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„Der Wissenschaftsjournalismus muss selbstkritisch über eigene Grenzen nachdenken.“ – Im Gespräch mit dem Wissenschaftsjournalisten Hans Böhringer

Nachwuchstalente mit naturwissenschaftlicher, mathematischer oder technischer Expertise werden an der Deutschen Journalistenschule (DJS) besonders unterstützt: Die Klaus Tschira Stiftung fördert im Rahmen ihrer „Tiefgang”-Talentförderung seit 2018 Teilnehmende der Lehrredaktion während ihrer 15-monatigen Ausbildungszeit an der DJS. In dieser kleinen Serie berichten Tiefgang-Absolvent:innen über ihren Weg in den Wissenschaftsjournalismus.

Nach seinem Physikstudium hat Hans Christoph Böhringer von November 2020 bis März 2022 die Deutsche Journalistenschule in München (Jahrgang 59K) besucht. Er schrieb seither für das Ressort Natur und Wissenschaft sowie das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und für das Online-Magazin Krautreporter. Heute arbeitet er als freier Wissenschaftsjournalist und erzählt uns im Gespräch von seinem Weg und seinen Zukunftsplänen.  

Herr Böhringer, wollten Sie schon immer Journalist werden?

Interesse am Schreiben hatte ich schon immer, aber bis zum Ende meines Masterstudiums dachte ich, dass ich der Wissenschaft treu bleibe. In der Physik kann man das Schreiben leider nicht ausleben, auch wenn ich mich in dem ein oder anderen Laborbericht schon ein bisschen verkünstelt habe. (lacht) Dann merkte ich aber, dass ich mich nicht mehr jahrelang in ein einziges Thema graben möchte, sondern lieber verschiedene Themen bearbeite. Deswegen habe ich in den letzten Monaten meines Studiums an unserer Unizeitung mitgearbeitet und danach für eine Lokalzeitung geschrieben.

Während ich im Physik-Studium das Gefühl hatte, dass das, was man noch nicht weiß, ständig wächst, war es motivierend, im Journalismus ein neues Handwerk zu lernen und das Gefühl zu haben, gleich schnelle Fortschritte zu machen.

Wie haben Sie den Wechsel von Wissenschaftler zu Journalist erlebt?

Ich habe mich gesorgt, ob mein Schreiben gut genug ist und ob ich das Zeit-Management meistern werde. Gefragt habe ich mich auch, ob ich den richtigen Hintergrund habe. Später habe ich herausgefunden, dass einem jeder sagt, man sei genau richtig im Wissenschaftsjournalismus, wenn man Physik studiert hat.

Wie haben Sie sich und wie hat sich Ihr Schreiben im Laufe der DJS-Ausbildung verändert?

Ich habe gemerkt, dass ich noch zu verkrampft schreibe, das hat sich mit der Zeit verbessert. Am schwersten ist es, den richtigen Ton und die richtige Tiefe zu finden, wenn ich über Physik-Themen schreibe. Hier habe ich die wissenschaftliche Brille auf und arbeite mich dann sehr tief ein. Die vielen Einzelheiten hemmen mich schließlich beim lockeren Schreiben. Deswegen dachte ich eine Zeit lang, dass ich lieber über Pferderennen schreibe, weil ich darüber noch gar nichts weiß und mich nicht in technischen Details verlieren kann.

Wie haben Sie die DJS-Ausbildung während der Corona-Pandemie erlebt?

Der erste Ausbildungsblock zu Print- und Online-Journalismus fand zu drei Vierteln im Home Office statt. Die späteren Blöcke zu Audio und Fernsehen haben enorm davon profitiert, dass sie wieder in Präsenz durchgeführt werden konnten. Man schreibt schon andere Texte, führt andere Interviews, wenn man vor Ort zusammenkommt. Was im Home Office oft verloren geht, ist die menschliche Ebene, weil man sich sehr darin verkriechen kann, nur mit Experten über Zoom zu sprechen und Paper zu lesen. Daher lohnt es sich immer, bei allen Themen, rauszugehen und Menschen zu treffen.

Für eine Recherche zur Flut im Ahrtal haben Sie damit gerungen, wie viel Raum Sie menschliche Emotionen in wissenschaftlichen Texten lassen. Wie haben Sie diese Frage am Ende für sich beantwortet?

