Kunst & Kultur

Eine großartige Idee stand am Anfang – 100 Jahre Pfahlbauten am Bodensee

Am 12. März 1922 kamen im Seehof in Unteruhldingen am Bodensee 67 Männer und Frauen zusammen, um den Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde e.V. Unteruhldingen aus der Taufe zu heben. 100 Jahre später sollte der Verein mehr als 15,6 Millionen Menschen in seinem Freilichtmuseum begrüßt haben. Der Pfahlbauverein legte damit die Grundlagen für eines der erfolgreichsten archäologischen Freilichtmuseen Europas. Die Vereinsgründer hatten eine ganz besondere Vision. Sie wollten die Geschichte unserer Vorfahren wieder zum Leben erwecken. Damals waren Tausende von Funden aus den Seen und Mooren des Voralpenlandes entdeckt worden, die sich unter Sauerstoffabschluss im See erhalten haben, darunter Kleidungsreste, Holzschalen, komplette Steinbeile und Tausende Jahre alte Äpfel. Aber wie die Menschen damals tatsächlich gelebt haben, war nur schwer zu verstehen. Hervorgegangen war die Idee aus einem Vortrag des jungen Archäologen Hans Reinerth auf der Tagung des Bodensee-Geschichtsvereins am 12. September in Lindau. In diesem Vortrag über „die Pfahlbauten des Bodensees im Licht der neuesten Forschung“ verband er erstmals die Ergebnisse der Ausgrabungen im Federseemoor mit der Fundlandschaft am Bodensee. Der Oberamtmann des Bezirksamts Überlingen Hermann Levinger und der begeisterte Pfahlbauforscher und Unteruhldinger Bürgermeister Georg Sulger, die beide den Vortrag hörten, waren fasziniert von der Vision, die Geschichte in Unteruhldingen neu entstehen zu lassen. Tatkräftige Unterstützung erhielten die beiden von Victor Mezger, dem Präsidenten des Bodensee Geschichtsvereins, dem erfahrenen Ingenieur Paul Fritz und dem Tübinger Universitätsprofessor R.R. Schmidt, der sich für die Ausgrabungen am Federsee verantwortlich zeigte. Auf die kongeniale Zusammenarbeit dieser fünf Personen ging der Entschluss zurück, einen Verein ins Leben zu rufen. Die Idee war geboren. Es war ein großes Wagnis in dieser sowohl wirtschaftlich als auch politisch schwierigen Zeit nach dem Ende des ersten Weltkriegs, in der auch auf dem Land große Not herrschte. Bezeichnend war, dass alle Gastronomen aus Unteruhldingen zu den Gründern gehörten, die das Potential der Idee für den aufkeimenden Tourismus am Bodensee erkannt hatten. Aber auch pädagogische Aspekte der „Volksbildung“ wurden schon in der ersten Vereinssatzung verankert. Bereits 1919 waren erste Rekonstruktionen im Wilden Ried bei Bad Schussenried entstanden, 1926 folgte der Ufa-Film „Natur und Liebe“. Diese Bilder waren die „Blaupause“ für die Gründer des Pfahlbauvereins, die sich in den Folgemonaten an den Bau der ersten Pfahlbauhäuser machten. Eine Sonderausstellung zu den Anfängen des Vereins und seines Museums wird am 2. April in den ältesten beiden Häusern des Freilichtmuseums anlässlich des Jubiläums eröffnet. Verschiedenste Veranstaltungen auch für Familien mit Kindern schließen sich im Verlaufe des Jahres an, darunter ein Festprogramm mit experimentellen Archäologen und dem Steinzeitmenschen „Uhldi“. Geöffnet ist das Pfahlbaumuseum ab dem 19. März an Wochenenden von 10-17.30 Uhr, ab dem 1. April täglich von 10 bis 18 Uhr. Mehr Infos unter www.pfahlbauten.de

Die Gründer

Victor Mezger 1866–1936 (Bild siehe Anhang)

Der Restaurator, Museumsleiter und Präsident des Bodensee Geschichtsvereins stand als pädagogischer Mentor und Heimatforscher ab 1918 in Kontakt mit dem Tübinger Urgeschichtlichen Forschungsinstitut (UFI). Das 1871 eingerichtete Überlinger Stadtmuseum wurde von Hans Reinerth 1920/21 neu aufgestellt. Mezger lädt diesen zu einem Vortrag in Lindau ein, stellt Funde und einen ausgestopften Bären für Unteruhldingen zur Verfügung und vermittelt eine Garantiesumme der Stadt Überlingen zur Gründung des Pfahlbaumuseums. Foto: Archiv PM/Sammlung

Das Urgeschichtliche Forschungsinstitut

Bei den Vorträgen in Lindau und Überlingen werden Lichtbilder gezeigt, die anlässlich von Filmaufnahmen 1919 im „Wilden Ried“ bei Schussenried in einem nach Grabungsbefunden rekonstruierten „Steinzeithaus“ entstanden. Dieser Prototyp war Vorbild für Unteruhldingen. Professor R.R. Schmidt (1882–1950) und Dr. Hans Reinerth (1900–1990) vom Urgeschichtlichen Forschungsinstitut an der Universität Tübingen (1919–1935) leiteten die Ausgrabungen im Federseemoor. Foto: Archiv PM

Hermann Levinger 1866–1944 (Bild siehe Anhang)

Der Sohn jüdischer Kaufleute aus Karlsruhe und Landrat in Überlingen hatte nach dem Lindauer Vortrag die Idee für das Museum und schlug Georg Sulger als Fachmann für den Bau und die Leitung vor. Weitblickend förderte er mit Bürgermeister Sulger die Entwicklung des Fremdenverkehrs am Bodensee, die Einrichtung eines Villenviertels und des Natur- und Uferschutzes am Ort. Die rasche Baugenehmigung und die erfolgreiche Behebung örtlicher und behördlicher Schwierigkeiten sind ihm zu verdanken.

Paul Fritz 1879–1926

Der Ingenieur aus Oberuhldingen war für die technische Ausführung der neuen Pfahlbauten verantwortlich. Er organisierte den Kontakt mit dem Urgeschichtlichen Forschungsinstitut und Hans Reinerth 1921 die ersten Ortstermine und auch die Gründungsversammlung. Er warb Unterstützer, besorgte finanzielle Mittel, bestellte das Holz, erstellte die Baupläne nach den archäologischen Vorgaben und leitete den Aufbau. Foto: Archiv PM

Georg Sulger 1854–1939

Sein Elternhaus stand am Wasser, bei Hochwasser sogar im Wasser. Als Fischersohn half Georg Sulger schon als Kind auf dem See mit. Er sammelte, wann immer es möglich war, von einem alten Badezuber oder einem selbstgebastelten Floß aus nach Funden. Bei Niederwasser im Winter tauchten vor seiner Haustüre regelmäßig die Pfähle der stein- und bronzezeitlichen Station Unteruhldingen auf. Er kannte alle Fundstellen. Als Fachmann begleitete er Forscher aus Überlingen, Karlsruhe, Tübingen und entwickelte ein eigenes Ausgrabungskastensystem für Unterwassergrabungen. Bei Pfahlfeldvermessungen 1897 in Unteruhldingen und der Suche nach der besten Stelle für Ausgrabungen in Sipplingen war er dabei. Sein Wunschtraum war es, die Wohnstätten der Urmenschen „lebendig“ werden zu lassen. Foto: Archiv PM/Josef Udry

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