Musik

Meilensteine und Zeitenwenden

WAS              
3. Philharmonisches Konzert der Bremer Philharmoniker
„Fantastische Metamorphosen“

WANN
Montag, 28. November 2022, 19:30 Uhr
Dienstag, 29. November 2022, 19:30 Uhr

WO                
Konzerthaus Glocke
Domsheide 4/5
28195 Bremen

Wie klingen Werke, die in der Musikgeschichte zu Meilensteinen wurden und eine Zeitenwende eingeläutet haben? Unter dem Dirigat von Yoel Gamzou geben die Bremer Philharmoniker darauf in ihrem 3. Philharmonischen eine Antwort. Auf dem Programm stehen Korngolds üppig orchestrierte Sinfonietta und Szymanowskis erstes Violinkonzert mit der herausragenden Violinistin Clara Jumi Kang als Gastsolistin.

Karol Szymanowskis Violinkonzert wird als das erste moderne Violinkonzert angesehen. Dur und Moll werden aufgelöst, ungewohnte Klänge aus anderen Kulturen eingewoben. Das Ergebnis ist ein filigraner Klangfarbenreichtum, der ebenso avantgardistische wie impressionistische Züge trägt. Der polnische Komponist selbst bezeichnete sein 1916 komponiertes Werk als „unerhört fantastisch und überraschend“. Inspiriert wurde er von dem Gedicht „Mainacht“ seines Landsmannes Tadeusz Micinsky, eine märchenhafte Huldigung der Natur. Das Echo auf Szymanowskis Violinkonzert war überaus positiv. Kritiker bescheinigten ihm eine „ungewöhnliche Vielfalt, voller unvorhersehbarer Kombinationen, reich und lebendig“, und sind begeistert von „Klangwellen, die die zarte Melodie des Solisten, die Kaskaden der Harfe umgeben. Man könnte sagen, die Landschaft verändert sich von einem Moment zum nächsten, wie ein Film“. Mit Clara Jumi Kang stellen die Philharmoniker dabei eine Gastsolistin vor, die ähnlich wie der Komponist des zweiten Werkes im Konzertprogramm – Erich Wolfgang Korngold – schon früh als musikalisches Wunderkind galt. Bereits als Vierjährige studierte sie an der Staatlichen Hochschule Mannheim und debütierte mit fünf Jahren bei den Hamburger Symphonikern.

Eine Zeitenwende ganz persönlicher Art war die Sinfonietta für den damals 15jährigen Erich Wolfgang Korngold: sein erstes groß angelegtes Orchesterwerk! Die Uraufführung in Wien wurde 1913 ein sensationeller Erfolg. Was Erfindungsgabe, die harmonische Verarbeitung des Materials und die handwerkliche Souveränität anbelangt, zeigte sich der junge Korngold mutig auf der Höhe seiner Zeit. Seine Sinfonietta wurde innerhalb kürzester Zeit auf allen großen Bühnen Europas und Amerikas gespielt. Nicht weiter überraschend also, dass Korngold nach seiner Flucht vor dem nationalsozialistischen Regime als Immigrant in den USA mit offenen Armen begrüßt wurde und u.a. in Hollywood als Filmkomponist große Erfolge verzeichnen konnte.

Das Programm

Karol Szymanowski (1882-1937)
Violinkonzert Nr. 1 op. 35                  
– Vivace assai
Uraufführung 1. November 1922

Erich Wolfgang Korngold (1897-1957)
Sinfonietta op. 5,                   
– Fließend, mit heiterem Schwunge
– Scherzo: Molto agitato, rasch und feurig
– Molto andante (Träumerisch)
– Finale: Patetico – Allegro giocoso
Uraufführung 30. November 1913

