Herzbericht: Sterbefälle wegen Herzkrankheiten leicht rückläufig, weniger Krankenhausaufnahmen in Covid-Pandemie
Nach den Zahlen des neuen Herzberichts konnten im Zeitraum 2018 bis 2020 die Sterbefälle durch KHK um 6,0 % von 140,3 auf 131,9 Verstorbene pro 100.000 Einwohner (EW) und bei Herzschwäche um 11,8 % von 41,2 auf 36,3 Verstorbene pro 100.000 EW gesenkt werden. „Für diese positive Entwicklung dürften insbesondere Faktoren wie eine verbesserte Prävention, Diagnostik und Therapie ursächlich sein, im Fall der Herzschwäche etwa lebensverlängernde Effekte von Medikamenten und Schrittmacher-Therapien, worauf auch die Entwicklung der Sterblichkeitsrate der Vorjahre hindeutet“, so Voigtländer. „Allerdings könnte die Covid-19-Pandemie 2020 als neu hinzugekommene Todesursache auch beeinflusst haben, dass andere Sterblichkeitsursachen seltener angegeben wurden.“ Am deutlichsten zeigte sich die Senkung der Mortalität von 2018 zu 2020 bei den Herzrhythmusstörungen, die um 14 % von 32,7 auf 28,1 Verstorbene pro 100.000 EW gesunken ist (Sterbefälle durch Herzrhythmusstörungen insgesamt in 2020: 27.369).
Hohe Last an Begleiterkrankungen: mehr Fokus auf Einhalten der Therapieziele
Die positive Entwicklung darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass die KHK/akuter Herzinfarkt und Herzschwäche immer noch die häufigsten Todesursachen und maßgeblich für den Plötzlichen Herztod verantwortlich sind, wie Voigtländer, Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt, betont. Hinzu kommt, dass beide Herzkrankheiten in aller Regel mit Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Adipositas oder auch Vorhofflimmern einhergehen, was der aktuelle Herzbericht anhand von Zahlen aus der kardiologischen und hausärztlichen Versorgung dokumentiert. „Eine hohe Last an Begleiterkrankungen stellen wir besonders bei der Herzschwäche fest, die sich auch als Endstadium oder Syndrom anderer Herz-Kreislauf-Krankheiten bezeichnen lässt; am häufigsten sind insbesondere hoher Blutdruck, Nierenschwäche, Diabetes und Übergewicht Nebenerkrankungen der Herzschwäche“, erklärt Voigtländer. Von „essenzieller Bedeutung für ein Eindämmen der Herzschwäche“ sei daher ein konsequenteres präventives und therapeutisches Vorgehen eben gegen diese Begleiterkrankungen, allen voran den hohen Blutdruck, der laut Herzbericht häufigsten Begleitdiagnose von Herzinsuffizienz (78,4 %) und von KHK (59,5 %). Hoher Blutdruck ist wie Diabetes mit einem hohen Schadenspotenzial für Herz und Gefäße (Schlaganfall und Herzinfarkt) verbunden. In der therapeutischen Versorgung der Herzschwäche sehen die Autoren des Herzberichts Lücken beim Einhalten von Therapiezielen (Adhärenz) etwa bei der medikamentösen Herzinsuffizienz-Therapie mit RAAS-Hemmern. Wie enorm wichtig aber die konsequente Behandlung der Komorbiditäten durch Senkung des hohen Blutdrucks oder des erhöhten Blutzuckerspiegels (Diabetes) ist, führte die Covid-19-Pandemie klar vor Augen, wie der Kardiologe und Intensivmediziner Voigtländer hervorhebt: „Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf haben allen voran Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Nierenversagen und Herzschwäche – dafür müssen wir auch mit Blick auf die Pandemielage im Herbst sensibilisieren.“
Rückgang von Klinikeinweisungen: Covid-19-Pandemie oder Unterdiagnostik?
