NGOs veröffentlichen Update der Global Coal Exit List (GCEL): Klimanotstand und kein Ende der Kohle in Sicht
- 46% der Unternehmen auf der GCEL immer noch auf Expansionskurs
- Neue Minenprojekte könnten weltweite Kraftwerkskohleproduktion um 37% steigern
- Weniger als 3% der Unternehmen auf der GCEL haben Kohleausstiegstermine im Einklang mit der Klimawissenschaft
Einen Monat vor Beginn des UN-Klimagipfels in Ägypten haben die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald und 40 Partnerorganisationen ein Update der „Global Coal Exit List“ (GCEL) veröffentlicht. Diese enthält detaillierte Daten über mehr als 1.000 Unternehmen und über 2.000 Tochtergesellschaften, die entlang der Wertschöpfungskette der thermischen Kohle tätig sind. Die GCEL ist die weltweit umfassendste öffentliche Datenbank über die globale Kohleindustrie und richtet sich im Sinne eines Divestment-Tools in erster Linie an die Finanzindustrie. GCEL deckt 90% der weltweiten thermischen Kohleproduktion und der Kohlekraftwerkskapazität ab. Jährliche Analysen von urgewald und Partnern auf Basis der GCEL geben daher einen präzisen Einblick in die Entwicklung der globalen Kohleindustrie, einem der Haupttreiber des Klimanotstandes.
46% der Kohleindustrie weiter auf Expansionskurs
Ungeachtet der im letzten Jahr auf dem UN-Klimagipfel in Glasgow getroffenen Vereinbarung, den „phase-down“ der weltweiten Kohleverstromung zu beschleunigen (1), expandieren 46% der in der GCEL erfassten Unternehmen ihre Kohleaktivitäten. Von den 1.064 Unternehmen in der Datenbank entwickeln 490 neue Kohlekraftwerke, neue Kohlebergwerke oder neue Kohletransportinfrastruktur. „Neue Kohleprojekte inmitten eines Klimanotstands zu verfolgen ist rücksichtslos und unverantwortlich. Investoren, Banken und Versicherer sollten diese Unternehmen sofort aus ihren Portfolios verbannen“, sagt Heffa Schücking, Geschäftsführerin von urgewald.
Entwickler neuer Kohlekraftwerke
Weltweit werden noch 476 Gigawatt (GW) neue Kohlekraftwerkskapazität geplant. (2) Werden diese Pläne realisiert, wird dies die globale Kohlekraftwerkskapazität um 23% steigern. Da 61% der Expansion auf China entfallen, überrascht es nicht, dass die vier größten Kohlekraftwerksentwickler auf der GCEL chinesische Unternehmen sind (Platz 1: China Huaneng Group, Platz 2: China Energy Investment Corporation, Platz 3: China Datang Corporation und Platz 4: China Huadian Corporation). „Letztes Jahr im September begrüßte die Welt die Ankündigung von Präsident Xi Jinping, dass China den Bau neuer Kohlekraftwerke im Ausland stoppen würde. Aber China muss nun ähnliche Schritte für sein heimisches Energiesystem gehen, wenn es ein Akteur für eine 1,5 °C-Welt werden will“, sagt Lidy Nacpil, Koordinatorin der Asian Peoples’ Movement on Debt and Development.
urgewald-Recherchen zeigen, dass seit der Ankündigung von Präsident Xi Jinping rund 13 GW an geplanten Übersee-Projekten gestoppt wurden. Gleichzeitig haben allerdings mehrere chinesische Unternehmen neue Vereinbarungen über die Beteiligung an ausländischen Kohlekraftwerken unterzeichnet. Im Dezember 2021 und Februar 2022 unterzeichneten chinesische Unternehmen Verträge über zwei Kohlekraftwerke für den Betrieb von Industrieparks in Indonesien. Im April und Mai 2022 unterzeichneten China Energy Engineering Group und China Western Power Verträge für zwei neue Kohlekraftwerke in Laos, und im März 2022 erneuerte PowerChina seine Vereinbarung über die Entwicklung des Phulbari-Kohlekraftwerksprojekts in Bangladesch. Insgesamt beläuft sich die neue Kohlekraftwerkskapazität dieser Projekte auf 9,7 GW.
Entwickler neuer Kohlebergwerke
Mit 570 Millionen Tonnen war die China Energy Investment Corporation im Jahr 2021 der weltweit größte Produzent von Kraftwerkskohle, dicht gefolgt von Coal India mit 557 Millionen Tonnen. Coal India ist aber der weltweit größte Entwickler neuer Kohleminen. Nach eigenen Angaben will das Unternehmen seine jährliche Kohleproduktion bis 2025 auf 1 Milliarde Tonnen steigern. Da die Modi-Regierung die Umweltbestimmungen im nationalen Bergbaurecht fast vollständig ausgehöhlt hat, befinden sich die meisten der von Coal India geplanten Kohleminen in Gebieten mit reicher biologischer Vielfalt und auf dem Land indigener Völker.
