Aktuelle Klinik-Umfrage belegt: Durchschnittlich kein freies Intensivbett für kritisch kranke Kinder – Notfallmediziner fordern neue Strukturen
Bei der DIVI-Erhebung hat zudem jede zweite Klinik berichtet, dass sie in den vergangenen 24 Stunden mindestens ein Kind nach Anfrage durch Rettungsdienst oder Notaufnahme nicht für die Kinderintensivmedizin annehmen konnten – also der Anfragende weitersuchen musste nach einem adäquaten Behandlungsplatz. „Diese Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr und wird auf dem Rücken kritisch kranker Kinder ausgetragen“, konkretisiert Hoffmann die Situation. Für die Umfrage sind 130 Kinderkliniken angeschrieben worden, 110 Häuser haben ihre Daten vom Stichprobentag 24. November zur Verfügung gestellt. Sämtliche Kliniken beteiligen sich schon jetzt an der bundesweiten, strategischen Patientenverlegung nach dem Kleeblattkonzept, das von der Fachgruppe Intensivmedizin, Infektiologie und Notfallmedizin (COVRIIN) gesteuert wird. „Da zunehmend viele Kinder zum Teil über weite Entfernung transportiert werden müssen, benötigen wir jetzt die Etablierung spezialisierter Kinderintensivtransport-Systemen, um die Kinder sicher und von Kinderexperten begleitet in ihre Zielklinik zu bekommen“, sagt Florian Hoffmann, Oberarzt auf der Interdisziplinären Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Gesamtanalyse zeigt schlimmsten Fall: Null freie Betten, kein Pflegepersonal, mehr als 100 abgelehnte Patientenanfragen
Die DIVI-Zahlen belegen die alarmierende Situation der Kinderkliniken in Deutschland: Die 110 rückmeldenden Häuser weisen insgesamt 607 aufstellbare Betten aus, von denen aber lediglich 367 Betten betrieben werden können. Grund für die Sperrung von 39,5 Prozent der Intensivbetten für Kinder ist hauptsächlich der Personalmangel. An 79 Häuser, also 71,8 Prozent der Befragten, ist der Pflegepersonalmangel konkreter Grund für die Bettensperrungen. Freie Betten gab es lediglich 83, das heißt durchschnittlich 0,75 Prozent freie Betten pro Klinik. 47 Kliniken melden null verfügbare Betten, 44 Kliniken ein freies Bett. 51 Kliniken berichten von abgelehnten Patientenanfragen. Heißt konkret: 46,4 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Kliniken berichten von insgesamt 116 abgelehnten Patientinnen und Patienten – an nur einem Tag. Besonders oft aufgenommen wurden zuletzt Kinder, die sich mit dem respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) infiziert haben, 138 insgesamt. „Die RSV-Welle baut sich immer weiter auf und macht bei vielen Kindern die Behandlung mit Atemunterstützung notwendig. Wir können Stand heute davon ausgehen, dass es zu dieser Behandlung nicht genügend Kinder-Intensivbetten gibt“, sagt Professor Sebastian Brenner, DIVI-Kongresspräsident und Bereichsleiter der interdisziplinären Pädiatrischen Intensivmedizin im Fachbereich Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin der Unikinderklinik Dresden.
Große Kinderintensivstationen besonders betroffen von den Auswirkungen des Pflegepersonalmangels
Genauer angeschaut haben sich die DIVI-Experten auch die größeren Kinderkliniken mit acht oder mehr Intensivbetten. Diese Stationen sind deshalb von großer Bedeutung, da sie in der Regel für viele Kinder die letzte Anlaufstelle sind, wenn kleinere Kinderkliniken eine weitere Behandlung nicht mehr gewährleisten können. Darunter fallen insgesamt 32 Häuser. Diese melden 363 aufstellbare Betten, von denen am Stichprobentag 221 betrieben werden konnten. Heißt: 39,1 Prozent der Kindern-Intensivbetten sind gesperrt – dies sind im Durchschnitt 4,4 Betten pro Intensivstation. 17 freie Betten bei diesen 32 Kliniken bedeuten im Durchschnitt nur noch 0,5 freie Betten pro Klinik.
„Wir sehen: Gefragt nach den Intensivkapazitäten zeichnet sich ein Bild, dass deutschlandweit, egal ob Norden, Süden, Osten oder Westen, durchschnittlich 40 Prozent der Kinder-Intensivbetten wegen Personalmangel gesperrt sind. Bei rund 80 Prozent der Befragten fehlt Pflegepersonal, es fehlen teilweise aber auch Ärzte“, resümiert Sebastian Brenner.
DIVI fordert: Optimierte Arbeitsbedingungen, Telemedizin, Kinderintensivtransport-Systeme
Kritische kranke Kinder brauchen kompetente und liebevolle Pflege. Die Experten der DIVI stufen die Umfrage-Ergebnisse daher als alarmierend ein. Sie fordern die Optimierung der Arbeitsbedingungen:
- Optimierung der Ausbildungsbedingungen, d.h. Kinderkliniken müssen verpflichtet werden, Kinderkrankenpflege auszubilden
- Optimierung der Arbeitsbedingungen durch Ausfallskonzepte, d.h. geplante Freizeit bleibt Freizeit und Urlaub bleibt Urlaub
- Optimierung der Arbeitsbedingungen durch bezahlte Fortbildung in der Arbeitszeit
- Optimierung der Arbeitsbedingungen durch Entlastung von pflegefernen Aufgaben (MFA, Pflegeassistenz, Hostessen, Reinigungskräfte)
- Pflegekräfte müssen es sich leisten können, dort zu wohnen, wo sie arbeiten. Die DIVI fordert deshalb eine deutlich bessere Bezahlung der Pflegekräfte
Kritische kranke Kinder brauchen zudem überregionale Strukturen und Netzwerke. Die DIVI fordert deshalb:
- Den Aufbau telemedizinischer Netzwerke für den Austausch der behandelnden Teams untereinander, um allen Kindern die gleiche Versorgungsqualität zukommen lassen zu können
- Den Aufbau von spezialisierten Kinderintensivtransport-Systemen, um Kinder sicher und von Kinderexperten begleitet zu transportieren
Die Kinder-Intensivmediziner setzen sich zudem dafür ein, umfassend die Rechte der Kinder ins Grundgesetz aufzunehmen. Nur so würden Kinder mehr in den politischen und gesellschaftlichen Fokus rücken – und nur so könne die medizinische Versorgung für die Kleinsten nachhaltig verbessert werden. „Wenn alle zuvor genannten Forderungen erfüllt wären, wenn sich der Beruf von Medizinern sowie Pflegenden mit Familie vereinbaren lässt und wenn die stetige Dauerbelastung in den Kliniken aufhört, dann schaffen wir es, uns wieder um alle schwer kranken Kinder mit der notwendigen höchsten Versorgungsqualität kümmern zu können“, sagt DIVI-Generalsekretär Florian Hoffmann.
„Wir alle wünschen uns die bestmögliche Versorgung schwer kranker Kinder – das muss für uns gesellschaftlich selbstverständlich werden – denn Kinder sind unsere Zukunft“, ergänzt DIVI-Kongresspräsident Sebastian Brenner.
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