Nahezu alle Herzkrankheiten weisen in den Krankenhausaufnahmen (vollstationäre Hospitalisationsrate) im Jahr 2020 eine deutliche Abnahme gegenüber dem Jahr 2018 auf. Bei der KHK sank die Zahl der Krankenhausaufnahmen um 11,4 %, bei Herzklappenkrankheiten um 5,5 %, bei Herzrhythmusstörungen um 9,9 %, bei Herzschwäche um 9,3 % und bei den angeborenen Fehlbildungen um 4,0 %. „Da es in vielen anderen Ländern auch zu Veränderungen der Hospitalisationsraten 2020 gekommen ist, dürfte die Covid-Pandemie der Hauptauslöser für diese Abnahme stationärer Aufnahmen gewesen sein“, erklärt Voigtländer. Patienten hätten besonders während der Pandemiewellen aus Sorge vor einer SARS-CoV-2-Infektion Kliniken gemieden. Gleichzeitig mussten Kliniken ihre Aufnahmen zeitweise auf Notfälle beschränken, um Kapazitäten für Intensivpatienten freizuhalten.
Covid-bedingte Reduktion herzmedizinischer Versorgung in Kliniken: mit Folgen?
Bekanntlich wurden im Pandemiejahr 2020 auch sogenannte „elektive“, d. h. aufschiebbare operative Eingriffe, weniger häufig durchgeführt (Daten des IQTIG*): am deutlichsten war das von 2018 zu 2020 der Fall bei chirurgischen Eingriffen wie der Bypassoperation (-27,2 %) und dem isolierten Aortenklappenersatz (-27 %). Zu deutlich weniger Eingriffen gegenüber 2018 kam es auch bei katheterbasierten (interventionellen) Eingriffen wie der Koronarangiographie (-6,0 %), bei Kathetereingriffen wie PCI (Herzgefäßaufdehnung durch Stent/Ballon) (-5 %) oder Schrittmacher-/ICD-Implantationen (-3,5 %/-8,1 %). „Welche Folgen das teils spürbare ,Herunterfahren‘ von Diagnostik und Therapie in der Pandemie für die Prognose von Herz-Kreislauf-Patienten haben wird und wie es sich bundesweit auf die kardiovaskuläre Sterblichkeit auswirken wird, lässt sich womöglich erst in ein paar Jahren klären“, so Voigtländer.
Eine regionale Untersuchung von Daten hessischer Krankenhäuser zum Beispiel für den Zeitraum 23. März bis 26. April 2020 (1) hat einen Anstieg der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen während des ersten strikten Lockdowns belegen können. 7,6 % mehr Menschen als im selben Zeitraum des Vorjahres starben an einer Herz-Kreislauf-Komplikation, während die Sterblichkeit allein durch eine Herzerkrankung um 11,8 % höher war. Im selben Zeitraum sank in den 26 Kliniken, die an der Untersuchung teilnahmen, die Zahl der Herzkathetereingriffe um 35 % gegenüber 2019. Die Studienautoren vermuten, dass der Sterblichkeitsanstieg nicht allein mit SARS-CoV-2-Infektionen zu erklären ist, sondern dass Patienten viel später als üblich in die Kliniken kamen und dadurch deren Herz- oder Gefäßkomplikationen verzögert medizinisch versorgt wurden. „Pandemie-Lockdowns dürfen bei Patienten mit Herzbeschwerden nicht dazu führen, dass sie sich bei der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung in den Kliniken zurückhalten.“ Infos unter www.herzstiftung.de/ein-krankes-herz-kann-niemals-warten
Herzkrankheiten früh aufdecken und behandeln – noch bevor es zum Eingriff kommt
Trotz Pandemie und einer Rückläufigkeit bei stationären Aufnahmen und in der Sterblichkeit, bleibt festzustellen, dass sich die Gesamtzahlen der Krankenhausaufnahmen (vollstationäre Hospitalisationsrate) wegen Herzkrankheiten weiterhin auf einem hohen Niveau bewegen: Wegen KHK kam es im Jahr 2020 zu 613, wegen Herzrhythmusstörungen zu 469,1 und wegen Herzinsuffizienz zu 441,7 vollstationären Aufnahmen pro 100.000 EW. Früh setzt bei Männern der Anstieg der Krankenhausaufnahmen bei der KHK ein: mit dem 45. bis 50. Lebensjahr bei KHK und bei Herzrhythmusstörungen ab dem 50. Lebensjahr.
