„Geschmack löst sehr intensive Gefühle aus“
Herr Dr. Sichau, was darf es zum Mittagessen sein: Spätzle oder Sushi?
Da ich selbst nicht aus Schwaben stamme, sind beides für mich „fremdartige“ Gerichte. Doch an Spätzle habe ich mich mittlerweile schon mehr gewöhnt. Daher: Spätzle! Und diese dann bitte sehr gerne klassisch mit Linsen und Würstchen, und selbstverständlich einem Schuss Essig.
In der neuen Sonderausstellung dreht sich alles um Geschmacksentscheidungen – nicht nur beim Essen. Woher stammt die Idee dazu?
Als Ausstellungsteam starteten wir im Sommer 2019 die Suche nach neuen, spannenden Themen für unsere Sonderausstellungsfläche. Die Anregung dazu fanden wir nach einem Griff in die kleine, aber feine experimenta-Bibliothek. Dort stand zufällig ein Buch zum Thema Geschmack, das uns fesselte. Es war nicht unsere einzige Ausstellungsidee, aber je mehr wir uns damit beschäftigten, desto mehr fand es unseren Geschmack.
Was reizte Sie am Thema Geschmack so sehr, dass Sie dazu eine ganze Ausstellung entwerfen?
Geschmack zeichnet sich erstens durch seine enorme Vielseitigkeit und zweitens durch seine Stärke aus. Geschmack ist so alltäglich – und wird doch selten wissenschaftlich thematisiert. Was ist biologisch bestimmt? Wie prägen Erziehung, Umwelt und Kultur unseren Geschmack? Was machen die digitalen Medien mit ihren Likes und Bewertungsportalen aus unserem Geschmack? Das sind hochspannende Fragen und sie machen das Thema unglaublich vielseitig. Und der zweite Aspekt tritt dann noch hinzu: Geschmack ist einfach stark! Er löst sehr intensive Gefühle aus – sei es pure Freude oder auch tiefen Ekel. Das zeigt, wie sehr Geschmack in uns allen steckt.
Im Konzept der „Geschmacksfragen“ spielen Mitmachstationen eine wichtige Rolle. Wie entstehen eigentlich aus Ideen originelle Exponate?
Für uns in der experimenta steht am Anfang immer die Frage: Was können Besucherinnen und Besucher tatsächlich tun? „Tun“ meint mehr als Knöpfedrücken. Also: Wie können wir unsere Gäste animieren, selbst Dinge herausfinden zu wollen? Wir müssen ihnen nicht etwas erklären, für sie aufdecken oder ihnen zeigen – wir wollen sie zu Forscherinnen und Forschern machen! Lust und Freude am Entdecken zu wecken, das ist die Kunst. Dieser Wechsel der Perspektive ist das A und O bei der Entwicklung von Mitmachstationen. Ist das verinnerlicht, wird vieles ganz leicht.
Was ist das Besondere an der Ausstellung? Was können die Besuchenden mit nach Hause nehmen?
Die Besonderheit ist das sich herausbildende persönliche Geschmacksprofil. Die vielen einzelnen Entscheidungen, die ich in der Ausstellung treffe, werden am Ende zusammengefasst, dargestellt und ausgewertet. Besucherinnen und Besucher können selbst ihre Geschmacksprofile miteinander vergleichen. Und sie können ihre Daten zur wissenschaftlichen Forschung spenden – selbstverständlich in völlig anonymer Form.
Sie arbeiten im Rahmen der Ausstellung mit Forscherteams zusammen. Welche Erkenntnisse können diese aus den Besucherdaten ziehen?
Es entsteht zunächst an unseren Stationen durch die vielen experimenta-Besucherinnen und Besucher eine große Datenmenge – weit mehr als normalerweise in einem Laborversuch. Dann stehen Fragen im Raum: Bestätigen diese Daten bisherige Vermutungen und Hypothesen? Was zeigt sich neu und anders, wenn viele mitmachen? Darüber hinaus gibt es eine zweite Ebene: Zeigen sich in der Gesamtheit aller Daten neue, bislang nicht vermutete Zusammenhänge. Was haben Geschmacksurteile an Station A mit Geschmacksurteilen an der Station B zu tun? Gar nichts – oder doch sehr viel? Wir sind offen und gespannt auf die Antworten. Und wie in jedem wissenschaftlichen Experiment können wir die Ergebnisse zu Beginn noch nicht vorhersehen.
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