Die Tötung von Schirin Abu Akle darf nicht straffrei bleiben
Unmittelbar nach der Tat hat RSF, wie auch viele andere Staaten und Organisationen, eine unabhängige internationale Untersuchung gefordert. Weder die Vereinten Nationen noch die USA – Abu Akle besaß die US-amerikanische Staatsbürgerschaft – haben eine solche eingeleitet. Die israelischen Behörden haben ihre eigene Untersuchung sehr frühzeitig, zwei Tage nach der Tat, für beendet erklärt.
„Derzeit sieht es so aus, als würde ein weiteres Mal die Tötung einer Journalistin vollkommen straffrei bleiben“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Für den Kampf um Gerechtigkeit für Journalistinnen und Reporter ist das ein herber Rückschlag. Wir müssen alles dafür tun, damit diese inakzeptable Tat nicht in Vergessenheit gerät. Die Länder, die eine Untersuchung gefordert haben, müssen Druck ausüben und dürfen sich nicht mit leeren Erklärungen abspeisen lassen.“
Augenzeugenberichte widersprechen offiziellen AussagenDie aus Jerusalem stammende Schirin Abu Akle war am 11. Mai durch einen Kopfschuss getötet worden, als sie über eine israelische Militäroperation in der Stadt Dschenin berichten wollte. Für mehrere anwesende Journalistinnen und Reporter gab es keinen Zweifel, dass die Journalistin durch die israelischen Streitkräfte getötet wurde. Die israelischen Behörden wiesen zunächst jede Verantwortung von sich und veröffentlichten ein Video, in dem von palästinensischen Terroristen die Rede war, die angeblich wahllos schießen würden. Später hieß es, Abu Akle sei in einem „intensiven Feuergefecht“ getötet worden. Der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz gab zu, dass er nicht wisse, wer für den tödlichen Schuss verantwortlich sei – es könne die palästinensische, „tragischerweise“ aber auch die israelische Seite gewesen sein.
Am 13. Mai kamen die israelischen Verteidigungsstreitkräfte in ihrer „ersten Untersuchung“ zu dem Schluss, dass es nicht möglich sei, die Quelle der tödlichen Schüsse eindeutig zu bestimmen. Das bestritt der palästinensische Chefankläger in seinem am 26. Mai veröffentlichten Bericht, in dem es heißt: „Die Art des Geschosses, die Waffe, die Entfernung, die Tatsache, dass es keine Sichtbehinderungen gab und dass Schirin Abu Akle eine Presseweste trug (…), lassen uns zu dem Schluss kommen, dass sie das Ziel eines Mordes war.“
Nachdem die Palästinensische Autonomiebehörde sich geweigert hatte, an einer gemeinsamen Untersuchung teilzunehmen, gab es auch keine weitere israelische Untersuchung mehr. Reporter ohne Grenzen hat von Beginn an eine unabhängige internationale Untersuchung des Todes von Abu Akle gefordert. Analysen unabhängiger Gruppen und MedienUnterdessen haben mehrere Organisationen eigene Analysen veröffentlicht. Die israelische Nichtregierungsorganisation B’Tselem veröffentlichte am 11. Mai ein Video, das beweisen soll, dass es sich bei der vom israelischen Militär verbreiteten Dokumentation palästinensischen Gewehrfeuers nicht um die Schüsse handeln könne, von denen einer Schirin Abu Akle in den Kopf traf. Am 14. Mai veröffentlichte das internationale Recherchenetzwerk Bellingcat die Ergebnisse einer Analyse der öffentlich zugänglichen Fakten. Giancarlo Fiorella, Leiter der Recherche, wies darauf hin, dass es vom Standort der israelischen Streitkräfte aus eine klare Flugbahn der Gewehrsalve gegeben haben könne und dass dieser Standort näher an der Stelle gelegen habe, an der Abu Akle erschossen wurde.
CNN kam nach der Befragung von Zeuginnen und Zeugen, einem Audioforensiker und einem Sprengwaffenexperten in einem am 26. Mai veröffentlichten Bericht zu dem Schluss, dass es in der Nähe von Abu Akle in den Momenten vor ihrem Tod keine aktiven Kämpfe und keine bewaffneten palästinensischen Militanten gab. Die Journalistin sei wahrscheinlich das Opfer eines „gezielten Angriffs der israelischen Streitkräfte“ geworden.
Vor wenigen Tagen versprach US-Außenminister Antony Blinken, die Verantwortlichen für den Tod von Schirin Abu Akle zur Rechenschaft zu ziehen. „Wir streben eine unabhängige, glaubwürdige Untersuchung an“, sagte Blinken. „Wenn diese Untersuchung stattfindet, werden wir den Fakten folgen, wohin auch immer sie führen. So einfach ist das.“
Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die Palästinensischen Gebiete auf Rang 170, Israel auf Rang 86 von 180 Staaten.
- Mehr zur Situation von Journalistinnen und Journalisten in Palästina: www.reporter-ohne-grenzen.de/palaestinensergebiete
- Mehr zur Situation von Journalistinnen und Journalisten in Israel: www.reporter-ohne-grenzen.de/israel
Reporter ohne Grenzen e.V.
Postfach 304108
10756 Berlin
Telefon: +49 (30) 60989533-0
Telefax: +49 (30) 2021510-29
http://www.reporter-ohne-grenzen.de
E-Mail: presse@reporter-ohne-grenzen.de