Ziel sollte sein, dank der heutigen Verfahren in Diagnostik und Therapie, chronische Herzkrankheiten wie KHK, Herzklappenerkrankungen und Herzrhythmusstörungen, die unbehandelt zum Entstehen der Herzinsuffizienz führen können, frühzeitig aufzudecken und zu behandeln. „Noch bevor es zum therapeutischen Einsatz von Kathetereingriffen wie PCI und Stentimplantation, Bypass-Chirurgie bzw. katheterbasierter oder chirurgischer Verfahren der Rhythmustherapie wie Vorhofflimmer-Ablation oder Herzklappenersatzverfahren kommt, sollte man die Herzerkrankung identifizieren und frühzeitig behandeln“, erklärt der Herzstiftungs-Vorsitzende. Die Diagnostik hat sich etwa bei KHK wesentlich weiterentwickelt und auch durch die neuen bildgebenden Verfahren Koronar-CT (Computertomographie) und Kardio-MRT können Veränderungen der Herzkranzgefäße (Plaques, Verengungen) und deren Auswirkung auf die Durchblutung des Herzmuskels frühzeitig erfasst werden. Mit derlei Verfahren lässt sich die Zahl der invasiven Herzkatheterdiagnostik und damit auch der stationären Aufenthalte reduzieren. Und das Auftreten von akuten Koronarsyndromen (Herzinfarkt, instabile Angina Pectoris) kann so durch frühzeitige Therapie verhindert oder zumindest in ein höheres Lebensalter „verschoben“ werden. Das gleiche gilt für die Diagnose von Klappenfehlern oder Rhythmusstörungen. Bei Rhythmusstörungen tragen mittlerweile Wearables dazu bei, Unregelmäßigkeiten des Herzschlags (anfallsartiges Vorhofflimmern) frühzeitig zu erkennen.
Herzkrankheiten im Ländervergleich: Gefälle in der kardiologischen Versorgung?
Regionale Unterschiede in der Sterblichkeit und den Krankenhausaufnahmen wegen Herzkrankheiten bestehen fort, wie der Deutsche Herzbericht 2021 dokumentiert. Die höchste Sterbeziffer (alters- und geschlechtsstandardisiert) eines Landes kann bei Herzinsuffizienz oder KHK nahezu doppelt so hoch sein wie die niedrigste Sterbeziffer eines anderen Landes. Ein Blick auf die Todesrate der KHK und des Herzinfarkts zeigt: Östliche Bundesländer haben weiterhin die höchste Sterblichkeit. So hat Sachsen-Anhalt wie im Vorjahr auch 2020 die höchste Sterbeziffer mit 182 KHK- und 66 Herzinfarkt-Sterbefällen pro 100.000 EW, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 172 KHK- und 63 Herzinfarkt-Verstorbenen und Sachsen mit 169 KHK- und 61 Herzinfarkt-Verstorbenen pro 100.000 EW. Anders hingegen gelagert ist das Gefälle bei der Hospitalisationsrate (alters- und geschlechtsstandardisiert): Sachsen weist hier die niedrigsten Hospitalisationsraten bei KHK mit 440 und Herzinfarkt mit 177 vollstationären Aufnahmen pro 100.000 EW auf, während die höchste Rate für KHK in Berlin mit 784 und für Herzinfarkt im Saarland mit 272 vollstationären Aufnahmen pro 100.00 EW festzustellen ist. „Den genauen Ursachen für diese teils ausgeprägten regionalen Gefälle muss genauer auf den Grund gegangen werden“, fordert der Herzstiftungs-Vorsitzende. „Welche Faktoren führen etwa in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen zu einer im Schnitt deutlich niedrigeren Sterbeziffer? Ist es vielleicht eine höhere kardiologische Versorgungsdichte?“ In NRW liegen die Sterbeziffern für KHK bei nur 113, für Herzinfarkt bei 36 und für die Herzschwäche bei nur 32 Verstorbenen pro 100.000 EW. Auffällig ist, dass auch die geringste Versorgungsdichte mit zugelassenen Kardiologen (vertragsärztliche Versorgung) in den östlichen Bundesländern Thüringen mit 36.556, in Mecklenburg-Vorpommern mit 30.392, in Sachsen-Anhalt mit 26.922 und in Brandenburg mit 26.643 EW pro Kardiologe liegt. „Inwiefern dieses Versorgungsgefälle ein Indikator für Lücken in der ambulanten kardiologischen Versorgung ist und dies Ursache für eine höhere Morbidität und Sterblichkeit sein könnte, ist spekulativ und bedarf fundierter Analysen“, erklärt Voigtländer. So müssten Analysen zu regionalen Unterschieden auch Einflussfaktoren wie Raucheranteil, Erwerbsstatus, Häufigkeit von Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht berücksichtigen.
