregenden Austausch und den positiven Zuspruch. Es ist schön, dass viele Besucher über die Jahre hinweg regelmäßig zum Klinker-Fachseminar wiederkommen.”

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