Mit Forschung Krebs verhindern
Etwa zwei von fünf Krebserkrankungen ließen sich vermeiden, würden alle wissenschaftlich belegten Maßnahmen zur Krebsvorbeugung umgesetzt. Nach aktuellen Berechnungen können Primärprävention und Früherkennung zusammengenommen die Krebssterblichkeit sogar um bis zu 75 Prozent senken.
Längst ist bekannt, wie sich viele Krebsfälle vermeiden ließen. Doch das heutige Wissen ist bei Weitem nicht ausreichend, um das große Potenzial der Krebsprävention zur Gänze auszuschöpfen. "Intensive Forschung ist gefragt, um neue Ansatzpunkte für präventives Eingreifen zu identifizieren oder um für aussichtsreiche Ansätze evidenzbasierte Wirksamkeitsnachweise zu erbringen", sagt Michael Baumann, Vorstandvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums.
Mit sechs Programmpunkten deckte die CCP 2022 nahezu das gesamte Spektrum der Forschung zur Primär- und Sekundärprävention ab.
Kann ein gesunder Lebensstil tatsächlich das Krebsrisiko reduzieren? Ungesunde Ernährung, Übergewicht und Mangel an körperlicher Aktivität zählen zu den wichtigsten vermeidbaren Lebensstilfaktoren, deren Effekte oft nur schwer exakt voneinander zu trennen sind. Doch Primärprävention wirkt, wie Anne Tjønneland (Kopenhagen) berichtet: Schon ein Gewichtsverlust von nur etwa fünf Prozent führt zu einer Verringerung der Neuerkrankungsrate bei Brust- und Endometriumskrebs, zitiert die Forscherin aktuelle Ergebnisse. Sie betont die Wichtigkeit, Präventionsmaßnahmen insbesondere an die jüngere Bevölkerung zu richten, die in steigendem Maße von Übergewicht betroffen ist.
Als vielversprechend gelten Strategien, die die molekularen Vorgänge, die Zellen zu Krebs entarten lassen, mit Impfungen oder Medikamenten aufhalten. Insbesondere bei Brust- und Darmkrebs laufen derzeit zahlreiche Studien zur medikamentösen Prävention, deren Ergebnisse jedoch erst in einigen Jahren vorliegen werden. Stark aufgestellt ist dieses Forschungsgebiet auch in Heidelberg: Beim Lynch-Syndrom entstehen durch einen Erbgutdefekt neuartige Proteinstrukturen, die vom Immunsystem der Betroffenen als fremd erkannt werden. Matthias Kloor (Heidelberg) will mit einer Impfung gegen diese veränderten Proteine die Entstehung von Darmkrebs bei Lynch-Patienten im Keim ersticken. Das Impfprinzip hat sich in einer ersten klinischen Studie bereits als sicher und aussichtsreich erwiesen.
Magnus von Knebel Doeberitz (Heidelberg) und Kollegen verfolgen bei HPV-bedingten Krebsarten einen medikamentösen Präventionsansatz: Sie haben herausgefunden, dass die DNA-Methylierung eines wichtigen Genschalters der Viren die Krebsentstehung antreibt. Sie konnten zeigen, dass die Behandlung der virustransformierten Zellen mit einem demethylierenden Medikament die Krebsentwicklung aufhält. Eine erste klinische Studie dazu soll demnächst starten.
Sekundärprävention an die individuellen Risiken anpassen Screeninguntersuchungen zur Krebsfrüherkennung werden heute nach dem Gießkannenprinzip allen Menschen einer bestimmten Altersgruppe gleichermaßen angeboten. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass Angebote, die an das individuelle Risiko angepasst sind, höhere Akzeptanz erfahren, den am meisten gefährdeten Personen einen noch größeren Nutzen bieten und gleichzeitig Menschen mit geringeren Risiken entlasten. Auch unter ökonomischen Aspekten kann eine Risikostratifizierung sinnvoll sein.