Yoel Gamzou, Dirigat
Clara Jumi Kang, Violine

Informationen zu Künstlern und Programm / Auszüge aus dem Programmheft 

Yoel Gamzou
Dirigat

Yoel Gamzou wuchs in einer Künstlerfamilie in New York, London und Tel Aviv auf. Im Alter von sieben Jahren entdeckte er die Musik Gustav Mahlers und beschloss, Dirigent zu werden. Er lernte u. a. bei Winston Dan Vogel und Piero Bellugi. Sein wichtigster Mentor war Carlo Maria Giulini, mit dem er in Mailand eng zusammenarbeitete. Mit 19 Jahren wurde Gamzou beim Gustav Mahler-Dirigierwettbewerb der Bamberger Symphoniker mit einem Sonder-Förderpreis ausgezeichnet. 2010 veröffentlichte er eine eigene Version der unvollendeten 10. Symphonie Gustav Mahlers beim Schott Musikverlag, die sowohl beim musikalischen und wissenschaftlichen Fachpublikum als auch bei einer breiten Öffentlichkeit großen Anklang fand.  2006 gründete Gamzou das International Mahler Orchestra, um die Konventionen der klassischen Musik zu hinterfragen und neue Orchesterformate zu erproben. 2012 bis 2015 war Gamzou Erster Kapellmeister und Stellvertretender Generalmusikdirektor am Staatstheater Kassel und gastierte regelmäßig bei Orchestern wie dem Israel Philharmonic Orchestra, den Bamberger Symphonikern, dem Mozarteum Orchester Salzburg, dem Belgrade Philharmonic Orchestra, dem Malaysian Philharmonic Orchestra, der Jenaer Philharmonie, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, den Hamburger Symphonikern, der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern sowie den Stuttgarter Philharmonikern. Yoel Gamzou wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Berenberg Kulturpreis und dem Deutschen Musikpreis Echo Klassik 2017. Von der Spielzeit 2017/18 bis 2021/22 war Yoel Gamzou Generalmusikdirektor am Theater Bremen.

Clara Jumi Kang
Violine

Clara-Jumi Kang wurde in Deutschland in eine musikalische Familie hineingeboren und begann im Alter von drei Jahren mit dem Geigenspiel. Bereits ein Jahr später schrieb sie sich an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim ein, um bei Valery Gradov zu studieren – als jüngste Studentin überhaupt. Anschließend studierte sie an der Musikhochschule Lübeck bei Zakhar Bron. Mit fünf Jahren gab sie ihr Debüt bei den Hamburger Symphonikern, mit sieben Jahren wurde sie mit einem Vollstipendium an der Juilliard School aufgenommen und trat bereits mit dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Philharmonischen Orchester Kiel, dem Atlanta Symphony Orchestra, dem Seoul Philharmonic Orchestra und dem Korean Chamber Ensemble auf. Im Alter von neun Jahren nahm sie Beethovens Tripelkonzert auf CD auf. Mit sechzehn Jahren begann sie ein Bachelor- und Masterstudium bei Nam-Yun Kim an der Korea National University of Arts (Seoul). Während dieser Zeit gewann sie mehrere Preise. Von 2011 bis 2013 studierte sie bei Christoph Poppen an der Hochschule für Musik und Theater München. Heute konzertiert sie mit namhaften Orchestern wie der Kremerata Baltica, dem Mariinsky Orchestra, dem New Japan Philharmonic, dem Seoul Philharmonic Orchestra oder dem Kölner Kammerorchester und arbeitet mit Musikern wie Gidon Kremer, Cho Liang Lin, Jian Wang, Gautier Capuçon, Vadim Repin, Boris Berezovsky, Julian Rachlin, Misha Maisky, Boris Brovtsyn, Eldar Nebolsin und Maxim Rysanov zusammen. 

Karol Szymanowski (1882-1937)
Violinkonzert Nr. 1 op. 35                  

Geboren wurde er im 19. Jahrhunderts, gelebt hat er überwiegend im 20. Jahrhundert, und musikalisch tummelte er sich irgendwo dazwischen: Karol Szymanowski. Der polnische Komponist war ebenso heimatverbunden wie polyglott. Er lebte in verschiedenen Ländern Westeuropas und Nordafrika. Er war neugierig, experimentierte gern, entwickelte eine Art „polnischen Impressionismus“ und war zeitweise Mitglied der Künstlergruppe „Junges Polen“. Szymanowski bewegt sich genau zwischen Spätromantik und Moderne. Das erste Violinkonzert op. 35 entstand mitten im Ersten Weltkrieg. Das Werk entstand im Sommer 1916, als der Komponist mit schweren Depressionen, Alkoholproblemen, schlechter Gesundheit und finanzieller Unsicherheit kämpfte. Sein Freund, der Geiger Paweł Kochański, dem das Stück gewidmet ist, schrieb die Schlusskadenz. Szymanowski wollte, dass Kochański das Konzert im Februar 1917 in St. Petersburg unter der Leitung von Alexander Siloti aufführt, aber die Niederlage Russlands gegen die Deutschen und die Abdankung des Zaren Nikolaus II. durchkreuzten diese Pläne. Kochański war bereits im November 1922 nach Amerika umgezogen, als die Warschauer Philharmonie das Werk mit ihrem Konzertmeister Józef Ozimiński als Solist uraufführte. Szymanowski über die  Erstaufführung: „Der Klang ist so magisch, dass die Leute hier völlig verzaubert waren […] Das ist mein größter Triumph!“ Szymanowskis erstes Violinkonzert zeigt durchaus heimatliche Wurzeln: Es wurde nicht zuletzt von einem Gedicht eines Mitglieds der Künstlergruppe Junges Polen, Tadeusz Micinski, inspiriert. Einflüsse des Orientalismus und des französischen Symbolismus bilden die Grundlage für einen intensiven und eklektischen musikalischen Stil. Die fünf Abschnitte des Konzerts werden ohne Pause gespielt. Das eröffnende Vivace assai, eine Art märchenhafte Fantasie, entwirft eine exotische Landschaft, in der Celesta, Harfe, Holzbläser und Schlagzeug die Hauptrollen spielen. Die Violine tritt mit einer langsamen, ätherischen Melodie hervor, deren melodische Kontur auf östlichen Tonleitern basiert. Nach einer dramatischen, gleichermaßen lyrischen wie leidenschaftlichen Orchesterpassage geht die Musik nahtlos in ein Andantino über, in dem sich Solist und Orchester in glanzvollen Kaskaden bewegen. Das zentrale Vivace scherzando dauert kaum mehr als eine Minute, in der sich eine schwungvolle Violinstimme in ständiger Bewegung befindet, bevor das Allegretto die Atmosphäre wieder in die eher introspektive Stimmung einer Nocturne zurückführt. Diesmal haben die gewundenen orientalischen Linien einen bluesartigen Charakter angenommen. Der letzte Satz zeichnet sich durch rhapsodische Solopassagen aus, die sich zu einem spektakulären romantischen Höhepunkt verdichten, bevor er in eine kontemplative nächtliche Welt zurückkehrt und in einen suggestiven und etwas geheimnisvollen Schluss mündet.

