Ohne gemeinsames Zielbild ergeben Einzelmaßnahmen keine Krankenhausstrukturreform
Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., macht in seiner einführenden Rede deutlich, wie dringend eine Krankenhausreform geboten sei: „Wir befürchten, dass es ohne zügige politische Veränderungen mittelfristig zu einer Verschlechterung der Versorgungsqualität oder zu einer ‚kalten Strukturreform‘ kommt.“ Das System „Krankenhaus“ leide an diversen Stellen. Sein Fazit: „Für eine Krankenhausreform bedarf es dringend einer Überprüfung der Strukturen, und zwar sowohl innerhalb des stationären Bereichs als auch zwischen ambulant und stationär.“ Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Konflikt und die Energiekrise verschärften die Situation. Aber die aktuelle Strategie der Bundesregierung sei da auch keine Lösung: Die Bundesregierung spanne einen Rettungsschirm nach dem anderen auf. „Aber ich bin mir sicher“ so IKK-Vorstandsvorsitzender Müller, „mit der finanziellen Gießkanne lassen sich die Probleme nicht lösen.“
Dass mehr Geld nicht mehr hilft, dem stimmt auch Manja Rügen, Leiterin des Referats „Krankenhauswesen“ im Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt des Freistaates Sachsen, zu. Sie fordert für die Länder mehr Gestaltungsmöglichkeiten für regionale sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen, um Standorte insbesondere im ländlichen Raum zukunftsfähig ausrichten zu können. Dabei sei der Freistaat Sachsen mit seiner Krankenhausreform 1996 und dem jetzigen Strategiepapier „Zielbild 2030“, das als Grundlage für ein neues Sächsisches Krankenhausgesetz dient, vergleichsweise gut aufgestellt. Sie verweist auf entsprechende Forderungen im dem Eckpunktepapier aus der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) vom 20.10.2022. Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt des Freistaats Sachsen, erklärt in ihrem Grußwort, dass Sachsen vielleicht sogar als Benchmark bundesweit gelten könne. Wichtig sei es, so die Staatministerin, die sektorenübergreifende Versorgung auf Bundesebene voranzutreiben.
Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Inhaber der Professur Management im Gesundheitswesen an der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) sowie Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, sieht einen wesentlichen Aspekt in der Reform der Krankenhausvergütung. Sie sei der entscheidende Schlüssel zu Strukturveränderungen und zur stärkeren Integration der Sektoren. „Die Vergütung ist zu eng auf das DRG-System zugeschnitten“, stellt Schreyögg fest. Der Ökonom rät insbesondere in Fachabteilungen mit einem hohen Anteil nicht planbarer Fälle und geringer Kapazitätsauslastung zur Berücksichtigung von Vorhaltekosten in der Vergütung. Damit würde man den ökonomischen Druck zur Fallzahlausweitung entschärfen. Des Weiteren sollten DRGs an geografische Charakteristika und Versorgungsstufen angepasst sowie die Qualität in der Versorgung berücksichtigt werden.
