Finanzen / Bilanzen

Zwei Jahre Condrobs Clearingstelle Gesundheit

Menschen ohne Krankenversicherung haben seit zwei Jahren mit der Condrobs Clearingstelle Gesundheit in München-Schwabing eine Anlaufstelle. Dass ein großer Bedarf besteht, zeigen die Zahlen. Klar wird durch sie aber auch: Das Projekt ist ein Erfolg.

Wer krank ist, geht zum Arzt. Ohne Angst vor einer anschließenden hohen Rechnung. Ohne Sorge, das Wenige, das man hat, zu verlieren. Ganz einfach, ohne Probleme.

Was für die meisten Menschen in Deutschland ganz normal ist – eine funktionierende Gesundheitsversorgung – stellt für andere eine fast unüberwindbare Hürde dar. Die Clearingstelle Gesundheit ist eine seit zwei Jahren von der Landeshauptstadt München finanzierte Anlaufstelle, in der Menschen ohne Krankenversicherung Beratung, Unterstützung und Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten. In mehr als 19 deutschen Großstädten und Landkreisen gibt es inzwischen solche Beratungsstellen. Die Münchner Stelle ist allerdings aktuell die Einzige in Süddeutschland.

Furcht vor den Folgen

Laut Statistischem Bundesamt (2019) leben in Deutschland mindesten 61.000 Menschen ohne Krankenversicherung. Humanitäre Hilfsorganisationen schätzen diese nur schwer zu erfassende Personengruppe auf mehr als eine halbe Million. In München geht man von mehreren Tausend aus. Trotz der allgemeinen Krankenversicherungspflicht in Deutschland scheitert der Zugang oftmals an fehlender Kenntnis eines, für Laien, undurchsichtigen Systems von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, komplexen Rechtskonstellationen der Aufnahmevoraussetzungen, aufenthaltsrechtlichen Problemen oder mangelnden finanziellen Mitteln.

In den meisten Fällen handelt es sich bei nicht Krankenversicherten um Menschen in Notlagen. Zu der Personengruppe gehören beispielsweise ehemals Selbstständige, die ihre privaten Krankenkassenbeiträge nicht mehr zahlen konnten, EU-Einwander*innen auf Arbeitssuche, Migrant*innen ohne geregelten Aufenthalt oder Wohnungslose, die aus allen sozialen Sicherungssystemen gefallen sind. „Wohnungslosigkeit, prekäre Arbeits- und Lebensweisen und oft auch ein Leben in irregulären oder unsicheren Aufenthaltsverhältnissen wirken krankheitsverstärkend und somit bedarfssteigernd. Zusammen mit der stetig bekannter werdenden Clearingstelle Gesundheit und vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, sind diese Faktoren u.a. ausschlaggebend für die kontinuierlich ansteigenden Klient*innenzahl“, so Dr. Sophia Berthuet, Abteilungsleitung Integrations- und frauen*spezifische Hilfen.

Meist wurden Arztbesuche auf Grund fehlender Absicherung und finanzieller Mittel lange aufgeschoben, Krankheiten wurden verschleppt oder haben sich chronifiziert. Diese Menschen kommen häufig erst in die Beratungsstelle, wenn sie bereits dringend medizinische Behandlungen benötigen.

Nachhaltige Absicherung

Um die Zielgruppe zu erreichen, arbeitet die Clearingstelle eng mit Anlaufstellen der ehrenamtlichen Gesundheitsversorgung, Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen zusammen. Das niederschwellige Beratungsangebot holt die Menschen dort ab, wo sie sind und wird, wenn nötig auch vor Ort, in Sammelunterkünften oder an Schlafstellen von Obdachlosen durchgeführt.

Schwerpunkt der vor zwei Jahren neu geschaffenen Beratungsstelle ist die nachhaltige Absicherung der Gesundheitsversorgung der Betroffenen durch Aufnahme in eine Krankenversicherung.

In den Beratungsgesprächen werden Ansprüche bei Krankenversicherungen im In- und Ausland oder bei Sozialleistungsträgern geprüft. „Das Projekt stellt für viele Menschen einen Rettungsanker dar, nach dem sie in einer Notsituation greifen können. Mittels einer Kombination aus Beratung, guten Kontakten zu Behörden, Krankenversicherungen und anderen Beratungsstellen sowie der Vermittlung zu Hilfsorganisationen, werden die Betroffen unterstützt und wenn möglich in die Krankenversicherung integriert“, erklärt Robert Limmer, Leitung der Clearingstelle Gesundheit.