Insgesamt wollen die in der GCEL aufgeführten Unternehmen neue Projekte zur Förderung von Kraftwerkskohle mit einem Volumen von über 2.500 Millionen Tonnen pro Jahr (kurz: Mtpa) entwickeln. Dies entspräche einer Steigerung von mehr als 37% im Vergleich zur derzeitigen jährlichen Kraftwerkskohleproduktion weltweit. (3) Der Großteil dieser Projekte befindet sich in China (967 Mtpa), Indien (811 Mtpa), Australien (287 Mtpa), Russland (144 Mtpa) und Südafrika (91 Mtpa). „Dieser Boom im Kohlebergbau zeigt, wie hartnäckig die Industrie die Klimarealität leugnet“, sagt Schücking.
Werden Südafrikas Kohleproduzenten grün? Nicht wirklich!
Als Südafrikas größter Kohleförderer, Seriti Resources, ankündigte, dass seine neue Tochtergesellschaft Seriti Green einen 450-Megawatt-Windpark in der wichtigsten Kohlebergbauregion des Landes bauen will, verkündeten die Medien einen „Wandel hin zu erneuerbaren Energien“. Doch ein echter Wandel sieht anders aus. Seriti Resources und Südafrikas zweitgrößter Kohleförderer, Exxaro, kündigten vor kurzem einen Plan zur Verringerung der CO2-Bilanz ihres jeweiligen Kohlebergbaus an, indem sie diesen zukünftig mit erneuerbaren Energien betreiben wollen. Weder Seriti Resources, das im vergangenen Jahr 53 Millionen Tonnen Kraftwerkskohle förderte, noch Exxaro, das 40 Millionen Tonnen Kohle letztes Jahr produzierte, planen ihr Geschäftsmodell zu ändern. Vielmehr wollen beide Unternehmen ihre Kohleförderung weiter ausbauen, wenn auch mit Nutzung erneuerbarer Energien.
Wie Leanne Govindsamy vom südafrikanischen „Life After Coal Campaign“ sagt: „Mehr Kohleförderung unter Einsatz erneuerbarer Energien zu betreiben, ist keine Klimaschutzmaßnahme. Das ist Greenwashing.“
2.067 GW an Kohlekraftwerkskapazität müssen aus dem Verkehr gezogen werden
Heute gibt es weltweit über 6.500 Kohlekraftwerksblöcke mit einer Gesamtkapazität von 2.067 GW. (4) Ob das 1,5 °C-Ziel gehalten werden kann, hängt in erster Linie davon ab, wie schnell diese riesige Kohlekraftwerksflotte abgeschaltet wird. Nach dem „Net Zero by 2050“-Szenario der Internationalen Energieagentur (IEA) müssen Kohlekraftwerke in den OECD-Ländern bis spätestens 2030 und im Rest der Welt bis 2040 stillgelegt werden. (5) Allein das Beispiel USA zeigt jedoch, wie weit die Welt davon entfernt ist.
USA: Wann wird die drittgrößte Kohlekraftwerksflotte der Welt stillgelegt?
Mit fast 218 GW verfügen die USA nach China und Indien über die drittgrößte Kohlekraftwerksflotte der Welt. Im Gegensatz zu vielen anderen OECD-Ländern wie Italien, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich haben die USA bisher kein nationales Ausstiegsdatum für ihre Kohlekraftwerke festgelegt. Um die Pariser Ziele noch zu erreichen, müssten die USA von jetzt bis 2030 gerechnet jährlich mindestens 30 GW an Kohlekraftwerkskapazität im Schnitt stilllegen. Auf der Ebene der Bundesstaaten versuchen jedoch viele US-Energieunternehmen wie AES, Berkshire Hathaway Energy, CenterPoint Energy, Duke Energy, Southern Company und First Energy den Ausstieg aus der Kohle zu verzögern und einen raschen Übergang zu erneuerbaren Energien zu verhindern. (6) Dementsprechend wurden in den USA im Jahr 2021 nur 8,4 GW an Kohlekraftwerkskapazität stillgelegt.
Sich gegen die Transformation stellen
„Während die Warnungen des IPCC und des UNEP von Klimagipfel zu Klimagipfel immer eindringlicher werden, zeigen unsere Analysen Jahr für Jahr das Fehlen echter Ausstiegspläne der Kohleindustrie“, sagt Schücking. „Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen auf der GCEL hat immer noch nicht die Absicht, sich vom Kohlegeschäft zu trennen. Sie treiben uns damit immer näher an einen Zusammenbruch unseres Klimasystems. Eine echte Transformation erfordert klare und zeitnahe Kohleausstiegstermine.“
So haben von den 1.064 Unternehmen auf der GCEL bisher nur 56 Unternehmen oder 5,3% einen Kohleausstiegstermin angekündigt – viele davon sind jedoch viel zu spät. Das US-Unternehmen Berkshire Hathaway Energy zum Beispiel betreibt über seine Tochtergesellschaften 14 Kohlekraftwerke und will diese erst 2049 stilllegen. Das südkoreanische Unternehmen KEPCO sowie die japanischen Handelshäuser Marubeni und Mitsubishi haben angekündigt, ihre Kohleverstromung erst 2050 auslaufen zu lassen.
