Neue Zahlen belegen: Nordatlantischer Glattwal vom Aussterben bedroht
Bereits 2017 beobachtete die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) eine erhöhte Sterblichkeitsrate bei Nordatlantischen Glattwalen in US-amerikanischen und kanadischen Gewässern. Die US-Behörden sprechen von einem sogenannten Unusual Mortality Event (UME). Die hohe Zahl an Todesfällen und Verletzungen der Meeressäuger lässt sich auf Schiffsunfälle und das Verheddern in Fanggeräten zurückführen. In sechs Jahren (2017-2022) erfasste die NOAA 91 UME-Fälle (34 unmittelbar, 21 durch schwere Verletzungen und 36 durch die Folgen von subletalen Verletzungen oder Krankheiten getötete Tiere). Das entspricht etwa 27 % der aktuell geschätzten Population.
Die aktuelle UME-Zählung entspricht einem neuen, von Fachleuten überprüften wissenschaftlichen und veterinärmedizinischen Protokoll. Sie deutet darauf hin, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Rettung des Nordatlantischen Glattwals nicht ausreichend waren, um das Aussterben der Art aufzuhalten. Zwar wurden in jüngster Zeit keine weiteren Todesfälle registriert, dennoch sorgt der allgemein schlechte Gesundheitszustand der Glattwale für Besorgnis. Dieser zeigt sich in einer schrumpfenden Körpergröße, verlängerten Kalbungsintervallen, einer geringeren Überlebensrate der Kälber und einer abnehmenden Zahl fortpflanzungsfähiger Weibchen.
Laut Dr. Sarah Sharp, Tierärztin beim IFAW (International Fund for Animal Welfare), bedeutet der Verlust schon eines einzigen Tieres einen schweren Schlag für die Erholung der gesamten Art. Tragisches Beispiel für die erschwerten Lebensbedingungen im Nordatlantik ist der Fall der Glattwalmutter „Snow Cone“. Diese verfing sich in Fangnetzen und litt in der Folge über 18 Monate an Einschnürungen. Dennoch gebar sie ein Kalb, von dem es jedoch inzwischen kein Lebenszeichen mehr gibt. Kürzlich wurde Snow Cone in schlechtem Gesundheitszustand und mit neuen Einschnürungen gesichtet, an denen sie sehr wahrscheinlich sterben wird.
„Die jüngsten Bestandszahlen bestätigen, dass die Art weiterhin am Rande des funktionalen Aussterbens steht und die derzeitigen Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht ausreichen. Dennoch gibt es Hoffnung und gute Lösungen. Weitere Todesfälle sind vermeidbar, wenn sofort gezielte Maßnahmen zur Risikominderung umgesetzt werden. Dazu zählen sowohl erweiterte Geschwindigkeitsbegrenzungen für Schiffe als auch die Regulierung der Fischerei und der Einführung von modernen Fanggeräten ohne Seile“, erklärt Sharp.
Um den Bedürfnissen der Wale und einem gesunden Ökosystem der Meere gerecht zu werden, arbeiten der IFAW und andere Interessengruppen gemeinsam mit den Fischer:innen an pragmatischen Lösungen: „Es ist unser Ziel, das Überleben des Glattwals zu schützen und die Fischerei als Lebensgrundlage gleichermaßen zu sichern“, betont Andreas Dinkelmeyer, Kampagnenleiter des IFAW in Deutschland. „Es ist keine Frage des Entweder-oder. Der IFAW verfolgt einen multidisziplinären Ansatz, um langfristige Veränderungen in und auf dem Wasser zu erreichen. Dauerhafte Lösungen müssen auf einem gemeinsamen Interesse, der engen Zusammenarbeit und der Bereitschaft beruhen, bestehende Technologien weiterzuentwickeln. Die heutigen Zahlen sind düster, aber wir müssen uns diesen Herausforderungen gemeinsam stellen und unser Ziel erreichen.“
Über das North Atlantic Right Whale Consortium:
1986 als Gruppe zum Datenaustausch gegründet umfasst das North Atlantic Right Whale Consortium (NARWC) heute mehr als 200 Personen aus verschiedenen Forschungs- und Naturschutzorganisationen, der Schifffahrts- und Fischereiindustrie, technische Experten, US-amerikanische und kanadische Regierungsstellen sowie staatliche und provinzielle Behörden. Gemeinsam setzen sie sich für die Erhaltung und Erholung der Population des Nordatlantischen Glattwals ein. Das NARWC ist international anerkannt und gilt als Vorbild für die Gründung anderer Artenschutzkonsortien.
Der IFAW (International Fund for Animal Welfare) ist eine weltweit aktive gemeinnützige Organisation für die bessere Koexistenz von Tieren und Menschen. Wir sind in mehr als 40 Ländern der Welt und auf den Meeren im Einsatz. Wir retten und pflegen Tiere, wildern sie wieder aus und bewahren und schützen ihre natürlichen Lebensräume. Die Probleme, denen wir uns stellen, sind drängend und komplex. Um sie zu lösen, brauchen wir mutiges Handeln und kluges Denken. Wir arbeiten mit Gemeinden, Regierungen, anderen NGOs und Unternehmen zusammen. Gemeinsam finden wir neue und innovative Wege, damit sich alle Arten in ihrem Lebensraum entwickeln können. So geht’s: www.ifaw.org
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