Loopings für Mikroorganismen
Zu Wasser, zu Land und in der Luft – Mikroorganismen sind nahezu überall zu finden. Sie sind für sämtliche biogeochemischen Kreisläufe unserer Erde essenziell: Sie sind Meister der Ab- und Umbauprozesse in Gewässern, in Böden oder auch in unserem Darm. In Kläranlagen oder industriellen biotechnologischen Prozessen, etwa zur Herstellung von Lebensmitteln, Biogas oder biobasierten Kunststoffen, machen wir uns die Produktivität komplexer Mikroorganismen-Gemeinschaften zunutze. Die richtigen Bedingungen sorgen dafür, dass sich die kleinen Helfer wohlfühlen und ihre jeweilige Arbeit verrichten können. Stabile Prozesse erfordern jedoch auch eine stabile Zusammensetzung der Mikroorganismen-Gemeinschaft. "Und genau das ist eine echte Herausforderung", sagt Prof. Susann Müller, die die Arbeitsgruppe Durchfluss-Zytometrie am UFZ-Department Umweltmikrobiologie leitet. "Das Problem mit mikrobiellen Gemeinschaften ist nämlich, dass sie sich plötzlich in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln können – selbst wenn dieselben Bedingungen vorherrschen."
Ein kleines zufälliges Ereignis kann eine komplett andere mikrobielle Gemeinschaft entstehen lassen, was durch das exponenzielle Wachstum von Mikroorganismen dann auch sehr schnell gehen kann. Hinzu kommt, dass in Bioreaktoren in der Regel ein stetiger Durchfluss bzw. Stoffaustausch stattfindet – was manchen Mikroorganismen zum Verhängnis werden kann. "In mikrobiellen Gemeinschaften kommen auch solche Bakterien vor, die nur in vergleichsweise geringer Anzahl vorhanden sind und sich nur sehr langsam vermehren", erklärt Müller. "Oftmals sind sie für die gewünschten Prozesse unabkömmlich, wie etwa die methanbildenden Mikroorganismen bei der Biogasherstellung, die langsame Wachstumsraten haben und erst in einem sehr späten Stadium der Biogasherstellung zum Zug kommen. Gehen die entscheidenden Player versehentlich aus dem System verloren, kommt letztlich alles zum Erliegen." Um das zu verhindern, schlägt das UFZ-Forschungsteam in seiner aktuell im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichten Studie ein neues Verfahren namens "Massentransfer mit Loop" vor. Mit einer Art Schleife (engl.: loop), die in das Bioreaktorsystem eingebaut wird, soll die Mikroben-Gemeinschaft stabilisiert und zudem verhindert werden, dass Mikroorganismen-Gruppen gänzlich aus dem System verlorengehen. Doch wie funktioniert das? Und wie sind die Wissenschaftler:innen vorgegangen?
Zunächst legten sie fünf Bioreaktoren mit jeweils identischen Mikroorganismen-Gemeinschaften an und untersuchten, ob und inwieweit sich deren Zusammensetzung über die Zeit veränderte. Dafür nutzten sie die sogenannte Hochdurchsatz-Durchflusszytometrie, ein Verfahren, mit dem Einzelzellen schnell untersucht und eingehend charakterisiert werden können. Dabei werden verschiedene Parameter der Bakterien wie Zellgröße, Zelldichte als auch DNA-Gehalt ermittelt. Eine Probe mit 200.000 Bakterienzellen kann so binnen weniger Minuten hochpräzise als Fingerprint – etwa vergleichbar mit einem QR-Code – dargestellt werden. Die anfallenden riesigen Datenmengen wertete das Forschungsteam mit speziellen Computerverfahren aus und konnte damit Veränderungen in der mikrobiellen Zusammensetzung feststellen. "Wie vermutet, entwickelten sich die Mikroorganismen-Gemeinschaften in den fünf Bioreaktoren trotz identischer Bedingungen ganz unterschiedlich", sagt Susann Müller. In einem nächsten Schritt schalteten die Forscher:innen einen Loop ins System: Ein sechster Bioreaktor, der mit jedem der fünf Reaktoren jeweils über Zu- und Abfluss verbunden war. Dadurch fand zwischen den Bioreaktoren ein stetiger Austausch, ein sogenannter Massentransfer statt. "Unsere Untersuchungen zeigten eindrücklich, dass die mikrobiellen Gemeinschaften in den Bioreaktoren durch den Loop miteinander synchronisiert wurden und sich ihre Zusammensetzung und Funktionen dauerhaft stabilisierten", sagt Müller. "Darüber hinaus war die Überlebenswahrscheinlichkeit von Mikroorganismen mit geringer Wachstumsrate deutlich erhöht. Dieser Rettungseffekt kann für viele biotechnologischen Prozesse tatsächlich entscheidend sein."
Die Auswirkungen von Massentransfers sind nicht neu, man kennt sie zum Beispiel von Kläranlagen, in denen ein Teil des sich absetzenden Klärschlamms der dritten Reinigungsstufe zurück in die zweite Reinigungsstufe überführt wird. "Das Prinzip lag schon irgendwie auf der Hand", sagt Susann Müller. "Doch bislang hatte das noch niemand eingehend untersucht. In unserer Studie haben wir dafür ein komplett neues Reaktorsystem entworfen und verschiedenste Disziplinen zusammengedacht und -gebracht: Mikrobiologie, Ökologie, Biotechnologie, Einzelzellanalytik, Datascience und Modellierung. Damit konnten wir erstmalig zeigen, dass das Prinzip des Massentransfers mit Loop mikrobielle Gemeinschaften langfristig stabilisieren kann. Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie Anregungen für die praktische Anwendung geben können."
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