Energie- / Umwelttechnik

BEE: Legitimation des AKW-Stresstests hängt von Vollständigkeit der Grundannahmen ab – Einsparungen, Lastsenken, Verbrauchsverlagerungen und Erneuerbare wirken essenziell

Die vier Übertragungsnetzbetreiber werden in Kürze das Ergebnis des zweiten Stresstests für die Stabilität des Stromnetzes bekannt geben. Vor dem Hintergrund der im Atomgesetz verankerten Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke bei gleichzeitig angespannter Erdgas-Versorgungslage, andauernder Krise des französischen AKW-Parks sowie möglicher Versorgungsschwächen in Bayern sollen Risiken für die Versorgungssicherheit ermittelt und die Notwendigkeit eines Weiter- oder Streckbetrieb der restlichen AKW beurteilt werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) e.V. fordert angesichts der Tragweite der Entscheidung die Prüfung aller möglichen Optionen zur Gewährleistung von Netzstabilität und Versorgungssicherheit, v.a. auch die Berücksichtigung Erneuerbarer Energien.

„Die Wahrheit der Schlussfolgerungen hängt von der Wahrheit der Prämissen ab“, so BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter. „Das haben schon die Anhänger von Pythagoras klar erkannt.“ Beim Stresstest seien bestimmte Grundannahmen getroffen worden. Es stelle sich aber die Frage, ob alle zur Beurteilung der Gesamtlage notwendigen Maßnahmen beleuchtet worden seien. „Ein AKW-Weiter- oder Streckbetrieb wirft nicht nur erhebliche sicherheitstechnische und gesellschaftspolitische, sondern auch zentrale energiewirtschaftliche Fragen auf. Letztere müssen im Stresstest ausnahmslos alle beantwortet werden, um ihm die nötige Legitimation zu verschaffen“, fordert Peter.

Zu den relevanten Prämissen zählt der BEE sowohl die Einsparungen des Stromverbrauchs infolge hoher Stromkosten und der jüngst beschlossenen Einsparmaßnahmen sowie die Möglichkeit von Lastsenken durch zeitvariablere Öffnung öffentlicher Gebäude wie auch ein kurzfristiges «Demand-Side-Management», also eine kurzfristige Verbrauchsverlagerung auf Basis von Marktanreizen, und den zeitweisen Einsatz von Gaskraftwerken im Süden, um in starken Stromlastzeitfenstern im Winter Strom zu produzieren. „Gerade auch die Beiträge der Erneuerbaren Energien müssen in Zeitfenstern mit hoher Stromlast ausreichend berücksichtigt werden. Neben der Bioenergie können auch die wetterabhängigen Erneuerbaren einen starken Beitrag leisten“, so Peter. In mehr als 95 Prozent der Hochlastzeitfenster – mit einer Stromlast größer 76 Gigawatt (GW) – haben Wind und Sonne in den letzten 3 Jahren mehr als 8 GW Leistung in Deutschland geliefert. „Die Erneuerbaren liefern immer mehr stabile Leistung für unsere Versorgungssicherheit. Das sollte schon jetzt umfassend genutzt werden“, so Peter.

Wichtig sei auch, heute schon die folgenden Winter mitzudenken, um eine Wiederholung der derzeitigen Krisenlage zu vermeiden. „Wird die Bioenergie mit höherer Leistung bei gleichem Biomasse-Input flexibel eingesetzt, erhöht sich die gesicherte Leistung deutlich, wie unsere Strommarktdesignstudie gezeigt hat. Auch die Geothermie muss als Wärme- und Stromquelle massiv ausgebaut werden. Und auch eine höhere Wasserkrafteinspeisung, der Umbau der vorhandenen Gasleitungsstruktur für den Gasfluss von West nach Ost sowie „Vor-Ort“-Gasspeicher (Röhrenspeicher), die als eine Art Puffer rund 10 bis 15 Volllaststunden an jedem Standort gewährleisten, sind zu berücksichtigen“, fordert Peter.

Zudem müsse beachtet werden, dass die mangelnde Flexibilität von Atomkraftwerken bei einer Laufzeitverlängerung das Marktumfeld für Erneuerbare drastisch verschlechtern könne. „Vor allem die deutliche Zunahme von niedrigen bzw. negativen Strompreisen kann den Ausbau der Erneuerbaren begrenzen. Auch das hat die BEE-Strommarktdesignstudie gezeigt und sieht ein dezentrales, auf heimischen Erneuerbaren Energien, Speichern und Sektorenkopplung beruhendes Stromsystem ökonomisch klar im Vorteil“, bekräftigt Peter.

„Ein Stresstest ist also eine vielschichtige Angelegenheit, dessen Grundannahmen entscheidend auf das Ergebnis einwirken und dessen Ergebnis erhebliche energiewirtschaftliche, aber auch gesellschaftspolitische Folgen haben kann. Vor einer möglichen Laufzeitverlängerung müssen alle anderen Optionen sorgfältig geprüft und in Betracht gezogen werden, um die notwendige und breit getragene Energiewende auch in Krisenzeiten zu beschleunigen und eine dauerhaft sichere, bezahlbare und saubere Energieerzeugung zu gewährleisten“, so Peter abschließend.

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