Erich Wolfgang Korngold (1897-1957)
Sinfonietta op. 5,                   

Die Sinfonietta von Erich Wolfgang Korngold gleicht mit ihrer Dauer von fast einer Dreiviertelstunde eher einer ausgewachsenen Symphonie als einer (kurz)weilige Sinfonietta. Mit vier Sätzen hat sich der Komponist auch im Hinblick auf die Form nicht gerade in Selbstbescheidung geübt und selbst die Besetzung ist von spätromantischer Üppigkeit geprägt. Verlangt wird ein recht ausschweifendes Instrumentarium mit je dreifach besetzten Trompeten und Posaunen, vierfachen Hörnern, zwei Harfen, Celesta und natürlich mit all dem „normalen“ Instrumentarium, das man üblicherweise im Orchester findet. Lag das vielleicht an jugendlichem Überschwang? Korngold war gerade einmal 15 Jahre alt, als er die Sinfonietta schrieb, ein Wunderkind wie es im Buche steht. Geboren 1897 im mährischen Brünn beeindruckte er bereits mit neun Jahren keinen Geringeren als Gustav Mahler und schrieb die Musik für die Ballett-Pantomime „Der Schneemann“, die 1910 an der Wiener Hofoper uraufgeführt wurde. Es folgten zahlreiche Orchester-, Kammermusik- und Opernwerke, u.a. die 1912 komponierte und 1913 in Wien von Felix Weingartner und den Wiener Philharmonikern uraufgeführte Sinfonietta. Das Werk wird von einem fünftönigen aufsteigenden Motto eingeleitet, das gemeinhin als „Motiv des glücklichen Herzens“ bezeichnet wird und alle vier Sätze durchzieht. Der erste Satz beginnt mit einer lebhaften, reich orchestrierten Melodie, die nach und nach in ein gemächlich-beschwingtes zweites Thema übergeht. Der zweite Satz ist ein Scherzo, das mit einer energischen Idee beginnt, in der der Strauss’sche Einfluss durchaus zu hören ist. Darauf folgt eine stimmungsvolle Passage mit Holzbläsern und Trompeten im Vordergrund, die in eine temperamentvolle Rückbesinnung auf den Beginn des Satzes mündet. Der sanfte Mittelteil bildet einen stimmigen Kontrast hierzu, der die nachfolgende verkürzte Reprise des ersten Teils umso wirkungsvoller erscheinen lässt. Mit seiner Bezeichnung („träumerisch“) ist der dritte Satz trotz seiner Kürze der ruhende Pol der Sinfonietta. Der vierte Satz ist ein imposantes Finale: Die ersten Takte suggerieren eine gewisse Unruhe, die durch einen langsamen Anstieg in den tiefen Streichern kaum gemildert wird. Was dann folgt, stellt den in der Sinfonietta vorherrschenden Optimismus wieder her, der das Werk zu einem triumphalen Abschluss führt. Das Stück wurde von der Crème de la Crème der damaligen Dirigentenelite dirigiert: Fritz Busch, Arthur Nikisch, Karl Muck, Fritz Steinbach, Egon Pollak, Wilhelm Furtwängler – alle griffen es auf, wie auch Sir Henry Wood für die Londoner Proms-Saison 1914. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Ausbruch des 2. Weltkrieges führten allerdings dazu, dass die Sinfonietta wieder aus dem Repertoire verschwand – und mit ihr viele der anderen Werke Korngolds.

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