Mehr Resilienz durch Lieferkettenfinanzierung
Pandemie, geopolitische Verwerfungen, Materialknappheit, Klimawandel: Der Druck auf die Lieferketten ist enorm. Ob Lieferkettenfinanzierung die Resilienz von Handelsbeziehungen fördern kann, untersuchte der 4. Supply Chain Finance Hub der TU München am Campus Heilbronn. Das Thema 2022: „Increasing Resilience with Supply Chain Finance.” 200 Interessierte aus 25 Ländern diskutierten mit SCF-Expertinnen und Experten sowie in lebhaften Network-Sessions.
„Wir brauchen innovative Ansätze für eine maßgeschneiderte Resilienz, die so individuell sind, wie die Liefernetzwerke von Unternehmen“, betont Prof. Dr. David Wuttke, Professor für Supply Chain Management an der TU München am Campus Heilbronn und Gastgeber der Veranstaltung. Unternehmen müssten ihre Lieferprozesse genau verstehen, die Flexibilität ihrer Netzwerke und die Grenzen der Flexibilität gut kennen, um Unvorhergesehenes besser managen zu können.
Mehr Liquidität in der Lieferkette
Supply Chain Finance (SCF) setzt hierfür Liquidität in der Lieferkette frei, indem einkaufende Unternehmen Zahlungsziele verlängern und Lieferanten trotzdem vorzeitig bezahlen. Die Zwischenfinanzierung übernimmt ein Finanzierungspartner. Für die Lieferanten ergibt sich aus der besseren Bonität ihrer Kunden ein Zinsvorteil. Dass der finanzielle Vorteil Lieferbeziehungen stabilisiert, bestätigt Douglas Schoch, Vice President Siemens Financial Services. „Lieferkettenfinanzierung ist ein Schlüssel für mehr Resilienz, den wir in die Praxis unseres Risikomanagements integriert haben“, erklärt Schoch und zieht den folgenden Vergleich: Supply Chain Finance unterstützt die Funktionsfähigkeit von Liefernetzen, „wie ein Apfel die Gesundheit.“
Blockchain nutzen
Lieferketten und ihre Finanzierung brauchen Transparenz und einen durchgängigen Informationsaustausch. Die technischen Möglichkeiten beschreibt Rebecca Liao, Co-Founder and CEO von Saga: „Für Supply Chain Finance-Programme ist Blockchain eine sinnvolle Technologie, aber es ist nicht die einzige Option.“ Die Vorteile lägen auf Hand, da sich in einer Blockchain die Material- und Finanzflüsse transparent abbilden lassen. „Blockchains sind dezentrale, sichere Systeme zum Teilen aller notwendigen Informationen“, erklärt Liao und ermuntert: „Die Technologie ist ausgereift, Firmen können öffentliche Blockchains für ihre Programme nutzen und für ihre Zwecke privatisieren.“
Regulatorik kann helfen
Mit Blick auf die Finanzierungspartner rät Inés Lüdke, Head of Working Capital Sales Germany bei UniCredit zur Ausgewogenheit: „Ein guter Mix von Finanzierungsinstrumenten und Funding-Partnern gilt als Plus für die Resilienz von Lieferketten.“ Auch die verschärften regulatorischen Anforderungen etwa zur Bekämpfung von Geldwäsche bzw. zur Geschäftspartnerprüfung sowie die ESG-Compliance haben Einfluss auf das Instrument. Die damit verbundene Transparenz begrüßt man nicht nur bei UniCredit. „Die Regulatorik reduziert die Risiken in den Lieferketten und ermöglicht sichere Handelsbeziehungen“, meint Dr. Jan Conrady, Partner der Wirtschaftskanzlei Clifford Chance. Auch wenn die Regulatorik zunächst dazu führen kann, sich vor allem auf die Einhaltung der Vorschriften, und weniger auf die Resilienz der Lieferketten zu konzentrieren.
