Gedenkstätte Sachsenhausen präsentiert volumetrisches Zeitzeugeninterview in Anwesenheit des Holocaust-Überlebenden Ernst Grube
Bei der heutigen Kick-off-Veranstaltung sagte Ernst Grube: „In der vielgestaltigen Erinnerungsarbeit waren und sind unsere Berichte als Überlebende der NS-Verfolgung ein wichtiger Beitrag. Diese unmittelbaren Zeugnisse werden mit unserem Ableben fehlen. Kann die neue volumetrische Darstellung unsere Erzählungen eindrücklicher dokumentieren und transportieren? Ich bin selbst sehr beeindruckt von der technischen Umsetzung dieses ersten Beispiels, das meine Verfolgung und die meiner Familie zum Inhalt hat. Jetzt bin ich neugierig und gespannt, welche Wirkungen es vor allem bei jüngeren Menschen haben wird, die sich in diese Geschichte hineinbegeben. Werden sie intensiver berührt werden, nachdenken und nachfragen?“
Der 1932 in München als Kind einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters geborene Ernst Grube hat das KZ-ähnliche Getto Theresienstadt überlebt. Im August 2019 wurde er mit Hilfe von 32 Kameras im volumetrischen Studio aufgenommen, während er dem damals 16-jährigen Schüler Phil Carstensen von seinen Erlebnissen im nationalsozialistischen Deutschland und seiner Deportation nach Theresienstadt erzählte. Als Zeitzeuge berichtet Grube seit vielen Jahren in Gedenkstätten, Schulen und Bildungseinrichtungen sowie in TV- und Rundfunkbeiträgen von der Verfolgung seiner Familie und setzt sich für eine gelebte Demokratie ein. Ernst Grube ist u. a. langjähriges Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau e.V. und Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten.
Oliver Schreer, Gruppenleiter „Immersive Medien und Kommunikation“ am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und technischer Leiter des Projekts, sagte: „Mit volumetrischem Video haben wir eine einzigartige Möglichkeit geschaffen, Zeitzeugeninterviews mit Holocaust-Überlebenden für nachfolgende Generationen zu bewahren und realitätstreu erfahrbar zu machen. Die von uns entwickelte leistungsstarke und vielseitig einsetzbare Technologie bietet ein enormes Potenzial für die Bildung und Erinnerungskultur. Wir stellen unsere VR Experience ‚Ernst Grube – Das Vermächtnis‘ erstmals der Öffentlichkeit vor. Ein begehbarer Film mit einem Holocaust-Überlebenden in dieser Form ist bisher weltweit einzigartig. Mit der Gedenkstätte Sachsenhausen haben wir den idealen Ort gefunden, um unser Virtual-Reality-Projekt zu zeigen. Gerade in Zeiten, in denen antisemitische Tendenzen wieder sichtbar werden, ist dies wichtiger denn je.“
Joachim Kosack, Geschäftsführer UFA und UFA Serial Drama, ergänzte: „Es gibt nicht mehr viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die vom grausamen Holocaust berichten können. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Erinnerungen für jüngere Generationen wachzuhalten. So war es das Ziel des Projekts ‚Zeitzeugen‘, das die UFA gemeinsam mit dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut umgesetzt hat, die Berichte über die Gräueltaten des Nationalsozialismus für nachfolgende Generationen zu dokumentieren und einen Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur zu leisten. Mit Hilfe der Technologie des volumetrischen Videos wurden die Erinnerungen des Holocaust-Überlebenden Ernst Grube festgehalten, indem er in einer einzigartigen Art und Weise im volumetrischen Studio der Firma Volucap GmbH in Potsdam-Babelsberg aufgenommen und aus dessen Lebensgeschichte ein begehbarer Film produziert wurde. Wir sind sehr stolz und dankbar, dass die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen nun unseren volumetrischen Film ‚Ernst Grube – Das Vermächtnis‘ der Öffentlichkeit zugänglich macht. Gerade jetzt, wo antisemitische Tendenzen wieder erschreckend sichtbar werden, ist es wichtiger denn je, darauf aufmerksam zu machen und wir freuen uns sehr, dass unsere VR Experience einen Meilenstein in der Aufrechterhaltung unserer notwendigen Erinnerungskultur setzen kann.“
Das im März 2022 in Kooperation mit INVR.Space fertiggestellte ca. 50-minütige VR-Zeitzeugeninterview mit Ernst Grube besteht aus fünf Episoden – vom Elternhaus in München bis in das Getto Theresienstadt. Nutzerinnen und Nutzer können an der Erzählung Grubes teilnehmen, als stünden sie ihm direkt gegenüber. Die fotorealistische dreidimensionale Darstellung des Zeitzeugen wird mit der Technologie des volumetrischen Videos erreicht. Aus der Videoinformation wird ein dreidimensionales Abbild von Ernst Grube berechnet, das direkt in eine virtuelle Welt integriert werden kann. Die einzelnen Stationen seines Lebens werden in einer virtuellen Umgebung bebildert und somit auf neue Weise erfahrbar.
Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, erläuterte: „Mit der Präsentation der VR Experience ‚Ernst Grube – das Vermächtnis‘ gibt die Gedenkstätte Sachsenhausen erstmals einer Virtual-Reality-Anwendung einen Raum. Wir erforschen derzeit in verschiedenen Projekten, wie sich digitale Anwendungen auf dem Gelände der Gedenkstätte einbinden lassen und ob dies das Lernen am historischen Ort unterstützt. Wir arbeiten an eigenen Anwendungen aus dem Bereich Virtual und Augmented Reality und werden diese bald testen. Durch digitale Technologien können Überlebende, die nicht persönlich vor Ort sind, ihre Verfolgungsgeschichte erzählen. Auch Gebäude, die heute nicht mehr existieren, könnten mit Hilfe von digitalen Anwendungen wieder sichtbar gemacht werden. Uns interessiert dabei, ob Besucherinnen und Besucher am historischen Ort digitale Technik überhaupt als sinnvolle Ergänzung betrachten.“
In einem Raum in der ehemaligen Häftlingswäscherei können gleichzeitig vier Personen an einem Kubus mit Hilfe von VR-Brillen die virtuelle Begegnung mit dem Zeitzeugen Ernst Grube dreidimensional und lebensgroß erfahren. Die Gedenkstätte bittet Nutzerinnen und Nutzer, im Anschluss an einer kurzen Online-Umfrage teilzunehmen, um Erkenntnisse über Interesse und Akzeptanz digitaler Technologien am historischen Ort zu gewinnen.
Die Präsentation kann vom 29. Juni bis 31. Oktober 2022 freitags von 12.00 bis 16.00 Uhr in der ehemaligen Häftlingswäscherei in der Gedenkstätte Sachsenhausen genutzt werden.
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