Mikro-RNAs helfen, das Lungenkrebsrisiko genauer zu bestimmen
Lungenkrebs ist weltweit die häufigste krebsbedingte Todesursache. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr mehr als 40.000 Menschen an dieser Erkrankung. Frühzeitig entdeckt, beträgt die Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen innerhalb der ersten fünf Jahre über 50 Prozent. Wurde die Erkrankung aber spät diagnostiziert, verlief sie in der Vergangenheit meist binnen kurzer Zeit tödlich.
Gezielte Früherkennungsuntersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie der Niedrigdosis-Computertomographie für besonders gefährdete Menschen könnten helfen, die Sterblichkeit bei Lungenkrebs zu verringern. Personen mit auffälligen Screening-Befunden könnten dann schnell zu weiteren diagnostischen Untersuchungen überwiesen und im Falle einer tatsächlichen Krebserkrankung frühzeitig behandelt werden. Bisher ist das wichtigste Kriterium zur Abschätzung des individuellen Lungenkrebsrisikos, wie viel und wie lange die Menschen in ihrem bisherigen Leben geraucht haben. Zusätzlich können einige weitere Risikofaktoren herangezogen werden. „Um Hochrisikopatienten besser zu erkennen, wäre es wünschenswert, zusätzliche Kriterien, z. B. in Form einfacher Labortests, in die Risikoeinschätzung einfließen zu lassen“, erklärt Herrmann Brenner, Epidemiologe am DKFZ und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. „Damit können gezielt diejenigen Personen identifiziert werden, die am meisten von einem Screening profitieren.“
Nun ist es seiner Arbeitsgruppe gelungen, ein solches weiteres Kriterium zu identifizieren. Den Schlüssel dazu liefert eine Kombination von miRNAs (Mikro-RNAs), das sind kurze RNA-Moleküle, die bestimmte Zellfunktionen steuern – auch bei Krebszellen. Viele miRNAs werden ins Blut abgegeben. Das Interesse der Wissenschaft an ihnen ist groß, nicht zuletzt, weil sie großes Vorhersagepotenzial im Zusammenhang mit der Entstehung bestimmter Krebsarten haben und relativ einfach gemessen werden können.
Die Kombination von Risikomerkmalen macht den Unterschied
Für die Entwicklung ihres „miRNA Scores“ analysierte das Wissenschaftler-Team um Brenner zunächst mit molekularbiologischen Methoden wie Next-Generation-Sequencing die miRNA-Muster aus dem Blut von 20 Lungenkrebspatienten und 20 gesunden Probanden. Ein Vergleich der miRNA-Signatur beider Gruppen brachte 20 miRNAs zutage, die in den Gruppen unterschiedlich stark ausgeprägt waren. Unter Einbeziehung von Literaturdaten identifizierten die Forscher weitere 20 solcher potenzieller miRNA-Marker. Die Vorhersagekraft dieser miRNAs untersuchten sie in der ESTHER Studie, einer großen landesweiten Studie im Saarland, in der ca. 10.000 Frauen und Männer im Alter von 50-75 Jahren über 14 Jahre bezüglich des Auftretens von Lungenkrebs nachbeobachtet worden waren.
Am Ende konnten sie ihre Vorauswahl mittels statistischer Methoden auf drei miRNAs mit besonders hoher Vorhersagekraft für Lungenkrebs konzentrieren. „Diese miRNA-Signatur kann in Kombination mit anderen Risikomarkern, wie beispielsweise der Raucherhistorie, die Vorhersagekraft für Lungenkrebs deutlich steigern“, sagte Brenner.
In vorangegangenen Untersuchungen hatte das Team bereits einen anderen aussagekräftigen Risikoprädiktor entwickelt: ein Entzündungsmarkerprofil (Inflammation Score), das – ebenfalls kombiniert mit der Raucherhistorie und anderen Risikofaktoren für Lungenkrebs – die Identifizierung von Personen, die am meisten von einem Lungenkrebsscreening profitieren könnten, deutlich verbessern kann. „Wir verfolgen derzeit mehrere Ansätze, um gezielte und effektive Screeningstrategien zu ermöglichen“, erläutert Brenner. „Der ‘Inflammation Score’ war bereits vielversprechend. Der miRNA-Score erzielt noch etwas bessere Ergebnisse. Vermutlich gibt es noch weitere Kandidaten, die für sich genommen oder in Kombination die Risikoabschätzung noch weiter verbessern können. Daran arbeiten wir zurzeit.“
Damit solche Biomarkersignaturen in der Praxis eingesetzt werden können, müssen sie nicht nur aussagekräftig, sondern auch kostengünstig sein und im Hochdurchsatzformat ermittelt werden können. Bis es so weit ist, sind noch einige Entwicklungsschritte nötig. „Zunächst werden wir unsere Ansätze in Folgestudien weiter verfeinern und validieren“, so Brenner. „Wir sind zuversichtlich, dass wir so ein gutes neues Verfahren zur Entwicklung effektiver Strategien für die Früherkennung von Lungenkrebs entwickeln können, denn die bisherigen Daten sind sehr ermutigend.“
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
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