Ein Stück Heimat schaffen – das erste Flüchtlingsheim des Unionhilfswerks
„Dahergelaufenes Gesindel!“ Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen
Die „Flüchtlingsfrage“ war nach Kriegsende in Deutschland ein heiß diskutiertes Thema. Die Flüchtlinge kamen aus Gebieten, die heute u. a. zu Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei gehören. Über die Berliner Bahnhöfe kamen besonders viele von ihnen in die Hauptstadt. Allein im Juli 1945 waren es 550.000 Geflüchtete in Berlin. Sie wurden allerdings nicht mit offenen Armen empfangen und in ihrer Not unterstützt: Große Teile der deutschen Bevölkerung begegneten den Flüchtlingen mit Ablehnung. In Deutschland fehlte es nicht nur an Wohnraum, sondern auch an Kartoffeln, Feuerholz und anderen Dingen des täglichen Bedarfs. Viele Menschen litten Hunger, Krankheiten griffen um sich. Die Situation war für viele angespannt, wenn nicht sogar existenziell. Die Flüchtlinge wurden in dieser Situation als Konkurrenten im Kampf um die knappen Ressourcen wahrgenommen und bekamen dies auch zu spüren. Hinzu kamen Vorurteile gegenüber den Neuankömmlingen aus dem Osten. Sie wurden gemieden und – trotz ihrer deutschen Herkunft – als „dahergelaufenes Gesindel“ beschimpft. Die Alliierten ließen den Deutschen jedoch keine Wahl: Die Flüchtlinge mussten untergebracht und integriert werden. Dazu erfassten die Behörden, in welchen Häusern und Wohnungen noch Platz war. Kein Zimmer sollte unbewohnt bleiben. Die Deutschen wurden gezwungen, Flüchtlinge als neue Mitbewohner bei sich aufzunehmen und zu versorgen. Wer sich wehrte, musste mit hohen Geldstrafen oder sogar Gefängnishaft rechnen.
Alle packen mit an! Das erste Flüchtlingsheim entsteht
Die meisten Flüchtlinge wurden auf dem Land untergebracht. Dort gab es nicht so viele Kriegsschäden wie in den Großstädten, weshalb sie dort einfacher einen Platz zum Wohnen fanden. Andererseits mussten sie aber auch für ihren Lebensunterhalt sorgen und Geld verdienen. Mit der Zeit zogen viele Geflüchtete vom Land in die Stadt, um dort Arbeit zu suchen. Gleichzeitig versuchten immer mehr Menschen, die Sowjetische Besatzungszone zu verlassen. So kamen auch weiterhin viele Neuankömmlinge nach Berlin. Das Unionswerk bot in der ganzen Stadt soziale Sprechstunden an, um Flüchtlinge, Kriegsheimkehrer und alteingesessene Berliner durch freiwillige Helfer bei der Suche nach Verwandten, Arbeitsplätzen und Wohnraum zu unterstützen. Aber die Vermittlung von Wohnungen blieb schwierig, denn was es nicht gab, konnte man auch nicht vermitteln. Das mittlerweile umbenannte UNIONHILFSWERK fand daher eine ganz praktische Antwort auf die „Flüchtlingsfrage“: Es eröffnete 1950 sein erstes Flüchtlingsheim.
Vor der Eröffnung des Heims und der Aufnahme erste Hilfe suchender Menschen hatten die Mitglieder des UNIONHILFSWERK viel zu tun. In einer leerstehenden Baracke in der Zehlendorfer Benschallee sollte das neue Heim entstehen. Innerhalb weniger Wochen mussten das Dach abgedichtet, Wände eingezogen und eine Einrichtung inklusive Großküche beschafft werden. Auch Flüchtlinge, die noch in Lagern wohnten, packten mit an und beteiligten sich mit den eigenen Händen am Aufbau des Heimes. Sie gehörten schließlich zu seinen ersten Bewohnern.
Ein Zuhause auf Zeit vor allem für Familien
Der Bedarf war so groß, dass in kürzester Zeit noch zwei weitere Baracken ausgebaut wurden. Insgesamt bot das Flüchtlingsheim des UNIONHILFSWERK nun 400 Menschen ein Dach über dem Kopf und ein Gefühl von Sicherheit und Schutz. Das Heim wurde vor allem von Familien bewohnt. Die meisten der Bewohner waren sogar jünger als 16 Jahre. Um den Menschen wieder etwas Privatsphäre zu ermöglichen, bekam jede Familie mindestens ein Zimmer für sich. Auch der weitere Ausbau war ganz auf den Bedarf von Familien abgestimmt: In den folgenden Jahren entstanden eine zentrale Waschküche, ein Kindergarten und ein Fußballplatz.
Das Ziel der Mitarbeiter des UNIONHILFSWERK war, den Menschen eine soziale Starthilfe zu geben, um sie auf ein neues Leben außerhalb des Heimes vorzubereiten. Die jahrelangen Kriegs- und Nachkriegsentbehrungen hatten an Körpern und Seelen Spuren hinterlassen. Viele Flüchtlinge waren bei ihrem Einzug mangelernährt. In den ersten Nachkriegsjahren war in ganz Deutschland das Essen knapp. Auf dem Schwarzmarkt konnten die Menschen letzte Habseligkeiten gegen zusätzliche Lebensmittel eintauschen. Die Flüchtlinge, die fast alles in ihrer Heimat zurücklassen mussten, hatten aber nichts zum Tauschen. In der Sowjetischen Besatzungszone, aus der nun viele weitere Geflüchtete kamen, war die Versorgungslage besonders schlecht. Die Mitarbeiter des Flüchtlingsheims kümmerten sich um die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen: Alle Bewohner wurden über die Großküche versorgt und durch einen Arzt medizinisch betreut, bis sie wieder zu Kräften kamen. Die Kinder bereiteten sie mit Nachhilfeunterricht auf das Berliner Schulwesen vor. Die Lage entspannte sich in den folgenden Jahren zusehends, nach einiger Zeit konnten die Bewohner in eigene Wohnungen umziehen. Einige von ihnen blieben in Berlin, andere zogen weiter nach Westdeutschland. Die frei gewordenen Räume wurden zunächst schnell von neuen Flüchtlingen bezogen, doch mit der Zeit gab es immer weniger Bedarf. Im März 1960 konnte das Flüchtlingsheim nach fast zehn Jahren schließen.
Im nächsten Beitrag geht es um neue Herausforderungen in den 1950er Jahren und Sie erfahren, warum das Unionhilfswerk 1957 Thema in Tagesspiegel, BILD und Stern war.
Quellen:
Mathias Beer: Die „Flüchtlingsfrage“ in Deutschland nach 1945 und heute. Ein Vergleich, in: Zeitgeschichte-online, April 2016, https://zeitgeschichte-online.de/themen/die-fluechtlingsfrage-deutschland-nach-1945-und-heute.
R. M. Douglas: „Ordnungsgemäße Überführung“. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2013, S. 155.
Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, Bonn 2015, S. 12.
Sven Olaf Oehlsen: Vertriebenenlager in Brandenburg 1945-1953, Potsdam 2006, S. 74.
Mitteilungsblatt Nr. 1 der Arbeitsgemeinschaft „UNIONSWERK“, Juli 1947.
Unionhilfswerk: Unser Flüchtlingsheim, 1952.
Elke Kimmel: Nachkriegssituation in der SBZ/DDR, in: Dossier. Der Marshallplan – Selling Democracy, Bundeszentrale für politische Bildung, 31.10.2005, https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/marshallplan/40067/ausgangslage-sbz-ddr.
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