ESG-Ziele durchsetzen
Kann die Finanzierung von Lieferketten bei der Durchsetzung von ESG-Zielen helfen? Dieser Fragestellung ist der SCF-Hub bereits 2020 nachgegangen. Wie sieht es heute, zwei Jahre später aus? „Supply Chain Finance ist zunächst ein neutrales Instrument“, betont Thomas Dunn, Vorstand des Londoner Supply Chain Finance-Anbieters Orbian. Welche konkreten Ziele Firmen mit SCF verfolgen, müssen sie aktiv festlegen. Dann können SCF-Programme beim Übergang zu einer nachhaltigen, klimaneutralen Wertschöpfung eine wichtige und integrale Rolle spielen.
Lieferketten diversifizieren
Auch für die Diversifizierung von Wertschöpfungsketten (Stichwort Deglobalisierung) und die Suche nach alternativen Lieferpartnern ist Supply Chain Finance ein probates Mittel. „Durch die sofortige Zahlung sind Lieferanten in diesen schwierigen Zeiten eher bereit mit Unternehmen zusammenzuarbeiten“, beobachtet Douglas Schoch und verweist in diesem Zusammenhang auf das Vertrauen zwischen Lieferpartnern, das immer erst hergestellt werden muss.
Handlungsfähig bleiben
Bleibt ein Lieferantenfinanzierungsprogramm angesichts steigender Zinssätze interessant? Schließlich verteuern sich damit die Programme. „Die Situation ist eher neutral zu bewerten, da steigende Zinsen ganze Währungsräume betreffen und damit die Finanzierungskosten für alle Parteien gleichermaßen steigen“, erklärt Inés Lüdke von UniCredit. Für die Lieferanten ergäben sich eher Vorteile, wenn die Finanzierungskosten von Käufergesellschaften, die ein solches Programm für ihre Lieferanten anbieten, verhältnismäßig geringer steigen als die der Lieferanten. Gründe sind Unterschiede im Kreditrating der Parteien und/oder der Länder, in denen sie sich refinanzieren. „Es bleibt bei dem Grundsatz, dass der Lieferkette Liquidität aus einer weiteren oftmals kostengünstigen Kreditquelle zur Verfügung gestellt wird“, erläutert Lüdke. „Cash macht flexibel und damit resilient“, fasst SCF-Experte Douglas Schoch den Effekt zusammen.
Effizienz und Resilienz ausbalancieren
Das Fazit des SCF-Hubs: Supply Chain Finance erhöht über ein Plus an Liquidität die Handlungsfähigkeit und Flexibilität eines Unternehmens und dessen Handelspartner. Damit steigt deren Resilienz, was für das Risikomanagement immer wichtiger wird. „Die Anforderung flexibel auf Unvorhergesehenes reagieren zu können, wird zu einem Umdenken im Risikomanagement führen, das bislang vor auf eine systematische Erfassung von Risiken, deren Bewertung, und Gegenmaßnahmen setzt“, prognostiziert Prof. Dr. David Wuttke. Dies erfordere entlang der Supply Chain eine Harmonisierung der Waren-, Informations- und Finanzflüsse sowie einen Abgleich der mitunter konkurrierenden Ziele Effizienz und Resilienz. „In dieser Frage muss jedes Unternehmen seine eigene Balance finden. Supply Chain Finance kann helfen diese herzustellen“, resümiert Wuttke.
Die Technische Universität München am Campus Heilbronn ist seit dem Wintersemester 2018/19 am Bildungscampus der Dieter Schwarz Stiftung präsent. Schwerpunkte der Programme liegen auf dem Management des digitalen Wandels sowie auf Familienunternehmen. Forschung und Lehre zielen auf einen Brückenschlag zwischen Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurswissenschaften und Information Technologies in einem dynamischen, internationalen Umfeld. So entstehen moderne Forschungsfelder, etwa mit Bezug zu Digitaler Transformation und Plattformökonomie, die in den innovativen Unternehmen der Region Heilbronn-Franken, aber auch weltweit Verwendung finden. Die durchgängig englischsprachigen Bachelor- und Master-Studiengänge bereiten auf eine Karriere in technologie-getriebenen Unternehmen vor. Eine intensive Betreuung durch Professor:innen mit internationalem Renommee und kleine, internationale Lerngruppen, machen das Studium am TUM-Campus Heilbronn zu etwas Besonderem.
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