Realität beeinflusst Kapitalmärkte
Generell war der April für Kapitalmarktteilnehmer in vielerlei Hinsicht ein schwarzer Monat. Böckelmann gibt jedoch zu bedenken: „Der starke Kursanstieg der Krisenwährung US-Dollar gegenüber dem Euro von satten 5 % führt zu einer Verzerrung der Wahrnehmung. So verlor der Weltaktienmarkt MSCI Welt in seiner Währung USD heftige -8,31 %, in EUR jedoch „nur“ -3,29 %. Wie schlimm der Monat war, hängt also vor allem davon ab, durch welche Währungsbrille man die Börsenwelt betrachtet.“ Während US-Investoren einen der schwersten Einbrüche bei Aktien seit der globalen Finanzkrise 2008 erlebten, zeichnete der Monat für europäische Investoren nur eine Fortführung des seit Jahresbeginn vorherrschenden Abwärtstrends.
Für den Aktienanleger sei entscheidend, nicht zu stark in den großen Indexwerten investiert zu sein, die durch einen potenziellen Abverkauf oft pro-zyklisch agierender ETF-Anleger weiter unter Druck kommen könnten. „Für die Anleger ist es wichtiger denn je Ruhe zu bewahren. Auch wenn jetzt scheinbar die großen Aktienindizes abrutschen, gibt es immer noch genügend Opportunitäten jenseits dieser Indizes“, so Böckelmann. In vielen Sektoren habe die Kurskorrektur bereits im Sommer letzten Jahres eingesetzt. Viele bekannte Unternehmen haben teilweise 75-85 % von ihren Höchstständen verloren, was die ursprünglich hohe Bewertung extrem korrigiert habe.
Ursachenforschung
Die Ausgangslage für die Kapitalmärkte ist angesichts der Themen Inflation, Zinsanstiege, Lieferkettenengpässe, Chinas Null-Covid Strategie und der russischen Invasion mit allen ökonomischen Wechselwirkungen nicht erst seit kurzem herausfordernd. „Dennoch scheint sich erst jetzt das Wissen um die negativen Szenarien in den Kursentwicklungen auf aggregierter Indexebene heftig niederzuschlagen. Der zunächst die Szenarien begleitende Optimismus hat sich offenbar verflüchtigt“, beobachtet der Experte.
Über die Auslöser kann diskutiert werden. Böckelmann macht vor allem zwei Faktoren dafür verantwortlich: „Zum einen wird immer mehr Anlegern bewusst, dass Russland und die Ukraine trotz nur 2%-Anteil an der Weltwirtschaftsleistung in vielen Vorprodukten wie Öl, Gas oder Getreide 10 % der Grundversorgung der Welt stellen und damit eine Abschwächung der Versorgung wie ein Multiplikator wirkt. Dies zu einer Zeit, in der Chinas Null-Covid Politik ohnehin die Lieferketten maximal stört und für Verzögerungen und Ausfälle sorgt. Gleichzeitig beginnen die international bedeutenden Notenbanken wie die amerikanische FED und die europäische EZB tatsächlich damit, die seit Jahrzehnten zur Problembekämpfung bestehende Geldflutung angesichts des hartnäckigen Inflationsdrucks umzukehren und damit für weitere Belastungen zu sorgen.“
Stagflations-Gespenst
Auch die Unternehmen haben Sorgen, wie die im April gestartete Berichtssaison offenbart. Neben dem bekannten Problem der Zulieferung bei gleichzeitig steigenden Preisen deutet sich in ersten Bereichen bereits eine Schwächung der Kundennachfrage an. „Falls sich dies bewahrheitet, ist endgültig der Pfad Richtung Stagflation betreten“, glaubt der Fondsmanager. Die jüngst veröffentlichte Zahl zum Bruttoinlandsprodukt der USA im 1. Quartal 2022 war bereits überraschend negativ – d. h. die USA befinden sich schon in einer schrumpfenden Wirtschaft. Und weiter: „Die über das Wochenende publizierten Zahlen aus China deuten ebenfalls auf ein Rezessionsrisiko in der nach Kaufkraft größten Volkswirtschaft der Welt. Die Null-Covid-Strategie fordert ihren Tribut.“
Hoffnung bleibt
Böckelmann optimistisch: „Da ist zum einen die Chance, dass sich China den westlichen Impfstoffen öffnet, die Covid-Strategie lockert und sich damit der Lieferkettenstau in 1-3 Monaten auflösen könnte. Gleichzeitig besteht die Chance, dass die Wirtschaftsabschwächung dazu führt, dass sich der Inflationsdruck schnell mindert, sich gleichzeitig die Zinserhöhungsszenarien etwas abschwächen.“ Ferner seien die von den Regierungen eingeleiteten Fiskalpakete nicht zu unterschätzen – diese dürften über Jahre bis Jahrzehnte hinweg positive Effekte auf ausgewählte Branchen freisetzen.
Dennoch bleibt laut Böckelmann kurzfristig der Blick Richtung Russland entscheidend: „Hier scheinen aktuell die Wahrscheinlichkeiten zwischen weiterer Eskalation und De-Eskalation ausgeglichen – positive Impulse dürften aber schnell nicht zu erwarten sein.“ Vielleicht bringt der 9. Mai, Russlands gesetzlicher Feiertag „Tag des Sieges“, mit all seinen politischen Äußerungen neue Erkenntnisse.
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