Die zentrale Herausforderung dabei ist es, zunächst zu einer belastbaren Einschätzung der individuellen Risiken zu gelangen. Hier sind unter anderem innovative technische Ansätze gefragt. Für Brustkrebs beispielsweise stellt Graham Colditz (St. Louis) ein besonderes Verfahren (functional principal component analysis, FPCA) vor, das aus den Bilddaten der Mammographie Informationen extrahiert, die den Vorhersagewert der Untersuchung weiter verbessern können – auch in Kombination mit anderen Risikomarkern. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich so eine Gruppe von Frauen mit sehr geringen Brustkrebsrisiken eingrenzen lässt, für die möglicherweise keine weiteren Mammographien erforderlich sind.
Für Darmkrebs schlägt der Epidemiologe Hermann Brenner (Heidelberg) ein neues zweistufiges Konzept zum risikostratifizierten Screening vor, das kostengünstig, einfach zu implementieren und darüber hinaus für die Teilnehmenden mit minimalem Aufwand verbunden ist. Seine Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass der immunologische Test auf Blut im Stuhl (FIT) besser als andere Risikomarker geeignet ist, das Vorliegen der gefährlichsten Darmkrebs-Vorstufen vorherzusagen. So könnte man der gesamten Bevölkerung ab dem 40. Lebensjahr in Zehnjahresabständen einen FIT zuschicken und gezielt die Menschen zur Darmspiegelung einladen, bei denen der Test auf das Vorliegen von Darmkrebsvorstufen hinweist. Durch mathematische Modellierung ermittelt das Team derzeit die optimalen Schwellenwerte und Zeitintervalle des Testangebots, mit denen die Darmkrebs Erkrankungs- und Sterberaten am besten gesenkt werden könnten.
Der Public Health Experte Sir Michael Marmot (London) legte mit zahllosen Beispielen dar, dass sozioökonomischer Status, Bildung oder ethnische Zugehörigkeit die Krebssterblichkeit beeinflussen. Präventionsangebote müssen daher insbesondere die ärmsten und am wenigsten gebildeten Mitglieder der Gesellschaft erreichen, die oft die größten Krebsrisiken tragen. Auch hier ist die Devise "one size fits all" wenig hilfreich, betont Kommunikationsexperte Gary L. Krebs (Fairfax). Am wirksamsten seien Kommunikationsangebote, die konkret auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind.
"Die Tagung hat uns vor Augen geführt, dass Krebsprävention die gesamte Gesellschaft einbeziehen muss", sagt Michael Baumann zum Abschluss der Veranstaltung. "Die Vorträge haben uns erneut gezeigt, dass ein breites Bündnis vieler Forschungsdisziplinen erforderlich ist, um neue Präventionsansätze zu identifizieren, zu evaluieren und vor allem, um sie anschließend auch erfolgreich in die Breite der Bevölkerung zu tragen. Wir müssen gerade auch die Implementierungsforschung stärken und die Politik als unverzichtbaren Partner zur Umsetzung evidenzbasierter Ansätze ins Boot holen."
Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe, kommentiert: „Für die Entwicklung der Präventionswissenschaft ist der multidisziplinäre Austausch immens wichtig. Wir müssen aber auch an den wissenschaftlichen Nachwuchs denken, um die zwingend notwendige Präventionsforschung nachhaltig voranzubringen. Es war uns daher ein großes Anliegen, die ‚Cancer Prevention Graduate School‘ auf den Weg zu bringen und zu fördern, die junge Wissenschaftler für die Krebspräventionsforschung begeistern und ausbilden wird. Sie ist angesiedelt am DKFZ und fächerübergreifend vernetzt. Die Förderung der Krebsprävention ist ein zentrales Anliegen der Deutschen Krebshilfe. Auch die Conference on Cancer Prevention haben wir finanziell mit unterstützt.“
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
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