Am Anfang wollte ich nur diskutieren, wie man hochwasserresilient wieder aufbauen kann. Dann hatte ich jedoch Kontakt zu Forschenden in der Region, die auch persönlich von der Flut betroffen waren, beispielsweise, weil sie ihr Haus verloren hatten. Auf diese habe ich mich dann konzentriert, weil mir daran gelegen ist, Wissenschaft sowie die Wissenschaftlerin nahbar zu zeigen, nicht in irgendeinem stillen Kämmerchen.

Was war Ihr erster Erfolg als Journalist? Worauf sind Sie besonders stolz?

Ich bin schon immer zufriedener gewesen mit den Arbeiten, die im Team entstanden sind. Der DJS-Podcast über Aktienhypes auf Social Media, den wir mit dem Bayerischen Rundfunk produzieren und ab September ausstrahlen, ist für mich ein tolles Projekt gewesen.

Zufrieden bin ich auch mit meinem Interview mit dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber über Kipp-Punkte im Erdsystem, bei dem ich viel gelernt habe. Das fand im Rahmen meines Praktikums im Ressort Natur und Wissenschaft der FAZ statt, und es war sehr spannend zu ergründen, wie sich dieses Forschungsfeld entwickelt hat, weil diese Kipp-Punkte ja oft in politischen Debatten eine wichtige Rolle spielen.

Wie haben Sie das Miteinander der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften in der DJS-Ausbildung erlebt?

Die Schülerinnen und Schüler aus den anderen Disziplinen haben sich oft schon intensiver mit politischen Aspekten von Sprache auseinandergesetzt. Da waren meine Gedanken und Einwände bei Diskussionen rund ums Gendern, Diversität oder Repräsentation sicher anfangs etwas unkonventionell.

An manchen Stellen habe ich sehr davon profitiert, einen naturwissenschaftlichen Hintergrund zu haben. Nicht nur im reinen Wissenschaftsjournalismus. Es ist schon eine andere Herangehensweise an Themen, sei es nur, dass man auf andere Metaphern kommt, wenn man Physik studiert und nicht Germanistik.

Welche ist die intensivste Erinnerung an die DJS-Ausbildung?

Die Arbeit an unserem DJS-Magazin lag mitten in einem der Corona-Lockdowns. Ich erinnere mich an sehr herausfordernde Abstimmungen in der Zusammenarbeit. Die zweite Erinnerung ist der Fernseh-Kurs. Da hatte ich vorher überhaupt keine Berührungspunkte, und nach diesen zwei Wochen denkt man ganz euphorisch, dass man direkt Beiträge für die Tagessschau drehen kann. (lacht) Da wurde deutlich, in welch kurzer Zeit man in der DJS-Ausbildung viel Handwerk erlernt.

Was möchten Sie in Zukunft noch einmal ausprobieren?

Die Idee eines größeren Digital-Projekts reizt mich sehr. Von der Financial Times gab es vor einer Weile mal ein Klimawandel-Politik-Entscheidungsspiel, wo man per Multiple-Choice-Verfahren politische Entscheidungen trifft und schließlich die Konsequenzen der Entscheidungen erfährt. Also ein Spiel, bei dem Gamification nicht nur ein plumper Trick ist, um das Publikum „bei der Stange zu halten“, sondern wesentliches Wissen vermittelt.

Welche Vision haben Sie für den Wissenschaftsjournalismus?

Ich bin sehr für das Aufbrechen von Ressorts und finde die Schnittpunkte verschiedener Themen am interessantesten. Deswegen wünsche ich mir eine stärkere Entwicklung hin zu einem Wissenschafts-Politik-Teil oder zu einem Wissenschafts-Feuilleton und so weiter.

Allgemein sollte der Wissenschaftsjournalismus auch selbstkritisch über seine eigenen Grenzen nachdenken. Wir sind sehr abhängig von den Expertinnen und Experten. Ich versuche im Hinterkopf zu behalten, dass ich nicht selbst der Experte bin für etwas, sondern dass es mein Job ist, die Informationen zu ordnen und die richtigen Fragen zu stellen.

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