Forschung und Entwicklung

Neue „Entscheidungshilfe“ für CRISPR-Immunantwort

Freund oder Feind? Mit dieser Frage sehen sich Immunsysteme ständig konfrontiert. Sie müssen Eindringlinge ausfindig machen, ohne der zu schützenden Zelle zu schaden. CRISPR-Cas-Systeme erkennen Fremdkörper anhand ihrer Gensequenz. Doch was passiert, wenn Wirtszellen die gleichen genetischen Merkmale aufweisen? Ein Forschungsteam unter Federführung des Würzburger Helmholtz-Instituts in Kooperation mit der North Carolina State University (USA) hat nun einen Kontrollmechanismus für CRISPR-Systeme mit der Nuklease Cas13 identifiziert: Nur wenn die Menge an Fremd-RNA einen gewissen Schwellenwert übersteigt, lösen die Systeme eine umfassende Immunantwort aus. Diese Erkenntnis eröffnet neue Möglichkeiten für den Einsatz von CRISPR-Cas13 zur Behandlung von Erb- und Infektionskrankheiten. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler:innen jetzt in der Fachzeitschrift „Cell Host & Microbe“ veröffentlicht.

Fremdkörper vom Wirt zu unterscheiden, ist für Immunsysteme eine große Herausforderung. Erkennen sie einen Eindringling nicht, ist der Wirt einer potenziell tödlichen Infektion ausgesetzt. Stufen sie den Wirt selbst als Fremdkörper ein, kann eine verheerende Autoimmunreaktion die Folge sein. „Für die Behandlung von Infektions-, Erb- und Autoimmunkrankheiten ist es wichtig zu verstehen, wie Immunsysteme Entscheidungen treffen“, sagt Chase Beisel, korrespondierender Autor der Studie und Leiter der Abteilung „Synthetische RNA-Biologie“ am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg.

Drei goldene Regeln

Auch CRISPR-Cas-Abwehrsysteme, die natürlicherweise in Bakterien vorkommen und sie vor viralen Angriffen schützen, müssen regelmäßig entscheiden, ob sie eine Immunantwort auslösen oder nicht. Bei Systemen mit der Nuklease Cas13 äußert sich eine solche Abwehrreaktion in einem umfassenden Abbau von Ribonukleinsäure (RNA, von engl. ribonucleic acid), die Zelle wird in einen Ruhezustand versetzt. In dieser Umgebung kann sich das eindringende Virus nicht weiter vermehren, seine Ausbreitung wird eingedämmt. „Bisher wurde angenommen, dass die Immunreaktion bei CRISPR-Cas13-Systemen ausgelöst wird, sobald zwei Kriterien erfüllt sind: eine Übereinstimmung der Ziel-RNA mit der Leit-RNA des Systems und das Vorhandensein einer zusätzlichen flankierenden Gen-Sequenz“, erklärt Elena Vialetto, Doktorandin am HIRI und Erstautorin der Studie. „Dass auch die Konzentration der Fremd-RNA eine Rolle spielt, war völlig unerwartet.“ Diese zusätzliche „Entscheidungshilfe“ ermöglicht es, zwischen einer akuten und potenziell tödlichen Infektion und einer relativ harmlosen Infektion zu unterscheiden: „Zellen können also entscheiden, inwieweit eine Infektion eine Bedrohung darstellt“, fasst Vialetto zusammen. „Das ist eine bedeutende Erkenntnis, da einige Infektionen auch Vorteile für Bakterien bieten können. Beispielsweise gibt es bestimmte Eindringlinge, die Antibiotikaresistenzgene enthalten und sich nur in das Bakteriengenom integrieren, ohne die Zelle zu töten“, sagt Chase Beisel.

Neue Möglichkeiten für Therapien und Gen-Abschaltung

Die Nuklease Cas13 hat das Potenzial, künftig bei Virenerkrankungen oder zur Abschaltung unerwünschter Gene eingesetzt zu werden. „Es war immer ein Kuriosum, dass Cas13 in Bakterien durch die Spaltung sämtlicher RNA Ruhezustände auslöst, in menschlichen Zellen jedoch nur die Ziel-RNA spaltet. Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass die RNA-Konzentration etwas damit zu tun haben könnte“, sagt Vialetto. Beisel ergänzt: „Das stellt einen zusätzlichen Faktor dar, der bei der Anwendung von Cas13 zur Abschaltung von Genen berücksichtigt werden muss.“ Die Erkenntnisse des Forschungsteams helfen also dabei, die Nuklease besser zu verstehen, und schaffen so die Grundlage für innovative Therapiemöglichkeiten.

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden untersuchen, wie sich dieser Schwellenwert bei anderen CRISPR-Cas-Systemen auswirkt, die RNA erkennen. „Es gibt eine ganze Klasse von Systemen, die sogenannten Typ-III-Systeme, die RNA erkennen, dann aber auf andere Proteine angewiesen sind, um die RNA oder DNA zu spalten. Auch hier könnte die RNA-Konzentration einen großen Einfluss darauf haben, wann eine Immunantwort ausgelöst wird und wie das System zwischen gutartigen und gefährlichen Eindringlingen unterscheidet“, gibt Beisel einen Ausblick auf zukünftige Forschungsansätze.

Die Studie wurde aus Mitteln der Joint Programming Initiative on Antimicrobial Resistance (JPIAMR), der National Institutes of Health (NIH), des bayerischen Forschungsnetzwerks bayresq.net und im Safe Genes Program der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) gefördert.

Originalpublikation:

A target expression threshold dictates invader defense and prevents autoimmunity by CRISPR-Cas13. Vialetto E, Yu Y, Collins SP, Wandera KG, Barquist L, Beisel CL (2022). Cell Host & Microbe, DOI: https://doi.org/10.1016/j.chom.2022.05.013

Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung:

Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) wurde im Mai 2017 als gemeinsame Einrichtung des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) gegründet. Mit Sitz auf dem Campus des Würzburger Uniklinikums widmet sich das HIRI als weltweit erstes Institut seiner Art der Rolle von Ribonukleinsäuren (RNAs) in Infektionsprozessen. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden in einem integrativen Forschungsansatz neue Therapieansätze entwickelt und diese durch Entwicklung pharmazeutischer Anwendungsformen klinisch anwendbar gemacht. www.helmholtz-hiri.de

Über die Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH

Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern. Das HZI ist Mitglied im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF).Weitere Informationen: www.helmholtz-hzi.de

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