Coface-Studie: Die Zahlungsmoral lässt nach
von den befragten Unternehmen haben 71% ihren Kunden in den vergangenen 12 Monaten Zahlungsziele eingeräumt. Zum selben Zeitpunkt des Vorjahres waren es noch 74%. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung sind Unternehmen, die überwiegend in Deutschland tätig sind. Von diesen bieten nur noch 68% Zahlungsziele an – während es bei exportorientierten Firmen ganze 81% sind. Eine Erklärung für dieses Phänomen könnten die längeren Lieferzeiten ins Ausland sein. „Man möchte ausschließen, dass die Rechnung den Kunden schneller erreicht als die Ware“, sagt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. „Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anspannung leicht gestiegen. Die Unternehmen bleiben wachsam und versuchen nach wie vor, möglichst früh an ihr Geld zu kommen.“ Indiz dafür bleiben die kurzen Zahlungsfristen, die weiterhin die deutsche Unternehmenslandschaft dominieren. 90% fordern ihr Geld im Jahr 2022 innerhalb von 60 Tagen. Die durchschnittliche Lieferantenkredit-Laufzeit beträgt wie bereits im Vorjahr 33 Tage. Zum Vergleich: In China betrug die Zahlungsfrist bei der letzten Befragung im Schnitt 77 Tage.
Groß- und Einzelhandel und Papierbranche ziehen Schrauben enger
Um jeweils 6 Tage wurden die Zahlungsfristen im Groß- und Einzelhandel sowie im Papier- und Verpackungssektor im Vergleich zum Vorjahr verkürzt. „Gerade die Papier- und Verpackungsindustrie hat als ohnehin energieintensive Branche auch mit gestiegenen Rohstoffpreisen, beispielweise für Holz, Kartonagen oder Altpapier zu kämpfen, wie die Insolvenz des Toilettenpapierherstellers Hakle verdeutlicht. Hier möchte man jetzt offenbar die eigene Liquidität früher sicherstellen“, sagt Christiane von Berg. Deutlich mehr Zeit zur Begleichung von Rechnungen haben 2022 die Kunden im Bereich Agrar- und Lebensmittel, hier verlängerte sich die Zahlungsfrist um mehr als eine Woche auf 36,2 Tage (+8,4 Tage). Die mit Abstand großzügigste deutsche Branche ist der erstmals in die Auswertung eingeflossene Finanzsektor mit 67 Tagen.
Wieder mehr Zahlungsverzögerungen – Pharma-Chemie an der Spitze
Die Zahlungsmoral von Kunden deutscher Firmen hat sich 2022 wieder verschlechtert. Im vergangenen Jahr war der Anteil von Unternehmen, die Zahlungsverzögerungen erlebten, noch von 68% (2020) auf 59% zurückgegangen. In der aktuellen Befragung geben nun 65% (+6 Pp.) an, in den vergangenen 12 Monaten betroffen gewesen zu sein. In 10 der 13 untersuchten Branchen berichten mehr Firmen von Zahlungsverzögerungen, lediglich in der Textil- und Bekleidunsindustrie (61%; -9 Pp.) sowie in der Holzbranche (57%; -1 Pp.) verbesserte sich die Zahlungsdisziplin. „Dennoch ist die Zahlungsmoral insgesamt weitaus besser als vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Denn 2019 berichteten noch 82% der befragten Unternehmen von Zahlungsverzögerungen“, sagt Christiane von Berg. „Spitzenreiter“ ist 2022 der Pharma-Chemie-Sektor, wo drei Viertel (76%) der Befragten von Zahlungsverzögerungen betroffen waren – ein Plus von 21 Prozentpunkten gegenüber 2021. Die Dauer des durchschnittlichen Zahlungsverzugs stieg zwar 2022 um einen Tag auf 28,7 Tage. Dennoch ist dies der zweitniedrigste Wert seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2016.
Pessimisticher Blick in die Zukunft
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Perspektive waren die Unternehmen noch nie so pessimistisch: 2023 erwarten 38% der Umfrageteilnehmer eine Verschlechterung ihrer Geschäftslage. Demgegenüber stehen 14%, die für 2023 optimistisch sind – eine Bilanz von -24 Saldenpunkten. Die übrigen Befragten blicken neutral in die Zukunft. Getrübte Aussichten sind in nahezu allen untersuchten Bereichen festzustellen. Die Holzbranche ist am skeptischsten, was ihre geschäftliche Zukunft angeht (-60 Sp.), gefolgt von der Pharma-Chemie-Branche (-41 Sp.), dem Baugewerbe (-39 Sp.) und dem Groß- und Einzelhandel (-37 Sp.). Diese Bereiche scheinen am meisten unter der Dürre in Deutschland, den stark steigenden Rohstoff- und Verbraucherpreisen sowie den Engpässen in der Lieferkette zu leiden. Die einzigen Branchen, die insgesamt optimistischer auf das kommende Jahr blicken, sind die Informations- und Kommunikationsbranche sowie der Maschinenbau.
Welche Altlasten bleiben aus der Coronakrise?
Nach zweieinhalb Jahren Pandemie und mitten im Ukraine-Krieg steuert Deutschland geradewegs auf eine Rezession zu. Zwei spannende Fragen lauten: In welchem Zustand werden deutsche Unternehmen in diese schwierigen Zeiten gehen? Und welche Altlasten bleiben aus der COVID-19-Krise? In den vergangenen 12 Monaten haben noch 30% der Umfrageteilnehmer staatliche Coronahilfen in Anspruch genommen (gegenüber 48% im Jahr 2021). Die beliebteste Maßnahme war auch 2022 das Kurzarbeitergeld, das 75% (-13,8 Pp. gegenüber 2021) der Teilnehmer, die staatliche Unterstützung in Anspruch genommen haben, beantragten. Im Vergleich zum letzten Jahr wurden Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stärker nachgefragt (29%; +7,8 Pp.) und auch die Überbrückungshilfen des Bundes wurden deutlich häufiger genutzt. Von diesen Maßnahmen müssen nur die Darlehen zurückgezahlt werden. „Im Falle der KfW-Darlehen gibt es maximal zwei tilgungsfreie Jahre, bevor das Unternehmen mit der Rückzahlung des Darlehens beginnen muss. Das bedeutet, dass für viele Unternehmen die Rückzahlungszeit jetzt beginnt, wo die wirtschaftlichen Aussichten sehr pessimistisch sind. Dies könnte zu einem spürbaren Anstieg der Zahlungsverzögerungen im Jahr 2023 führen“, sagt Christiane von Berg.
Über die Umfrage
Die aktuelle Ausgabe der Coface-Studie zu Zahlungserfahrungen von Unternehmen in Deutschland wurde im Juli und August 2022 durchgeführt, 1.070 Unternehmen aus mehr als 13 breit gefächerten Branchen nahmen an der Befragung teil.
Die gesamte Studie und weitere Grafiken HIER zum Download.
In einem Online-Seminar erläutert Volkswirtin Christiane von Berg am Donnerstag, 15.09.2022 die Ergebnisse der Studie. Zur Anmeldung
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