Fachtagung für Umgangs- und Sorgerechtsrechtsfragen im Zusammenhang mit partnerschaftlicher Gewalt am 24. Mai 2022 in Güstrow
Eine der wichtigen Fragen, mit denen sich aus ganz Deutschland angereiste Experten im Rahmen der Fachtagung am 24. Mai in der Verwaltungsfachhochschule Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern auseinandersetzten.
Nach Trennungen stehen Jugendämter und Familiengerichte häufig vor der schweren und verantwortungsvollen Aufgabe, entscheiden zu müssen, bei welchem Elternteil das Kindeswohl in Zukunft besser gewährleistet sein dürfte. Dabei hat es vorrangig um das Kindeswohl zu gehen und nachrangig um die Bedürfnisse der betroffenen Eltern – so schreibt es der Gesetzgeber vor. Doch was passiert etwa, wenn die elterliche Sorge oder der Umgang mit dem anderen Elternteil mit einer tatsächlichen oder behaupteten Kindeswohlgefährdung kollidiert?
Im Jahr 2020 kam es zu 146.655 Fällen von partnerschaftlicher Gewalt, dabei wurden 139 Frauen und 30 Männer getötet. Insgesamt gab es im Jahr 2020 782 Tötungsdelikte, wobei es in Polizei und Justiz mittlerweile seit Jahren zum Allgemeinwissen gehört, dass mindestens die Hälfte dieser Tötungsdelikte einmal mit partnerschaftlicher Gewalt begonnen hatte.
In Bezug auf betroffene Kinder wurden keine separaten Zahlen erhoben. Allerdings ist festzustellen, dass mindestens jedes vierte Tötungsdelikt gegen ein Kind in Zusammenhang mit einer Trennung der Erziehungspersonen bzw. mit einem Streit ums Sorge- oder Umgangsrecht verbunden war.
Wie können Gefahren insbesondere für die betroffenen Kinder mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit reduziert werden? Kann der Kontakt zu einem „gefährlichen“ Elternteil wichtiger für das Kindeswohl sein als die dem Kind drohenden Gefahren für Leib oder sogar Leben?
Nachdenklich stimmt, dass die Forschenden (Joan Meier et al) der George Washington University – Law School bei einer Analyse von fast 2000 Fällen herausfanden, dass Mütter, die den Vorwurf der Kindesmisshandlung gegen den Vater erhoben, in einem von vier Fällen das Sorgerecht an den mutmaßlichen Täter verloren. Selbst wenn es sich um nachgewiesene Fälle der Kindermisshandlung handelte, bekamen trotzdem in 19 % aller Fälle die Väter das alleinige Sorgerecht. Wenn Mütter gemischte Formen der Gewalt vorwarfen, also bspw. körperliche und sexualisierte Gewalt, stieg das Risiko für sie, das Sorgerecht zu verlieren, sogar auf 50%.
Besonders signifikant war hier das Geschlechter-Ungleichgewicht. Erhoben Väter Gewaltvorwürfe gegen die Mutter, verloren sie in 12 % aller Fälle das Sorgerecht. Erhoben Mütter die Vorwürfe, verloren sie in 28 % der Fälle das Sorgerecht. Bei nachgewiesener Gewalt war der Unterschied noch größer. Während 4% der Väter das Sorgerecht an gewalttätige Mütter verloren, verloren 13% der Mütter das Sorgerecht an einen nachgewiesen gewalttätig gewesenen Vater.
Noch dramatischer wurde es, wenn die Gegenseite den Vorwurf der „Entfremdung“ einbrachte und das Familiengericht dem folgte. Wurde Müttern vorgeworfen, das Kind dem Vater entfremdet zu haben, verloren sie selbst bei nachgewiesener häuslicher Gewalt in 63% der Fälle das Sorgerecht an den gewalttätigen Vater. „Schier unglaubliche Zahlen und damit Fakten“, so Rainer Becker, Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e. V., Kooperationspartner der Fachtagung in Güstrow. „Wir müssen uns fragen, wie es dazu kommen kann, dass Frauen vor Familiengerichten anscheinend signifikant schlechter wegkommen als Männer.“
Mit diesen und anderen Sorge- und Umgangsrechtsfragen in Zusammenhang mit partnerschaftlicher Gewalt haben sich die Referentinnen / Referenten auf der heutigen Fachtagung in Güstrow intensiv auseinandergesetzt. Durch die Vorträge und Workshops sollten die Teilnehmer der Veranstaltung – Fachkräfte aus dem Jugendhilfebereich, der Polizei und der Justiz – dafür sensibilisiert werden, dass nur das Kindeswohl bei Entscheidungen im Sorge- und Umgangsrecht Priorität haben kann.
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