Insgesamt haben nur 27 Unternehmen auf der GCEL (2,5%) Kohleausstiegsdaten angekündigt, die innerhalb der Parameter des IEA-Szenarios liegen. „Die meisten dieser 27 Unternehmen planen jedoch lediglich, ihre Kohlekraftwerke auf Gas umzustellen oder sie zu verkaufen, anstatt sie stillzulegen. Letzten Endes haben wir nur fünf Unternehmen identifiziert, bei denen man sagen könnte, dass sie einen Paris-kompatiblen Kohleausstiegsplan haben", sagt Schücking. (7)
Finanzindustrie macht sich mitschuldig: Aufschieben ist das neue Leugnen
„Viele Finanzinstitute wie Commerzbank und Deutsche Bank rechtfertigen ihre fortwährende Unterstützung der Kohleindustrie mit der Behauptung, dass sie die Transformation begleiten wollen. Unsere Daten zeigen jedoch, dass die überwiegende Mehrheit der Kohleunternehmen einfach ihr Geschäftsmodell fortführen wollen“, sagt Schücking. „Sie planen entweder neue Kohleprojekte oder ziehen die Lebensdauer bestehender Kohleanlagen in die Länge. Das Hinauszögern ist zu einer neuen Form der Leugnung des Klimawandels geworden“, fügt sie hinzu.
Lucie Pinson, Direktorin von Reclaim Finance, die als Organisation in ihrem „Coal Policy Tool“ die Kohlerichtlinien von mehr als 500 Finanzinstituten weltweit bewertet, sagt: „Das Versagen der Kohleunternehmen bei der Transformation spiegelt das Versagen der Finanzindustrie bei der Verabschiedung rigoroser Kohlerichtlinien und -ausstiegszeitpunkte wider. Banken, Investoren und Versicherer müssen schnellstens jegliche Unterstützung für die Expansion der Kohleindustrie entziehen und glaubwürdige Stilllegungspläne für die Kohleanlagen ihrer Kunden verlangen.“ Nach Angaben von Reclaim Finance haben 190 Finanzinstitute noch immer keine Kohlerichtlinie, 272 Finanzinstitute haben eine schwache oder unzureichende und nur 28 Finanzinstitute haben eine wirksame Kohlerichtlinie verabschiedet. (8)
Der GCEL 2022 kann unter http://www.coalexit.org heruntergeladen werden.
Hintergrundinformationen zur GCEL 2022
Die GCEL wurde erstmals im November 2017 veröffentlicht und wird jeden Herbst aktualisiert. Sie umfasst die größten Kohlekraftwerksbetreiber ( größer/gleich 5 GW installierte Kapazität) und die größten Kohleproduzenten (größer/gleich 10 Mio. Tonnen pro Jahr). Zudem finden sich auf der GCEL Unternehmen, die mehr als 20% ihrer Stromerzeugung oder ihrer Umsätze aus Kohle generieren, sowie Unternehmen, die im Bereich Kohlebergbau, Kohlekraftwerke oder Kohleinfrastruktur planen zu expandieren. Investoren, die über 16 Billionen US-Dollar an Vermögen repräsentieren, verwenden derzeit eines oder mehrere der drei Divestment-Kriterien der GCEL, um Kohleunternehmen aus ihren Portfolios auszuschließen. Die meisten Informationen in der GCEL stammen aus Originalquellen der Unternehmen, wie z. B. Jahresberichten, Investorenpräsentationen und Börseneinreichungen. Daten zum Ausbau der Kohlekraftwerkskapazitäten stammen hauptsächlich aus dem „Coal Plant Tracker“ von Global Energy Monitor.
Anmerkungen
(1) https://unfccc.int/documents/310475?gclid=EAIaIQobChMIvb3RnIOe-gIVsuHmCh1chAzHEAAYAiAAEgL40vD_BwE
(2) https://globalenergymonitor.org/projects/global-coal-plant-tracker/summary-tables/
(3) https://www.iea.org/reports/coal-2021
(4) https://globalenergymonitor.org/projects/global-coal-plant-tracker/summary-tables/
(6) https://influencemap.org/report/The-U-S-Power-Sector-and-Climate-Policy-18074
(7) Eines dieser fünf Unternehmen ist das US-amerikanische Unternehmen NiSource mit Sitz in Indiana, USA. NiSource ist dabei, seine gesamte Kohlekraftkapazität durch erneuerbare Energien zu ersetzen und wird sein letztes Kohlekraftwerk bis 2028 stilllegen. Dennoch gibt es nach wie vor Kontroversen um die Aschebecken im NiSource-Kraftwerk Michigan City, da die lokalen Gemeinden angeben, die Sanierungspläne von NiSource reichten nicht aus.
Nach Rechercheschluss hat auch RWE einen Kohleausstieg 2030 am 4.10.2022 bekannt gegeben.
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