Auf Landesebene aktiv: Aufklärungskampagnen in Sachsen-Anhalt und Bayern
Als weiterhin wichtigen Baustein zur Bekämpfung der Herzinfarktsterblichkeit auf Landesebene sieht Voigtländer sowohl Register zur wissenschaftlichen Untersuchung der Infarktversorgung als auch landesweite Aufklärungskampagnen mit Aktionsbündnissen aus Behörden, Ärztenetzwerken, Krankenkassen und Gesundheitsorganisationen zu Themen wie Vorsorge, Ursachen und Symptome von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie richtiges Notfallverhalten. „Genau dieses Ziel verfolgt die als ,Herzwoche‘ angelegte Aufklärungskampagne in Sachsen-Anhalt, die Vorbildcharakter für ähnliche Initiativen wie die Herzinfarkt-Kampagne in Bayern ,Hand aufs Herz‘ hat und die wir als Partner unterstützen.“ Das mit Erfolg: Sachsen-Anhalt konnte seine Herzinfarkt-Mortalität kontinuierlich senken: von 69,3 Herzinfarkt-Verstorbenen pro 100.000 EW (2018) auf 66,3 (2020).
*IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen): Institut im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)
Der Deutsche Herzbericht wird von der Deutschen Herzstiftung zusammen mit den ärztlichen Fachgesellschaften, den Deutschen Gesellschaften für Kardiologie (DGK), für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) sowie für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) alljährlich herausgegeben.
Der Deutsche Herzbericht 2021 ist kostenfrei (PDF) erhältlich unter: www.herzstiftung.de/herzbericht
Herzinfarkt-Risikotest und HerzFit-App: Die Herzstiftung bietet unter www.herzstiftung.de/risiko einen kostenfreien Herzinfarkt-Risikotest an und informiert über die neue HerzFit-App unter www.herzstiftung.de/herzfit-app.
Infos für Patienten zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen bietet die Herzstiftung kostenfrei unter www.herzstiftung.de an.
Die vollständige Pressemappe zur Vorstellung des Deutschen Herzberichts 2021 mit weiteren Pressetexten aller beteiligten Fachgesellschaften sowie druckfähiges Grafik- und Bildmaterial erreichen Sie unter: www.herzstiftung.de/herzbericht
Grafikmaterial finden Sie unter: www.herzstiftung.de/herzbericht
Literatur:
(1) Nef HM et al., Clin Res Cardiol, 2021. 110(2): p 292
Die Deutsche Herzstiftung e. V. wurde 1979 gegründet und ist heute die größte gemeinnützige und unabhängige Anlaufstelle für Patienten und Interessierte im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zu den Hauptaufgaben der Herzstiftung gehört es, Patienten in unabhängiger Weise über Herz-Kreislauf-Erkrankungen, deren Vorbeugung sowie über aktuelle Diagnose- und Therapiemöglichkeiten aufzuklären. Bekannt ist die Herzstiftung außerdem durch ihre bundesweiten Aufklärungskampagnen und als wichtige Förderinstitution in der Herz-Kreislauf-Forschung. Die hohe Qualität ihrer Informationsangebote beruht nicht zuletzt auf der Expertise der rund 500 Herzspezialisten im Wissenschaftlichen Beirat der Herzstiftung. Vorstandsvorsitzender ist der Kardiologe Prof. Dr. Thomas Voigtländer (Frankfurt), Schirmherrin ist Barbara Genscher.
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