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„Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport“

Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) muss sich erneut mit schweren Vorwürfen zum Umgang mit sexuellem Missbrauch auseinandersetzen. Jan Hempel, einer der besten deutschen Wasserspringer der letzten Jahrzehnte, spricht in der neuen ARD-Dokumentation “Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport” (Samstag, 20. August, 22:40 im Ersten und schon ab Donnerstag, 18. August, in der ARD Mediathek) von Hajo Seppelt und seinem Team erstmals über schwerste sexuelle Übergriffe in der Jugendzeit durch seinen Trainer.

„Ich bin von meinem Trainer missbraucht worden. Er hat eigentlich keinen Zeitpunkt ausgelassen, um seinen Wünschen freien Lauf zu lassen“, sagt Hempel. Es habe mit Anfassen begonnen, „bis er mich dann später täglich zu sexuellen Handlungen genötigt hat“, erinnert sich Hempel: „Ich weiß bloß, dass man das dann am Ende über sich ergehen ließ, weil er eben solche Dinge sagte wie: ‚Wenn du das machst, dann hast du heute Nachmittag frei.‘“ Nun will Hempel nicht mehr schweigen: „Ich glaube, man ist es anderen auch für die Zukunft schuldig, dass man darüber spricht.“

Hempel sagt, er sei elf Jahre alt gewesen, als sein damaliger Trainer Werner Langer ihn zum ersten Mal missbrauchte. 14 Jahre lang, bis 1996, soll der Missbrauch angedauert haben. Hempel sagt, es sei zu regelmäßigen Vergewaltigungen gekommen, unter anderem während der Olympischen Spiele 1992 in Barcelona, unmittelbar vor dem Wettkampf. Zu den Vorwürfen kann sich Langer nicht mehr äußern, er nahm sich 2001 das Leben.

Die ARD-Dokumentation beleuchtet die Folgen der Missbrauchsvorwürfe, die zu den massivsten gehören, die ein deutscher Weltklasse-Sportler je öffentlich gemacht hat. Laut Hempel, der nach eigener Darstellung die Verbandsspitze 1997 von den Vorgängen unterrichtet hatte, hat sich der DSV nie substanziell mit den Vorwürfen auseinandergesetzt. Der DSV habe sich damals unter dem Vorwand ‚Stasi-Vergangenheit‘ von Langer getrennt.

“Alle haben geschwiegen, bis heute”, sagt Hempel. Konkret wirft er dem langjährigen DSV-Top-Funktionär Lutz Buschkow vor, dazu beigetragen zu haben, dass sein Missbrauchsfall nie aufgearbeitet wurde und Lehren für die Zukunft gezogen wurden. Ein weiterer Zeitzeuge bestätigt dies. Buschkow hat den DSV lange als Leistungssportdirektor angeführt und ist heute als Bundestrainer Wasserspringen angestellt.

Auf eine ARD-Anfrage nach einer Stellungnahme antwortete Buschkow nicht. Die aktuelle DSV-Führung gab an, von den Vorwürfen Hempels erst durch die ARD erfahren zu haben.

Weitere Betroffene berichten in dem ARD-Film über verschiedene Fälle und Ausprägungen der sexualisierten Gewalt im deutschen Schwimmsport – etwa drei ehemalige Schwimmerinnen, die von ihrem Trainer im Verein missbraucht wurden. „Seine Hände waren erst auf dem Badeanzug, dann unter dem Badeanzug, dann im Intimbereich, an den Brüsten, überall“, sagt eine der Frauen. Der Trainer, der auch Jugendkader des DSV betreute, wurde wegen jahrelangen Missbrauchs junger Schwimmerinnen zu einer mehr als vierjährigen Haftstrafe verurteilt. „Er hat einfach vor niemandem haltgemacht“, sagt eines der Opfer.

Manche Begebenheiten reichen bis in die jüngste Vergangenheit. So brachten zwei weibliche Mitglieder der DSV-Delegation während der Olympischen Spiele 2021 in Tokio intern zur Anzeige, dass eine verbandszugehörige männliche Person ihnen gegenüber mehrfach verbal sexuell übergriffig geworden sei.

Obwohl die DSV-Präventionsbeauftragte nach ARD-Informationen Konsequenzen gefordert hat, sei nach Eindruck der Betroffenen nichts passiert. Auf ARD-Anfrage erklärt der DSV, im Fall Tokio liege lediglich “gegebenenfalls” ein Verstoß gegen Good-Governance-Richtlinien vor. Der Mann, so heißt es, werde derzeit nicht bei DSV-Maßnahmen eingesetzt. Nach ARD-Informationen wurde er aber erst kürzlich wieder mit Wissen des DSV für einen Einsatz bei einer Schwimmveranstaltung eingeplant. Mittlerweile liegt der Fall bei der Ethik-Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes.

Eine Person aus dem Führungszirkel des Verbandes, die anonym bleiben möchte, bezeichnet den aktuellen Umgang der DSV-Spitze mit dem Thema sexueller Missbrauch als „Augenwischerei und Fassade“. Der DSV sagt zu diesem Vorwurf: Der amtierende Vorstand „versichert, dass jeglichen Meldungen im Bereich der sexualisierten Gewalt seit dessen Amtsbeginn aufgenommen und mit großem Engagement […] gemäß des Präventionskonzeptes bearbeitet wurden.“

Der DSV sah sich in jüngster Vergangenheit mehrfach dem Vorwurf ausgesetzt, Missbrauchsfälle nicht adäquat aufgearbeitet zu haben. So auch im Fall des ehemaligen Freiwasser-Bundestrainers Stefan Lurz, der mittlerweile wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt ist. Das zuständige Amtsgericht Würzburg bestätigte dem ARD-Team, dass Lurz laut Bewährungsauflagen derzeit „jegliche berufliche und ehrenamtliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Schwimmsport“ zu unterlassen habe. Allerdings zeigen in der Dokumentation dem Filmteam zugespielte Aufnahmen Lurz, als er auf dem Gelände und in Räumlichkeiten des Vereins Würzburg 05 tätig ist. Internen Unterlagen zufolge ist er dort mittlerweile als kaufmännischer Mitarbeiter angestellt. Der Verein wollte auf ARD-Anfrage zum Fall Lurz nicht Stellung beziehen.

Die komplette Dokumentation gibt es ab 18. August in der ARD Mediathek (www.ardmediathek.de) zu sehen sowie am 20. August ab 22.40 Uhr im Ersten.

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