Die Diskutanten der Podiumsdiskussion sind sich einig, dass die Finanzlage der Krankenhäuser und des Gesundheitssystems noch nie so brisant war wie in diesen Tagen. „Krankenhäuser werden nicht erst seit Corona von Hilfspaket zu Hilfspaket transferiert“, beklagt Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. „Ich wüsste nicht, wie ich heute einen Wirtschaftsplan für ein Krankenhaus für 2024 aufstellen sollte“, gibt Gaß zu. Er stellt fest, dass das DRG-System nicht gescheitert, wohl aber an seine Grenzen gekommen sei. Dem stimmt auch Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes, zu: „Wir plädieren nicht für eine Abschaffung des DRG-Systems, wie von Bundesgesundheitsminister Lauterbach vorgeschlagen, sondern für eine Weiterentwicklung des DRG-Systems mit der Ergänzung um eine Vorhaltefinanzierung.“ Kai Swoboda, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der IKK classic, mahnt hinsichtlich der Finanzierungssicherheit des stationären Sektors auch noch einmal die Bundesländer an, ihrer Investitionsfinanzierung nachzukommen. „Den Krankenhäusern fehlen 30 Milliarden Euro Investitionsmittel“, erklärt Swoboda und gibt zu bedenken: „Die Länder wollen die Planungshoheit behalten, dann müssen sie aber auch die Pflichten vollumfänglich erfüllen!“
Die Vorständin des GKV-Spitzenverbandes bilanziert: „Von einer nachhaltigen Finanzierung und einer vernünftigen Krankenhausplanung kann aktuell noch nicht gesprochen werden.“ Die Ursachen hierfür liegen in strukturellen Defiziten, etwa der immer noch schwierigen Überwindung der Sektorengrenzen. Das Potenzial, operative Eingriffe ambulant durchzuführen, sei noch nicht ausgeschöpft, so Stoff-Ahnis. DKG-Vorstand Gaß erklärt: „Krankenhäuser können mehr als nur die vollstationäre Versorgung. Wir können komplexe ambulante Versorgung leisten.“ So wie man heute ambulant und stationär arbeite, können man in zehn Jahren nicht mehr arbeiten, meint er. Der Abgeordnete Prof. Dr. Armin Grau, Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Ausschuss für Gesundheit, stimmt ihm zu: „De facto haben Krankenhäuser heute wenige ambulante Möglichkeiten. Es gibt ganz viele Bereiche, wo das Krankenhaus ambulant behandeln könnte, es aber nicht darf.“ Das müsse sich ändern, so der ehemalige Chefarzt. „Das Krankenhaus der Zukunft ist ein Kompetenzzentrum. Es muss sehr vielmehr ambulant tätig werden können.“
Der Abgeordnete Grau wehrt sich gegen die Kritik der Mitdiskutierenden, die Politik habe noch keine wesentlichen Reformschritte vorgelegt. Er verweist darauf, dass die Ampel seit elf Monaten an der Regierung sei und sich gesundheitspolitisch die ersten sechs Monate primär mit Corona beschäftigen musste. „In dem kurzen Zeitraum danach hat die Politik schon passable Ergebnisse geliefert und jetzt nimmt die ganze Krankenhausstrukturreform langsam an Fahrt auf“, so Grau. „Die DRGs müssen wir nachschärfen, aber wir sind auf dem richtigen Weg!“ Es sei halt ein stetiges Ringen um Erkenntnis, sagt er. Für ihn sei es wichtig, nicht abstrakt über Strukturen zu sprechen, sondern immer auch zu sehen, dass dahinter Menschen stehen.
Wie wichtig Diskussion und Kommunikation unter den Beteiligten für eine Krankenhausstrukturreform seien, darin sind sich alle einig. Scharf kritisiert wird das Bundesgesundheitsministerium für die Ausgrenzung der gemeinsamen Selbstverwaltung aus dem Diskussionsprozess. Die Politik sei schon in der Besetzung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung ungeschickt gewesen, in dem primär Ärzte von Universitätskliniken berufen worden seien, während die Selbstverwaltungspartner, die gerade in der Corona-Krise gezeigt hätten, dass sie den Betrieb am Laufen hielten, hier nicht eingebunden wurden. Stoff-Ahnis erläutert: „Das ist genauso, als würde man über mehr Fahrradwege abstimmen, aber die Kommission primär mit Vertretern der Automobilkonzernen besetzen.“
Auch Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., fragt sich: „Das Ringen um Erkenntnis ist wichtig. Mit wem aber wird eigentlich gerungen, wenn die Selbstverwaltung nicht einbezogen ist und Änderungsanträge stündlich neu eingebracht bzw. überarbeitet werden?“ Er erneuert das Angebot an die Politik, mit den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung ins Gespräch zu kommen und spricht die gemeinsamen Grundpositionen von DKG und GKV-SV an, die diese an das BMG gesandt haben. Das sei wichtig, denn: „Ein ‚Weiter so‘ darf es nicht geben. Zumindest diese Erkenntnis scheint bei allen Beteiligten gegeben zu sein.“
Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 gegründet mit dem Ziel, die Interessen seiner Mitglieder und deren 5,2 Millionen Versicher-ten gegenüber allen wesentlichen Beteiligten des Gesundheitswesens zu vertreten. Dem IKK e.V. ge-hören die BIG direkt gesund, die IKK Brandenburg und Berlin, die IKK classic, die IKK gesund plus, die IKK – die Innovationskasse sowie die IKK Südwest an.
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