Hohe Rückführungsquote in Krankenversicherung

Eine nachhaltige Lösung der gesundheitlichen Versorgung konnte für fast die Hälfte 48 Prozent der 390 seit Mai 2020 in die Beratung gekommenen Menschen gefunden werden.

„Im Vergleich zum Gründungsjahr 2020 verzeichneten wir in 2021 einen stetigen Anstieg an Beratung und Hilfesuchenden. Gemeinsam mit den hohen Quoten bei der Vermittlung zu Leistungsträgern, zeugt dies von einem dringenden Unterstützungsbedarf in einem komplexen Gesundheitssystem und der Tatsache, dass weitaus mehr Menschen ohne Krankenversicherung in München leben als man gemeinhin glauben möchte“, erläutert Sophia Berthuet. „Des Weiteren konnte in der Geburtshilfe eine Kooperation mit den München Kliniken ins Leben gerufen werden. Nicht zuletzt war die Münchner Clearingstelle Gesundheit treibende Kraft in der Organisation eines bundesweiten Netzwerk- und Arbeitszusammenschlusses von Clearingstellen und Stellen des Anonymen Krankenscheins mit regelmäßigen Treffen und thematischen Unterarbeitskreisen. Somit wirkt die Clearingstelle nicht nur an einem weitreichenden Wissenstransfer mit, sondern vertritt die Münchner Kommune und ihr erfolgreiches, modellhaftes Konzept auch bundesweit.“

Dank dieser hohen Vermittlungsquote wurde bisher nur etwas mehr als die Hälfte, des von der Landeshauptstadt München mit jährlich 500.000€ zur Verfügung gestelltem Gesundheitsfonds, ausgegeben. Zugute kommt dieser Fond denjenigen Münchner Bürger*innen, die nicht ins Krankenversicherungssystem integriert werden können, aber trotzdem dringend medizinische Versorgung benötigen und sich dies finanziell nicht leisten können. So wurden von den Geldern in den letzten zwei Jahren lebensnotwendige Krankenhausaufenthalte, Operationen, Facharztbesuche, Medikamente und Hilfsmittel zu den üblichen Sätzen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert.

Das zunächst auf drei Jahre befristetet Projekt wird im Herbst zur Entscheidung der Verstetigung dem Münchner Stadtrat vorgelegt. „Die hohe Vermittlungsquote von inzwischen 51 Prozent der Beratenen in die Krankenversicherung zeigt, wie effizient die Arbeit dieser spezialisierten Anlaufstelle ist und welche sozialen Folgekosten darüber eingespart werden können“, so Robert Limmer. „In einer so wohlhabenden Stadt wie München ist die Stadtgesellschaft gut beraten auch Verantwortung zu übernehmen für Bürger*innen die keinen Zugang zu den üblichen sozialen Hilfesystemen haben. Hinter diesen Zahlen stehen ja Menschen. Mit jeder Beratung, mit jeder finanzierten Behandlung, mit jeder Integration in eine Krankenversicherung haben wir das Leben von mindestens einem Menschen wieder deutlich lebenswerter gemacht. Eine Verstetigung der inzwischen etablierten Clearingstelle Gesundheit erscheint damit geboten.“ 

Presseinfos:

  • Die Clearingstelle Gesundheit wird von drei Mitarbeiter*innen des Vereins Condrobs e.V. seit Mai 2020 betrieben, einem Sozialpädagogen, einem Fachangestellten für Sozialversicherungen und einer halben VZE Verwaltungskraft.
  • 718 Beratungskontakte fanden seit Start der Clearingstelle statt. Davon 390 Clearingfälle.
  • Für 48% der Clearingfälle wurden Leistungsträger gefunden.
  • 148 Personen konnten dank Gesundheitsfond der Stadt München 477 medizinische Behandlungen in der Gesamthöhe von € 563.513,60 erhalten.
  • Der Antrag über die Verstetigung geht im Herbst in den Stadtrat.

Mehr zur Clearingstelle Gesundheit unter https://www.condrobs.de/einrichtungen/clearingstelle

Über den Condrobs e.V.

Condrobs hilft benachteiligten Menschen und ihren Angehörigen. Wir sind ein überkonfessioneller Träger mit vielfältigen sozialen Hilfsangeboten in ganz Bayern. Neben breit gefächerten Angeboten in der Prävention und Suchthilfe sind wir in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Migrationsarbeit tätig. Condrobs ist Ausbilder und bietet betreute Arbeitsplätze für Frauen* und Männer*, die nach einer schwierigen Lebensphase wieder ins Arbeitsleben zurückkehren wollen. In unserer Akademie finden Fachleute themenspezifische Fortbildungen. Weitere Informationen unter www.condrobs.de

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